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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774.

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Sta
desto wichtiger werden. Wir halten es für unnö-
thig von Statuen zu sprechen, die heidnische Gott-
heiten, oder andre allegorische Wesen vorstellen.
Diese leztern könnten zwar wegen der geistreichen
Erfindung und guten Ausführung ihren Werth ha-
ben. Wenn man aber die Kostbarkeit eines solchen
Werks bedenkt, so scheinen sie eben nicht sehr zu
empfehlen zu seyn.

Der beste und edelste Gebrauch der von Statuen
zu machen ist, besteht ohne Zweifel darin, daß sie zu
öffentlicher Verehrung großer Verdienste um ein
ganzes Volk, und zur Reizung einer edlen Nachey-
ferung gebraucht werden. Zwar könnte man diesen
Zwek auch schon durch andre Ehrenmäler erhalten;
aber die Statue hat vor jedem andern Denkmal be-
trächtliche Vorzüge wegen der ausnehmenden ästhe-
tischen Kraft, die in der menschlichen Gestalt liegt,
wodurch die Statue nicht blos ein Zeichen, oder ein
todtes Sinnbild der Tugend ist, sondern einiger-
maaßen die Tugend selbst sichtbar abbildet. Da-
durch kann sie außer dem Ehrevollen, das sie hat,
noch in andern Absichten nüzlich werden, wie schon
anderswo angemerkt worden ist (*). Wir sezen
hier voraus, was wir schon einmal (**) ausführli-
cher angemerkt haben, daß ein wahrer Künstler
große Seelen in der menschlichen Bildung könne
sichtbar machen. Geschieht dieses in der Statue, so
ist sie nicht ein bloßes Denkmal; sondern würket
auch auf die, die ihren Ausdruk zu empfinden im
Stande sind, große Gedanken und Empfindungen,
die ein anderes Denkmal nicht erweken kann.

Aus diesen Anmerkungen folget von selbst alles,
was wir über die Art und Beschaffenheit dieses
Werks der Kunst zu sagen haben. Sie stellt einen
Menschen vor, der durch außerordentliche Verdienste
verehrungswerth ist. Also muß sie an einem öffent-
lichen Orte, wo sie den Augen der meisten Menschen
ausgesezt ist, auf ein genugsam erhaben Posta-
ment gesezt werden, und eine verhältnismäßige
Größe haben. Gemeine Lebensgröße ist zu gering;
wie weit man aber darüber gehen soll, muß durch
den Plaz und die Erhöhung des Postaments bestimmt
werden. Doch dieses betrift nur das Aeußerliche.

[Spaltenumbruch]
Sta

Nach dem innern Charakter muß die Statue
zwar, so viel ohne Abbruch des wichtigern Theiles
geschehen kann, die Leibesgestalt und Gesichtsbil-
dung der Person vorstellen, aber das, wodurch sich
dieselbe hauptsächlich verdient gemacht hat, die hohe
Sinnesart, die eigentliche Größe des Geistes, oder
Herzens, die den Hauptzug in dem Charakter aus-
macht, muß vorzüglich darin ausgedrukt seyn, weil
dieses wesentlicher ist, als die Aehnlichkeit. Also
würde es hiebey hauptsächlich auf das Jdeal ankom-
men, dem die Aehnlichkeit, wo es nöthig ist, wei-
chen muß. Es muß sogleich in die Augen fallen,
was man an dem Menschen, dessen Bild man sieht,
zu verehren habe; ob es ausnehmende Redlichkeit
und Güte, oder Standhaftigkeit in großer Gefahr,
oder eine andere hohe Tugend, und Sinnesart ist.
Daß dergleichen bestimmter Ausdruk möglich sey,
sehen wir an einigen antiken Statuen der Götter
und Helden, die das Jdeal eines ziemlich genau be-
stimmten hohen Charakters ausdrüken. Viel antike
Statuen der Gottheiten sind in der That nichts an-
ders, als allegorische Vorstellungen ihrer Eigenschaf-
ten. Diese mußten durch menschliche Bildung aus-
gedrükt werden, weil außer der menschlichen Gestalt,
in der Natur nichts sichtbares ist, das durch eine
natürliche, nicht hieroglyphische Bedeutung, Eigen-
schaften eines denkenden Wesens ausdrükt. So ist
Jupiter ein Bild der ernsten Hoheit mit Güte ver-
bunden; Pallas ein Bild des höchsten Verstandes
und der höchsten Weisheit u. s. f. Plinius sagt von
einer Statue des Apollodorus, die Stlanie gemacht
hatte, sie habe nicht einen zornigen Menschen, son-
dern den zornigen Charakter selbst ausgedrükt. (+)
So sollten die Statuen großer Männer seyn.

Weil ein Charakter, wenn man ihn ganz fühlen
soll, besser erkannt wird, wenn die Person in Ruhe,
als wenn sie in einer einzelen bestimmten Handlung
begriffen ist; so würden wir ruhige Stellungen,
ohne bestimmte Handlung, zu den Statuen vorzichen.
Dieses scheinen die Alten auch vorzüglich beobachtet
zu haben. Nur in gewissen Fällen, wo die Größe
des Charakters sich am besten in der Handlung zei-
get, müßte Handlung gewählt werden. So würde

Achilles
[Spaltenumbruch] sie von Erzt, so sind die Kosten noch weit beträchtli-
cher. Von schlechten, aus geringem Sandstein, und
oben hin, nach Antiken copirt, oder sonst ohne Genie
gemacht, die man für zwey bis dreyhundert Rthlr. ha-
[Spaltenumbruch] ben kann, ist hier nicht die Rede; weil wir sie für gar
nichts halten.
(*) S.
Schönheit.
(**) S.
Bildhauer-
kunst. S.
175.
(+) Nez hominem (Apollodorum) ex aere secit, sed ira-
cundiam. Hist. Nat. L. XXXIV. c.
8.
Zweyter Theil. Y y y y y y

[Spaltenumbruch]

Sta
deſto wichtiger werden. Wir halten es fuͤr unnoͤ-
thig von Statuen zu ſprechen, die heidniſche Gott-
heiten, oder andre allegoriſche Weſen vorſtellen.
Dieſe leztern koͤnnten zwar wegen der geiſtreichen
Erfindung und guten Ausfuͤhrung ihren Werth ha-
ben. Wenn man aber die Koſtbarkeit eines ſolchen
Werks bedenkt, ſo ſcheinen ſie eben nicht ſehr zu
empfehlen zu ſeyn.

Der beſte und edelſte Gebrauch der von Statuen
zu machen iſt, beſteht ohne Zweifel darin, daß ſie zu
oͤffentlicher Verehrung großer Verdienſte um ein
ganzes Volk, und zur Reizung einer edlen Nachey-
ferung gebraucht werden. Zwar koͤnnte man dieſen
Zwek auch ſchon durch andre Ehrenmaͤler erhalten;
aber die Statue hat vor jedem andern Denkmal be-
traͤchtliche Vorzuͤge wegen der ausnehmenden aͤſthe-
tiſchen Kraft, die in der menſchlichen Geſtalt liegt,
wodurch die Statue nicht blos ein Zeichen, oder ein
todtes Sinnbild der Tugend iſt, ſondern einiger-
maaßen die Tugend ſelbſt ſichtbar abbildet. Da-
durch kann ſie außer dem Ehrevollen, das ſie hat,
noch in andern Abſichten nuͤzlich werden, wie ſchon
anderswo angemerkt worden iſt (*). Wir ſezen
hier voraus, was wir ſchon einmal (**) ausfuͤhrli-
cher angemerkt haben, daß ein wahrer Kuͤnſtler
große Seelen in der menſchlichen Bildung koͤnne
ſichtbar machen. Geſchieht dieſes in der Statue, ſo
iſt ſie nicht ein bloßes Denkmal; ſondern wuͤrket
auch auf die, die ihren Ausdruk zu empfinden im
Stande ſind, große Gedanken und Empfindungen,
die ein anderes Denkmal nicht erweken kann.

Aus dieſen Anmerkungen folget von ſelbſt alles,
was wir uͤber die Art und Beſchaffenheit dieſes
Werks der Kunſt zu ſagen haben. Sie ſtellt einen
Menſchen vor, der durch außerordentliche Verdienſte
verehrungswerth iſt. Alſo muß ſie an einem oͤffent-
lichen Orte, wo ſie den Augen der meiſten Menſchen
ausgeſezt iſt, auf ein genugſam erhaben Poſta-
ment geſezt werden, und eine verhaͤltnismaͤßige
Groͤße haben. Gemeine Lebensgroͤße iſt zu gering;
wie weit man aber daruͤber gehen ſoll, muß durch
den Plaz und die Erhoͤhung des Poſtaments beſtimmt
werden. Doch dieſes betrift nur das Aeußerliche.

[Spaltenumbruch]
Sta

Nach dem innern Charakter muß die Statue
zwar, ſo viel ohne Abbruch des wichtigern Theiles
geſchehen kann, die Leibesgeſtalt und Geſichtsbil-
dung der Perſon vorſtellen, aber das, wodurch ſich
dieſelbe hauptſaͤchlich verdient gemacht hat, die hohe
Sinnesart, die eigentliche Groͤße des Geiſtes, oder
Herzens, die den Hauptzug in dem Charakter aus-
macht, muß vorzuͤglich darin ausgedrukt ſeyn, weil
dieſes weſentlicher iſt, als die Aehnlichkeit. Alſo
wuͤrde es hiebey hauptſaͤchlich auf das Jdeal ankom-
men, dem die Aehnlichkeit, wo es noͤthig iſt, wei-
chen muß. Es muß ſogleich in die Augen fallen,
was man an dem Menſchen, deſſen Bild man ſieht,
zu verehren habe; ob es ausnehmende Redlichkeit
und Guͤte, oder Standhaftigkeit in großer Gefahr,
oder eine andere hohe Tugend, und Sinnesart iſt.
Daß dergleichen beſtimmter Ausdruk moͤglich ſey,
ſehen wir an einigen antiken Statuen der Goͤtter
und Helden, die das Jdeal eines ziemlich genau be-
ſtimmten hohen Charakters ausdruͤken. Viel antike
Statuen der Gottheiten ſind in der That nichts an-
ders, als allegoriſche Vorſtellungen ihrer Eigenſchaf-
ten. Dieſe mußten durch menſchliche Bildung aus-
gedruͤkt werden, weil außer der menſchlichen Geſtalt,
in der Natur nichts ſichtbares iſt, das durch eine
natuͤrliche, nicht hieroglyphiſche Bedeutung, Eigen-
ſchaften eines denkenden Weſens ausdruͤkt. So iſt
Jupiter ein Bild der ernſten Hoheit mit Guͤte ver-
bunden; Pallas ein Bild des hoͤchſten Verſtandes
und der hoͤchſten Weisheit u. ſ. f. Plinius ſagt von
einer Statue des Apollodorus, die Stlanie gemacht
hatte, ſie habe nicht einen zornigen Menſchen, ſon-
dern den zornigen Charakter ſelbſt ausgedruͤkt. (†)
So ſollten die Statuen großer Maͤnner ſeyn.

Weil ein Charakter, wenn man ihn ganz fuͤhlen
ſoll, beſſer erkannt wird, wenn die Perſon in Ruhe,
als wenn ſie in einer einzelen beſtimmten Handlung
begriffen iſt; ſo wuͤrden wir ruhige Stellungen,
ohne beſtimmte Handlung, zu den Statuen vorzichen.
Dieſes ſcheinen die Alten auch vorzuͤglich beobachtet
zu haben. Nur in gewiſſen Faͤllen, wo die Groͤße
des Charakters ſich am beſten in der Handlung zei-
get, muͤßte Handlung gewaͤhlt werden. So wuͤrde

Achilles
[Spaltenumbruch] ſie von Erzt, ſo ſind die Koſten noch weit betraͤchtli-
cher. Von ſchlechten, aus geringem Sandſtein, und
oben hin, nach Antiken copirt, oder ſonſt ohne Genie
gemacht, die man fuͤr zwey bis dreyhundert Rthlr. ha-
[Spaltenumbruch] ben kann, iſt hier nicht die Rede; weil wir ſie fuͤr gar
nichts halten.
(*) S.
Schoͤnheit.
(**) S.
Bildhauer-
kunſt. S.
175.
(†) Nez hominem (Apollodorum) ex ære ſecit, ſed ira-
cundiam. Hiſt. Nat. L. XXXIV. c.
8.
Zweyter Theil. Y y y y y y
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[1107[1089]/0536] Sta Sta deſto wichtiger werden. Wir halten es fuͤr unnoͤ- thig von Statuen zu ſprechen, die heidniſche Gott- heiten, oder andre allegoriſche Weſen vorſtellen. Dieſe leztern koͤnnten zwar wegen der geiſtreichen Erfindung und guten Ausfuͤhrung ihren Werth ha- ben. Wenn man aber die Koſtbarkeit eines ſolchen Werks bedenkt, ſo ſcheinen ſie eben nicht ſehr zu empfehlen zu ſeyn. Der beſte und edelſte Gebrauch der von Statuen zu machen iſt, beſteht ohne Zweifel darin, daß ſie zu oͤffentlicher Verehrung großer Verdienſte um ein ganzes Volk, und zur Reizung einer edlen Nachey- ferung gebraucht werden. Zwar koͤnnte man dieſen Zwek auch ſchon durch andre Ehrenmaͤler erhalten; aber die Statue hat vor jedem andern Denkmal be- traͤchtliche Vorzuͤge wegen der ausnehmenden aͤſthe- tiſchen Kraft, die in der menſchlichen Geſtalt liegt, wodurch die Statue nicht blos ein Zeichen, oder ein todtes Sinnbild der Tugend iſt, ſondern einiger- maaßen die Tugend ſelbſt ſichtbar abbildet. Da- durch kann ſie außer dem Ehrevollen, das ſie hat, noch in andern Abſichten nuͤzlich werden, wie ſchon anderswo angemerkt worden iſt (*). Wir ſezen hier voraus, was wir ſchon einmal (**) ausfuͤhrli- cher angemerkt haben, daß ein wahrer Kuͤnſtler große Seelen in der menſchlichen Bildung koͤnne ſichtbar machen. Geſchieht dieſes in der Statue, ſo iſt ſie nicht ein bloßes Denkmal; ſondern wuͤrket auch auf die, die ihren Ausdruk zu empfinden im Stande ſind, große Gedanken und Empfindungen, die ein anderes Denkmal nicht erweken kann. Aus dieſen Anmerkungen folget von ſelbſt alles, was wir uͤber die Art und Beſchaffenheit dieſes Werks der Kunſt zu ſagen haben. Sie ſtellt einen Menſchen vor, der durch außerordentliche Verdienſte verehrungswerth iſt. Alſo muß ſie an einem oͤffent- lichen Orte, wo ſie den Augen der meiſten Menſchen ausgeſezt iſt, auf ein genugſam erhaben Poſta- ment geſezt werden, und eine verhaͤltnismaͤßige Groͤße haben. Gemeine Lebensgroͤße iſt zu gering; wie weit man aber daruͤber gehen ſoll, muß durch den Plaz und die Erhoͤhung des Poſtaments beſtimmt werden. Doch dieſes betrift nur das Aeußerliche. Nach dem innern Charakter muß die Statue zwar, ſo viel ohne Abbruch des wichtigern Theiles geſchehen kann, die Leibesgeſtalt und Geſichtsbil- dung der Perſon vorſtellen, aber das, wodurch ſich dieſelbe hauptſaͤchlich verdient gemacht hat, die hohe Sinnesart, die eigentliche Groͤße des Geiſtes, oder Herzens, die den Hauptzug in dem Charakter aus- macht, muß vorzuͤglich darin ausgedrukt ſeyn, weil dieſes weſentlicher iſt, als die Aehnlichkeit. Alſo wuͤrde es hiebey hauptſaͤchlich auf das Jdeal ankom- men, dem die Aehnlichkeit, wo es noͤthig iſt, wei- chen muß. Es muß ſogleich in die Augen fallen, was man an dem Menſchen, deſſen Bild man ſieht, zu verehren habe; ob es ausnehmende Redlichkeit und Guͤte, oder Standhaftigkeit in großer Gefahr, oder eine andere hohe Tugend, und Sinnesart iſt. Daß dergleichen beſtimmter Ausdruk moͤglich ſey, ſehen wir an einigen antiken Statuen der Goͤtter und Helden, die das Jdeal eines ziemlich genau be- ſtimmten hohen Charakters ausdruͤken. Viel antike Statuen der Gottheiten ſind in der That nichts an- ders, als allegoriſche Vorſtellungen ihrer Eigenſchaf- ten. Dieſe mußten durch menſchliche Bildung aus- gedruͤkt werden, weil außer der menſchlichen Geſtalt, in der Natur nichts ſichtbares iſt, das durch eine natuͤrliche, nicht hieroglyphiſche Bedeutung, Eigen- ſchaften eines denkenden Weſens ausdruͤkt. So iſt Jupiter ein Bild der ernſten Hoheit mit Guͤte ver- bunden; Pallas ein Bild des hoͤchſten Verſtandes und der hoͤchſten Weisheit u. ſ. f. Plinius ſagt von einer Statue des Apollodorus, die Stlanie gemacht hatte, ſie habe nicht einen zornigen Menſchen, ſon- dern den zornigen Charakter ſelbſt ausgedruͤkt. (†) So ſollten die Statuen großer Maͤnner ſeyn. Weil ein Charakter, wenn man ihn ganz fuͤhlen ſoll, beſſer erkannt wird, wenn die Perſon in Ruhe, als wenn ſie in einer einzelen beſtimmten Handlung begriffen iſt; ſo wuͤrden wir ruhige Stellungen, ohne beſtimmte Handlung, zu den Statuen vorzichen. Dieſes ſcheinen die Alten auch vorzuͤglich beobachtet zu haben. Nur in gewiſſen Faͤllen, wo die Groͤße des Charakters ſich am beſten in der Handlung zei- get, muͤßte Handlung gewaͤhlt werden. So wuͤrde Achilles (†) (*) S. Schoͤnheit. (**) S. Bildhauer- kunſt. S. 175. (†) Nez hominem (Apollodorum) ex ære ſecit, ſed ira- cundiam. Hiſt. Nat. L. XXXIV. c. 8. (†) ſie von Erzt, ſo ſind die Koſten noch weit betraͤchtli- cher. Von ſchlechten, aus geringem Sandſtein, und oben hin, nach Antiken copirt, oder ſonſt ohne Genie gemacht, die man fuͤr zwey bis dreyhundert Rthlr. ha- ben kann, iſt hier nicht die Rede; weil wir ſie fuͤr gar nichts halten. Zweyter Theil. Y y y y y y

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 1107[1089]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/536>, abgerufen am 24.11.2024.