keit und Dauer einen Vorzug vor der männlichen habe. Die Stimme der Castraten, zu geschweigen, daß sie durch grausame und die Menschheit schän- dende Mittel erzwungen wird, und selten geräth, verbindet, wenn sie auch am vollkommensten ist, mit ihrer Annehmlichkeit doch so viel unnatürliches, daß sie mit einer schönen weiblichen Stimme nicht in Vergleichung zu ziehen ist. Deutschland zeugt vor vielen andern Nationen vortreffliche Baßstimmen.
Die Stimmen werden überhaupt in hohe und tiefe eingetheilt. Hohe sind: der Discant und Alt; tiefe: der Tenor und Baß. Knaben und Frauen- zimmer singen den Discant; Jünglinge von noch nicht reifen Alter haben insgemein eine Altstimme; Männern ist der Tenor und Baß eigen. Der na- türliche Umfang jeder Stimme, den ein Tonsezer, der für die gewöhnlichen Menschenstimmen sezt, in Chören nicht überschreiten muß, ist von einer De- cime, höchstens einer Undecime in allen Stim- men, wie aus dieser Vorstellung zu sehen ist:
[Abbildung]
Jn Arien ist ihm eher vergönnt, noch einen Ton höher oder tiefer zu gehen, weil nur ein Sänger, der den Umfang der Stimme habe, dazu nöthig ist. Wenn die Musik von einer Orgel, die im Chorton gestimmt ist, begleitet wird, so ist auch hierauf Rüksicht zu nehmen; der Umfang jeder Stimme ist alsdenn um einen Ton tiefer.
Aber nicht alle Stimmen sind in dem Umfang ei- ner Decime oder Undecime eingeschränkt. Einige gehen noch um einen oder etliche Töne höher; an- dere tiefer. Mancher hat eine Stimme, die dritte- halb Octaven im Umfange hat. Es giebt Discant- stimmen, die bis ins dreygestrichene d und noch hö- her gehen; es giebt auch hohe oder tiefe Altstimmen. Für solche Stimmen aber sezt der Tonsezer nur in besondern Fällen.
Daß der Klang der menschlichen Stimme großen Vorzug vor jedem Jnstrument, von welcher Art es sey, habe, fühlt jedes Ohr. Man empfindet bey einer guten Stimme mit dem Klang, der das Ge- hör rühret, etwas von der Seele der singenden Per- son; sie hat etwas mehr, als körperliches: was eine Statue gegen einen lebenden Menschen ist, das [Spaltenumbruch]
Sti
ist der Ton eines Jnstruments, gegen den Ton der Menschenstimme. Daher sind die Singstüke die wichtigsten Werke der Musik, und es ist nicht mög- lich durch Jnstrumente, so gut sie auch gespiehlt werden, so tief in die Herzen zu dringen, als durch Menschenstimmen. Und doch sollte man aus der Beschaffenheit der gewöhnlichen Concerte das Gegentheil schließen. Sie sind durchgehends so be- schaffen, daß man denken sollte, die Tonkünstler sähen das Singen, als eine Nebensach an; denn man hört allemal zehen Jnstrumentalstüke gegen ein Singstük, und gegen hundert Liebhaber, die auf Jnstrumenten spiehlen lernen, findet man kaum ei- nen, der sich auf das Singen legt.
Stimmen. Stimmung. (Musik.)
Von der richtigen Stimmung der Jnstrumente hängt bey der Aufführung der Tonstüke die Reinig- keit der Harmonie, folglich ein beträchtlicher Theil der guten Würkung eines Stüks ab. Wir haben deswegen für nöthig erachtet, in diesem Artikel das was zur richtigen Stimmung der verschiedenen Jn- strumente gehört, ausführlich vorzutragen.
Zuerst wird in jedem Jnstrument ein Ton festge- sezet, mit dem die übrigen Töne in ihrer Höhe oder Tiefe verglichen werden. Dieser Ton kann bey ei- nem einzelnen Jnstrument willkührlich seyn; wo aber mehr Jnstrumente zugleich spiehlen sollen, ist nöthig, daß alle nach einem Ton, nämlich gleich gestimmt seyen. Es ist aber bey dem Mangel der vollkommenen Reinigkeit verschiedener Jntervalle unsers heutigen Systems (*), und bey der verschie- denen mechanischen Einrichtung der Jnstrumente nicht gleichgültig, welcher Ton zum Stimmton ge- wählet werde, wenn die Spiehler in allen Tonarten gleich rein zusammen stimmen sollen. Da dieses in einem Orchester von der äußersten Wichtigkeit ist, und so wenig bestimmt worden, daß jeder sein Jn- strument nach Gutdünken zu stimmen pflegt, und den ersten den besten Stimmton, der ihm bequäm ist, wählet, ohne zu bedenken, daß dieser Ton tem- perirt, und gegen andere Jnstrumente zu hoch oder zu tief seyn könne, wodurch denn für jedes feine Gehör oft die übelste Würkung im Ganzen entsteht; so wollen wir hier eine leichte und richtige Methode angeben, nach welcher zuerst die Orgel oder das Cla- vicembel, gestimmt seyn müsse; und dann die
Stimm-
(*) S. Sy- stem. Tem- peratur.
[Spaltenumbruch]
Sti
keit und Dauer einen Vorzug vor der maͤnnlichen habe. Die Stimme der Caſtraten, zu geſchweigen, daß ſie durch grauſame und die Menſchheit ſchaͤn- dende Mittel erzwungen wird, und ſelten geraͤth, verbindet, wenn ſie auch am vollkommenſten iſt, mit ihrer Annehmlichkeit doch ſo viel unnatuͤrliches, daß ſie mit einer ſchoͤnen weiblichen Stimme nicht in Vergleichung zu ziehen iſt. Deutſchland zeugt vor vielen andern Nationen vortreffliche Baßſtimmen.
Die Stimmen werden uͤberhaupt in hohe und tiefe eingetheilt. Hohe ſind: der Diſcant und Alt; tiefe: der Tenor und Baß. Knaben und Frauen- zimmer ſingen den Diſcant; Juͤnglinge von noch nicht reifen Alter haben insgemein eine Altſtimme; Maͤnnern iſt der Tenor und Baß eigen. Der na- tuͤrliche Umfang jeder Stimme, den ein Tonſezer, der fuͤr die gewoͤhnlichen Menſchenſtimmen ſezt, in Choͤren nicht uͤberſchreiten muß, iſt von einer De- cime, hoͤchſtens einer Undecime in allen Stim- men, wie aus dieſer Vorſtellung zu ſehen iſt:
[Abbildung]
Jn Arien iſt ihm eher vergoͤnnt, noch einen Ton hoͤher oder tiefer zu gehen, weil nur ein Saͤnger, der den Umfang der Stimme habe, dazu noͤthig iſt. Wenn die Muſik von einer Orgel, die im Chorton geſtimmt iſt, begleitet wird, ſo iſt auch hierauf Ruͤkſicht zu nehmen; der Umfang jeder Stimme iſt alsdenn um einen Ton tiefer.
Aber nicht alle Stimmen ſind in dem Umfang ei- ner Decime oder Undecime eingeſchraͤnkt. Einige gehen noch um einen oder etliche Toͤne hoͤher; an- dere tiefer. Mancher hat eine Stimme, die dritte- halb Octaven im Umfange hat. Es giebt Diſcant- ſtimmen, die bis ins dreygeſtrichene d und noch hoͤ- her gehen; es giebt auch hohe oder tiefe Altſtimmen. Fuͤr ſolche Stimmen aber ſezt der Tonſezer nur in beſondern Faͤllen.
Daß der Klang der menſchlichen Stimme großen Vorzug vor jedem Jnſtrument, von welcher Art es ſey, habe, fuͤhlt jedes Ohr. Man empfindet bey einer guten Stimme mit dem Klang, der das Ge- hoͤr ruͤhret, etwas von der Seele der ſingenden Per- ſon; ſie hat etwas mehr, als koͤrperliches: was eine Statue gegen einen lebenden Menſchen iſt, das [Spaltenumbruch]
Sti
iſt der Ton eines Jnſtruments, gegen den Ton der Menſchenſtimme. Daher ſind die Singſtuͤke die wichtigſten Werke der Muſik, und es iſt nicht moͤg- lich durch Jnſtrumente, ſo gut ſie auch geſpiehlt werden, ſo tief in die Herzen zu dringen, als durch Menſchenſtimmen. Und doch ſollte man aus der Beſchaffenheit der gewoͤhnlichen Concerte das Gegentheil ſchließen. Sie ſind durchgehends ſo be- ſchaffen, daß man denken ſollte, die Tonkuͤnſtler ſaͤhen das Singen, als eine Nebenſach an; denn man hoͤrt allemal zehen Jnſtrumentalſtuͤke gegen ein Singſtuͤk, und gegen hundert Liebhaber, die auf Jnſtrumenten ſpiehlen lernen, findet man kaum ei- nen, der ſich auf das Singen legt.
Stimmen. Stimmung. (Muſik.)
Von der richtigen Stimmung der Jnſtrumente haͤngt bey der Auffuͤhrung der Tonſtuͤke die Reinig- keit der Harmonie, folglich ein betraͤchtlicher Theil der guten Wuͤrkung eines Stuͤks ab. Wir haben deswegen fuͤr noͤthig erachtet, in dieſem Artikel das was zur richtigen Stimmung der verſchiedenen Jn- ſtrumente gehoͤrt, ausfuͤhrlich vorzutragen.
Zuerſt wird in jedem Jnſtrument ein Ton feſtge- ſezet, mit dem die uͤbrigen Toͤne in ihrer Hoͤhe oder Tiefe verglichen werden. Dieſer Ton kann bey ei- nem einzelnen Jnſtrument willkuͤhrlich ſeyn; wo aber mehr Jnſtrumente zugleich ſpiehlen ſollen, iſt noͤthig, daß alle nach einem Ton, naͤmlich gleich geſtimmt ſeyen. Es iſt aber bey dem Mangel der vollkommenen Reinigkeit verſchiedener Jntervalle unſers heutigen Syſtems (*), und bey der verſchie- denen mechaniſchen Einrichtung der Jnſtrumente nicht gleichguͤltig, welcher Ton zum Stimmton ge- waͤhlet werde, wenn die Spiehler in allen Tonarten gleich rein zuſammen ſtimmen ſollen. Da dieſes in einem Orcheſter von der aͤußerſten Wichtigkeit iſt, und ſo wenig beſtimmt worden, daß jeder ſein Jn- ſtrument nach Gutduͤnken zu ſtimmen pflegt, und den erſten den beſten Stimmton, der ihm bequaͤm iſt, waͤhlet, ohne zu bedenken, daß dieſer Ton tem- perirt, und gegen andere Jnſtrumente zu hoch oder zu tief ſeyn koͤnne, wodurch denn fuͤr jedes feine Gehoͤr oft die uͤbelſte Wuͤrkung im Ganzen entſteht; ſo wollen wir hier eine leichte und richtige Methode angeben, nach welcher zuerſt die Orgel oder das Cla- vicembel, geſtimmt ſeyn muͤſſe; und dann die
Stimm-
(*) S. Sy- ſtem. Tem- peratur.
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[1112[1094]/0541]
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keit und Dauer einen Vorzug vor der maͤnnlichen
habe. Die Stimme der Caſtraten, zu geſchweigen,
daß ſie durch grauſame und die Menſchheit ſchaͤn-
dende Mittel erzwungen wird, und ſelten geraͤth,
verbindet, wenn ſie auch am vollkommenſten iſt, mit
ihrer Annehmlichkeit doch ſo viel unnatuͤrliches, daß
ſie mit einer ſchoͤnen weiblichen Stimme nicht in
Vergleichung zu ziehen iſt. Deutſchland zeugt vor
vielen andern Nationen vortreffliche Baßſtimmen.
Die Stimmen werden uͤberhaupt in hohe und
tiefe eingetheilt. Hohe ſind: der Diſcant und Alt;
tiefe: der Tenor und Baß. Knaben und Frauen-
zimmer ſingen den Diſcant; Juͤnglinge von noch
nicht reifen Alter haben insgemein eine Altſtimme;
Maͤnnern iſt der Tenor und Baß eigen. Der na-
tuͤrliche Umfang jeder Stimme, den ein Tonſezer,
der fuͤr die gewoͤhnlichen Menſchenſtimmen ſezt,
in Choͤren nicht uͤberſchreiten muß, iſt von einer De-
cime, hoͤchſtens einer Undecime in allen Stim-
men, wie aus dieſer Vorſtellung zu ſehen iſt:
[Abbildung]
Jn Arien iſt ihm eher vergoͤnnt, noch einen Ton
hoͤher oder tiefer zu gehen, weil nur ein Saͤnger,
der den Umfang der Stimme habe, dazu noͤthig iſt.
Wenn die Muſik von einer Orgel, die im Chorton
geſtimmt iſt, begleitet wird, ſo iſt auch hierauf
Ruͤkſicht zu nehmen; der Umfang jeder Stimme iſt
alsdenn um einen Ton tiefer.
Aber nicht alle Stimmen ſind in dem Umfang ei-
ner Decime oder Undecime eingeſchraͤnkt. Einige
gehen noch um einen oder etliche Toͤne hoͤher; an-
dere tiefer. Mancher hat eine Stimme, die dritte-
halb Octaven im Umfange hat. Es giebt Diſcant-
ſtimmen, die bis ins dreygeſtrichene d und noch hoͤ-
her gehen; es giebt auch hohe oder tiefe Altſtimmen.
Fuͤr ſolche Stimmen aber ſezt der Tonſezer nur in
beſondern Faͤllen.
Daß der Klang der menſchlichen Stimme großen
Vorzug vor jedem Jnſtrument, von welcher Art es
ſey, habe, fuͤhlt jedes Ohr. Man empfindet bey
einer guten Stimme mit dem Klang, der das Ge-
hoͤr ruͤhret, etwas von der Seele der ſingenden Per-
ſon; ſie hat etwas mehr, als koͤrperliches: was
eine Statue gegen einen lebenden Menſchen iſt, das
iſt der Ton eines Jnſtruments, gegen den Ton der
Menſchenſtimme. Daher ſind die Singſtuͤke die
wichtigſten Werke der Muſik, und es iſt nicht moͤg-
lich durch Jnſtrumente, ſo gut ſie auch geſpiehlt
werden, ſo tief in die Herzen zu dringen, als
durch Menſchenſtimmen. Und doch ſollte man aus
der Beſchaffenheit der gewoͤhnlichen Concerte das
Gegentheil ſchließen. Sie ſind durchgehends ſo be-
ſchaffen, daß man denken ſollte, die Tonkuͤnſtler
ſaͤhen das Singen, als eine Nebenſach an; denn
man hoͤrt allemal zehen Jnſtrumentalſtuͤke gegen ein
Singſtuͤk, und gegen hundert Liebhaber, die auf
Jnſtrumenten ſpiehlen lernen, findet man kaum ei-
nen, der ſich auf das Singen legt.
Stimmen. Stimmung.
(Muſik.)
Von der richtigen Stimmung der Jnſtrumente
haͤngt bey der Auffuͤhrung der Tonſtuͤke die Reinig-
keit der Harmonie, folglich ein betraͤchtlicher Theil
der guten Wuͤrkung eines Stuͤks ab. Wir haben
deswegen fuͤr noͤthig erachtet, in dieſem Artikel das
was zur richtigen Stimmung der verſchiedenen Jn-
ſtrumente gehoͤrt, ausfuͤhrlich vorzutragen.
Zuerſt wird in jedem Jnſtrument ein Ton feſtge-
ſezet, mit dem die uͤbrigen Toͤne in ihrer Hoͤhe oder
Tiefe verglichen werden. Dieſer Ton kann bey ei-
nem einzelnen Jnſtrument willkuͤhrlich ſeyn; wo
aber mehr Jnſtrumente zugleich ſpiehlen ſollen, iſt
noͤthig, daß alle nach einem Ton, naͤmlich gleich
geſtimmt ſeyen. Es iſt aber bey dem Mangel der
vollkommenen Reinigkeit verſchiedener Jntervalle
unſers heutigen Syſtems (*), und bey der verſchie-
denen mechaniſchen Einrichtung der Jnſtrumente
nicht gleichguͤltig, welcher Ton zum Stimmton ge-
waͤhlet werde, wenn die Spiehler in allen Tonarten
gleich rein zuſammen ſtimmen ſollen. Da dieſes in
einem Orcheſter von der aͤußerſten Wichtigkeit iſt,
und ſo wenig beſtimmt worden, daß jeder ſein Jn-
ſtrument nach Gutduͤnken zu ſtimmen pflegt, und
den erſten den beſten Stimmton, der ihm bequaͤm
iſt, waͤhlet, ohne zu bedenken, daß dieſer Ton tem-
perirt, und gegen andere Jnſtrumente zu hoch oder
zu tief ſeyn koͤnne, wodurch denn fuͤr jedes feine
Gehoͤr oft die uͤbelſte Wuͤrkung im Ganzen entſteht;
ſo wollen wir hier eine leichte und richtige Methode
angeben, nach welcher zuerſt die Orgel oder das Cla-
vicembel, geſtimmt ſeyn muͤſſe; und dann die
Stimm-
(*) S. Sy-
ſtem. Tem-
peratur.
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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 1112[1094]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/541>, abgerufen am 24.11.2024.
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