Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774.

Bild:
<< vorherige Seite

[Spaltenumbruch]

Syst
oder tiefern Ton versezt werden. Allein dieses konnte
selten so geschehen, daß die Jntervalle dieselben blie-
ben; der ganze Gesang mußte nothwendig seinen
Charakter verliehren, wenn der Ton in welchen das
Stük herauf oder herabgesezt wurd, im System
andre Jntervalle hatte, als der ursprüngliche Haupt-
ton. Wir wollen z. B. sezen, man hätte einen Ge-
sang dessen Hauptton C war, aus dem Ton F sin-
gen wollen; so gab diese Transposition dem Grund-
ton eine andere Sexte, als die war, die der Grund-
ton C hatte. Andre Transpositionen hätten so gar
die Terz verändert, und statt der kleinen eine große
gegeben u. s. f.

Es ist sehr zu vermuthen, daß dieses die Organi-
sten veranlasset habe, auf Einführung mehrerer Töne
zu denken, wodurch sie die Bequämlichkeit erhalten
könnten, den transponirten Gesang dem ursprüng-
lichen ähnlich zu machen. Wir wollen z. B. sezen,
ein Organiste habe auf ein Mittel gedacht, den Ton
G dem Tone C ähnlich zu machen. Da begreift
man leichte, daß er darauf fallen müssen, zwischen
F und G noch einen halben Ton einzuschalten, um
in F auf eben die Weise zu schließen, wie in C ge-
schlossen wird. Und aus diesem Beyspiehle wird
man auch die allmählige Einführung der übrigen
Semitonien Cis, Dis und Gis leicht begreifen. Da-
durch wurd also allmählig das System mit neuen
Tönen bereichert, und man bekam anstatt der ehe-
maligen acht oder neun Töne in der Octave nun
dreyzehen. (+)

Es ist aber ein Jrrthum, wenn man diese neuen
Töne für chromatische Töne ausgiebt: sie können
chromatisch gebraucht werden (*), aber sie wurden
anfänglich blos diatonisch gebraucht, Cis als die
große diatonische Septime von D, so wie H die Sep-
time von C war u. s. f. Wie aber übrigens diese
neuen Töne in ihren Verhältnissen gegen C beschaf-
fen gewesen, läßt sich nicht genau bestimmen; weil
vermuthlich jeder Organiste nach dem Gehör, und
und wie es die Absicht in der er jeden neuen Ton
angebracht hat, erfoderte, wird gestimmt haben.

[Spaltenumbruch]
Syst

Nachdem man einmal so weit gekommen war,
fieng man in der neuern Zeit an auf eine ganz andre
Anwendung dieser vier neuen Sayten, oder Töne zu
denken. Denn nun bemerkte man, daß das Sy-
stem von dreyzehen Tönen so könnte eingerichtet
werden, daß jeder zu einer Tonica, und zwar sowol
nach der harten, als nach der weichen Tonart ge-
macht werden könnte; so daß man anstatt der zwölf
alten Töne, deren einige die harte, andre die weiche
Tonart hatten, nunmehr vier und zwanzig haben
wollte, davon zwölf die harte und eben so viel die
weiche Tonart hätten.

Ob dadurch die Musik gewonnen, oder verlohren
habe, wollen wir hier nicht untersuchen; es ist hef-
tig darüber gestritten worden. Jn dem Artikel
über die Tonarten der Alten wird dieser Streit be-
rührt werden. Wir müssen hier, wo es blos um
die Erklärung des Systems zu thun ist, voraus se-
zen, man wolle jede Sayte des Systems zum Haupt-
ton sowol für die harte, als für die weiche Tonart,
machen.

Diesem zufolge müßte nun das System so einge-
richtet werden, daß jede der 12 Sayten von C bis H
ihre reine sowol kleine, als große Terz, ihre reine
Quart und Quinte hätte. Man wird aber bald
gewahr, daß dieses unmöglich angehe, wenn man
nicht noch mehr Sayten oder Töne in das System
bringt. Alsdenn könnte es leicht einigen einfallen,
diese neuen Töne auch wieder zu Haupttönen zu
machen; dieses würde wieder neue Töne erfodern,
und so müßte man das System bis ins Unendliche
vermehren. (*) Man fand also vor gut, bey den
dreyzehen Tönen stehen zu bleiben, und diese so zu
stimmen, daß jeder davon zum Hauptton konnte ge-
macht werden, aus dem man sowol in der harten,
als weichen Tonart, wo nicht ganz rein, (welches
bey jeder festgesezter Stimmung unmöglich ist) doch
so spiehlen könnte, daß auch ein empfindsames Ohr
sich dabey befriedigen würde.

Allein über die beste Einrichtung dieses Systems
hat man sich bis auf diesen Tag nicht vergleichen
können. Vielen dünkt die Einrichtung die beste,

da
(+) Ehe diese Semitonien auf den Orgeln eingeführt
worden, konnten zwar die Sänger die Jntervalle des trans-
ponirten Tones so treffen, wie sie in dem Ursprünglichen
waren, aber die Orgel hatte sie nicht. Daher findet man
noch Stüke, da so gar die Terz, weil sie der Orgel fehlte,
[Spaltenumbruch] aus dem Dreyklang weggelassen worden. Man begnügete
sich, daß die Sänger sie angeben konnten. Hieraus wird
es sehr wahrscheinlich, daß dieses die Einführung der feh-
lenden Semitonien veranlasset habe.
(*) S.
Chroma-
tisch.
(*) S.
Tempera-
tur.

[Spaltenumbruch]

Syſt
oder tiefern Ton verſezt werden. Allein dieſes konnte
ſelten ſo geſchehen, daß die Jntervalle dieſelben blie-
ben; der ganze Geſang mußte nothwendig ſeinen
Charakter verliehren, wenn der Ton in welchen das
Stuͤk herauf oder herabgeſezt wurd, im Syſtem
andre Jntervalle hatte, als der urſpruͤngliche Haupt-
ton. Wir wollen z. B. ſezen, man haͤtte einen Ge-
ſang deſſen Hauptton C war, aus dem Ton F ſin-
gen wollen; ſo gab dieſe Transpoſition dem Grund-
ton eine andere Sexte, als die war, die der Grund-
ton C hatte. Andre Transpoſitionen haͤtten ſo gar
die Terz veraͤndert, und ſtatt der kleinen eine große
gegeben u. ſ. f.

Es iſt ſehr zu vermuthen, daß dieſes die Organi-
ſten veranlaſſet habe, auf Einfuͤhrung mehrerer Toͤne
zu denken, wodurch ſie die Bequaͤmlichkeit erhalten
koͤnnten, den transponirten Geſang dem urſpruͤng-
lichen aͤhnlich zu machen. Wir wollen z. B. ſezen,
ein Organiſte habe auf ein Mittel gedacht, den Ton
G dem Tone C aͤhnlich zu machen. Da begreift
man leichte, daß er darauf fallen muͤſſen, zwiſchen
F und G noch einen halben Ton einzuſchalten, um
in F auf eben die Weiſe zu ſchließen, wie in C ge-
ſchloſſen wird. Und aus dieſem Beyſpiehle wird
man auch die allmaͤhlige Einfuͤhrung der uͤbrigen
Semitonien Cis, Dis und Gis leicht begreifen. Da-
durch wurd alſo allmaͤhlig das Syſtem mit neuen
Toͤnen bereichert, und man bekam anſtatt der ehe-
maligen acht oder neun Toͤne in der Octave nun
dreyzehen. (†)

Es iſt aber ein Jrrthum, wenn man dieſe neuen
Toͤne fuͤr chromatiſche Toͤne ausgiebt: ſie koͤnnen
chromatiſch gebraucht werden (*), aber ſie wurden
anfaͤnglich blos diatoniſch gebraucht, Cis als die
große diatoniſche Septime von D, ſo wie H die Sep-
time von C war u. ſ. f. Wie aber uͤbrigens dieſe
neuen Toͤne in ihren Verhaͤltniſſen gegen C beſchaf-
fen geweſen, laͤßt ſich nicht genau beſtimmen; weil
vermuthlich jeder Organiſte nach dem Gehoͤr, und
und wie es die Abſicht in der er jeden neuen Ton
angebracht hat, erfoderte, wird geſtimmt haben.

[Spaltenumbruch]
Syſt

Nachdem man einmal ſo weit gekommen war,
fieng man in der neuern Zeit an auf eine ganz andre
Anwendung dieſer vier neuen Sayten, oder Toͤne zu
denken. Denn nun bemerkte man, daß das Sy-
ſtem von dreyzehen Toͤnen ſo koͤnnte eingerichtet
werden, daß jeder zu einer Tonica, und zwar ſowol
nach der harten, als nach der weichen Tonart ge-
macht werden koͤnnte; ſo daß man anſtatt der zwoͤlf
alten Toͤne, deren einige die harte, andre die weiche
Tonart hatten, nunmehr vier und zwanzig haben
wollte, davon zwoͤlf die harte und eben ſo viel die
weiche Tonart haͤtten.

Ob dadurch die Muſik gewonnen, oder verlohren
habe, wollen wir hier nicht unterſuchen; es iſt hef-
tig daruͤber geſtritten worden. Jn dem Artikel
uͤber die Tonarten der Alten wird dieſer Streit be-
ruͤhrt werden. Wir muͤſſen hier, wo es blos um
die Erklaͤrung des Syſtems zu thun iſt, voraus ſe-
zen, man wolle jede Sayte des Syſtems zum Haupt-
ton ſowol fuͤr die harte, als fuͤr die weiche Tonart,
machen.

Dieſem zufolge muͤßte nun das Syſtem ſo einge-
richtet werden, daß jede der 12 Sayten von C bis H
ihre reine ſowol kleine, als große Terz, ihre reine
Quart und Quinte haͤtte. Man wird aber bald
gewahr, daß dieſes unmoͤglich angehe, wenn man
nicht noch mehr Sayten oder Toͤne in das Syſtem
bringt. Alsdenn koͤnnte es leicht einigen einfallen,
dieſe neuen Toͤne auch wieder zu Haupttoͤnen zu
machen; dieſes wuͤrde wieder neue Toͤne erfodern,
und ſo muͤßte man das Syſtem bis ins Unendliche
vermehren. (*) Man fand alſo vor gut, bey den
dreyzehen Toͤnen ſtehen zu bleiben, und dieſe ſo zu
ſtimmen, daß jeder davon zum Hauptton konnte ge-
macht werden, aus dem man ſowol in der harten,
als weichen Tonart, wo nicht ganz rein, (welches
bey jeder feſtgeſezter Stimmung unmoͤglich iſt) doch
ſo ſpiehlen koͤnnte, daß auch ein empfindſames Ohr
ſich dabey befriedigen wuͤrde.

Allein uͤber die beſte Einrichtung dieſes Syſtems
hat man ſich bis auf dieſen Tag nicht vergleichen
koͤnnen. Vielen duͤnkt die Einrichtung die beſte,

da
(†) Ehe dieſe Semitonien auf den Orgeln eingefuͤhrt
worden, konnten zwar die Saͤnger die Jntervalle des trans-
ponirten Tones ſo treffen, wie ſie in dem Urſpruͤnglichen
waren, aber die Orgel hatte ſie nicht. Daher findet man
noch Stuͤke, da ſo gar die Terz, weil ſie der Orgel fehlte,
[Spaltenumbruch] aus dem Dreyklang weggelaſſen worden. Man begnuͤgete
ſich, daß die Saͤnger ſie angeben konnten. Hieraus wird
es ſehr wahrſcheinlich, daß dieſes die Einfuͤhrung der feh-
lenden Semitonien veranlaſſet habe.
(*) S.
Chroma-
tiſch.
(*) S.
Tempera-
tur.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0557" n="1128[1110]"/><cb/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Sy&#x017F;t</hi></fw><lb/>
oder tiefern Ton ver&#x017F;ezt werden. Allein die&#x017F;es konnte<lb/>
&#x017F;elten &#x017F;o ge&#x017F;chehen, daß die Jntervalle die&#x017F;elben blie-<lb/>
ben; der ganze Ge&#x017F;ang mußte nothwendig &#x017F;einen<lb/>
Charakter verliehren, wenn der Ton in welchen das<lb/>
Stu&#x0364;k herauf oder herabge&#x017F;ezt wurd, im Sy&#x017F;tem<lb/>
andre Jntervalle hatte, als der ur&#x017F;pru&#x0364;ngliche Haupt-<lb/>
ton. Wir wollen z. B. &#x017F;ezen, man ha&#x0364;tte einen Ge-<lb/>
&#x017F;ang de&#x017F;&#x017F;en Hauptton <hi rendition="#aq">C</hi> war, aus dem Ton <hi rendition="#aq">F</hi> &#x017F;in-<lb/>
gen wollen; &#x017F;o gab die&#x017F;e Transpo&#x017F;ition dem Grund-<lb/>
ton eine andere Sexte, als die war, die der Grund-<lb/>
ton <hi rendition="#aq">C</hi> hatte. Andre Transpo&#x017F;itionen ha&#x0364;tten &#x017F;o gar<lb/>
die Terz vera&#x0364;ndert, und &#x017F;tatt der kleinen eine große<lb/>
gegeben u. &#x017F;. f.</p><lb/>
          <p>Es i&#x017F;t &#x017F;ehr zu vermuthen, daß die&#x017F;es die Organi-<lb/>
&#x017F;ten veranla&#x017F;&#x017F;et habe, auf Einfu&#x0364;hrung mehrerer To&#x0364;ne<lb/>
zu denken, wodurch &#x017F;ie die Bequa&#x0364;mlichkeit erhalten<lb/>
ko&#x0364;nnten, den transponirten Ge&#x017F;ang dem ur&#x017F;pru&#x0364;ng-<lb/>
lichen a&#x0364;hnlich zu machen. Wir wollen z. B. &#x017F;ezen,<lb/>
ein Organi&#x017F;te habe auf ein Mittel gedacht, den Ton<lb/><hi rendition="#aq">G</hi> dem Tone <hi rendition="#aq">C</hi> a&#x0364;hnlich zu machen. Da begreift<lb/>
man leichte, daß er darauf fallen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, zwi&#x017F;chen<lb/><hi rendition="#aq">F</hi> und <hi rendition="#aq">G</hi> noch einen halben Ton einzu&#x017F;chalten, um<lb/>
in <hi rendition="#aq">F</hi> auf eben die Wei&#x017F;e zu &#x017F;chließen, wie in <hi rendition="#aq">C</hi> ge-<lb/>
&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en wird. Und aus die&#x017F;em Bey&#x017F;piehle wird<lb/>
man auch die allma&#x0364;hlige Einfu&#x0364;hrung der u&#x0364;brigen<lb/>
Semitonien <hi rendition="#aq">Cis, Dis</hi> und <hi rendition="#aq">Gis</hi> leicht begreifen. Da-<lb/>
durch wurd al&#x017F;o allma&#x0364;hlig das Sy&#x017F;tem mit neuen<lb/>
To&#x0364;nen bereichert, und man bekam an&#x017F;tatt der ehe-<lb/>
maligen acht oder neun To&#x0364;ne in der Octave nun<lb/>
dreyzehen. <note place="foot" n="(&#x2020;)">Ehe die&#x017F;e Semitonien auf den Orgeln eingefu&#x0364;hrt<lb/>
worden, konnten zwar die Sa&#x0364;nger die Jntervalle des trans-<lb/>
ponirten Tones &#x017F;o treffen, wie &#x017F;ie in dem Ur&#x017F;pru&#x0364;nglichen<lb/>
waren, aber die Orgel hatte &#x017F;ie nicht. Daher findet man<lb/>
noch Stu&#x0364;ke, da &#x017F;o gar die Terz, weil &#x017F;ie der Orgel fehlte,<lb/><cb/>
aus dem Dreyklang weggela&#x017F;&#x017F;en worden. Man begnu&#x0364;gete<lb/>
&#x017F;ich, daß die Sa&#x0364;nger &#x017F;ie angeben konnten. Hieraus wird<lb/>
es &#x017F;ehr wahr&#x017F;cheinlich, daß die&#x017F;es die Einfu&#x0364;hrung der feh-<lb/>
lenden Semitonien veranla&#x017F;&#x017F;et habe.</note></p><lb/>
          <p>Es i&#x017F;t aber ein Jrrthum, wenn man die&#x017F;e neuen<lb/>
To&#x0364;ne fu&#x0364;r chromati&#x017F;che To&#x0364;ne ausgiebt: &#x017F;ie ko&#x0364;nnen<lb/>
chromati&#x017F;ch gebraucht werden <note place="foot" n="(*)">S.<lb/>
Chroma-<lb/>
ti&#x017F;ch.</note>, aber &#x017F;ie wurden<lb/>
anfa&#x0364;nglich blos diatoni&#x017F;ch gebraucht, <hi rendition="#aq">Cis</hi> als die<lb/>
große diatoni&#x017F;che Septime von <hi rendition="#aq">D,</hi> &#x017F;o wie <hi rendition="#aq">H</hi> die Sep-<lb/>
time von <hi rendition="#aq">C</hi> war u. &#x017F;. f. Wie aber u&#x0364;brigens die&#x017F;e<lb/>
neuen To&#x0364;ne in ihren Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;en gegen <hi rendition="#aq">C</hi> be&#x017F;chaf-<lb/>
fen gewe&#x017F;en, la&#x0364;ßt &#x017F;ich nicht genau be&#x017F;timmen; weil<lb/>
vermuthlich jeder Organi&#x017F;te nach dem Geho&#x0364;r, und<lb/>
und wie es die Ab&#x017F;icht in der er jeden neuen Ton<lb/>
angebracht hat, erfoderte, wird ge&#x017F;timmt haben.</p><lb/>
          <cb/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#g">Sy&#x017F;t</hi> </fw><lb/>
          <p>Nachdem man einmal &#x017F;o weit gekommen war,<lb/>
fieng man in der neuern Zeit an auf eine ganz andre<lb/>
Anwendung die&#x017F;er vier neuen Sayten, oder To&#x0364;ne zu<lb/>
denken. Denn nun bemerkte man, daß das Sy-<lb/>
&#x017F;tem von dreyzehen To&#x0364;nen &#x017F;o ko&#x0364;nnte eingerichtet<lb/>
werden, daß jeder zu einer Tonica, und zwar &#x017F;owol<lb/>
nach der harten, als nach der weichen Tonart ge-<lb/>
macht werden ko&#x0364;nnte; &#x017F;o daß man an&#x017F;tatt der zwo&#x0364;lf<lb/>
alten To&#x0364;ne, deren einige die harte, andre die weiche<lb/>
Tonart hatten, nunmehr vier und zwanzig haben<lb/>
wollte, davon zwo&#x0364;lf die harte und eben &#x017F;o viel die<lb/>
weiche Tonart ha&#x0364;tten.</p><lb/>
          <p>Ob dadurch die Mu&#x017F;ik gewonnen, oder verlohren<lb/>
habe, wollen wir hier nicht unter&#x017F;uchen; es i&#x017F;t hef-<lb/>
tig daru&#x0364;ber ge&#x017F;tritten worden. Jn dem Artikel<lb/>
u&#x0364;ber die Tonarten der Alten wird die&#x017F;er Streit be-<lb/>
ru&#x0364;hrt werden. Wir mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en hier, wo es blos um<lb/>
die Erkla&#x0364;rung des Sy&#x017F;tems zu thun i&#x017F;t, voraus &#x017F;e-<lb/>
zen, man wolle jede Sayte des Sy&#x017F;tems zum Haupt-<lb/>
ton &#x017F;owol fu&#x0364;r die harte, als fu&#x0364;r die weiche Tonart,<lb/>
machen.</p><lb/>
          <p>Die&#x017F;em zufolge mu&#x0364;ßte nun das Sy&#x017F;tem &#x017F;o einge-<lb/>
richtet werden, daß jede der 12 Sayten von <hi rendition="#aq">C</hi> bis <hi rendition="#aq">H</hi><lb/>
ihre reine &#x017F;owol kleine, als große Terz, ihre reine<lb/>
Quart und Quinte ha&#x0364;tte. Man wird aber bald<lb/>
gewahr, daß die&#x017F;es unmo&#x0364;glich angehe, wenn man<lb/>
nicht noch mehr Sayten oder To&#x0364;ne in das Sy&#x017F;tem<lb/>
bringt. Alsdenn ko&#x0364;nnte es leicht einigen einfallen,<lb/>
die&#x017F;e neuen To&#x0364;ne auch wieder zu Hauptto&#x0364;nen zu<lb/>
machen; die&#x017F;es wu&#x0364;rde wieder neue To&#x0364;ne erfodern,<lb/>
und &#x017F;o mu&#x0364;ßte man das Sy&#x017F;tem bis ins Unendliche<lb/>
vermehren. <note place="foot" n="(*)">S.<lb/>
Tempera-<lb/>
tur.</note> Man fand al&#x017F;o vor gut, bey den<lb/>
dreyzehen To&#x0364;nen &#x017F;tehen zu bleiben, und die&#x017F;e &#x017F;o zu<lb/>
&#x017F;timmen, daß jeder davon zum Hauptton konnte ge-<lb/>
macht werden, aus dem man &#x017F;owol in der harten,<lb/>
als weichen Tonart, wo nicht ganz rein, (welches<lb/>
bey jeder fe&#x017F;tge&#x017F;ezter Stimmung unmo&#x0364;glich i&#x017F;t) doch<lb/>
&#x017F;o &#x017F;piehlen ko&#x0364;nnte, daß auch ein empfind&#x017F;ames Ohr<lb/>
&#x017F;ich dabey befriedigen wu&#x0364;rde.</p><lb/>
          <p>Allein u&#x0364;ber die be&#x017F;te Einrichtung die&#x017F;es Sy&#x017F;tems<lb/>
hat man &#x017F;ich bis auf die&#x017F;en Tag nicht vergleichen<lb/>
ko&#x0364;nnen. Vielen du&#x0364;nkt die Einrichtung die be&#x017F;te,<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">da</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[1128[1110]/0557] Syſt Syſt oder tiefern Ton verſezt werden. Allein dieſes konnte ſelten ſo geſchehen, daß die Jntervalle dieſelben blie- ben; der ganze Geſang mußte nothwendig ſeinen Charakter verliehren, wenn der Ton in welchen das Stuͤk herauf oder herabgeſezt wurd, im Syſtem andre Jntervalle hatte, als der urſpruͤngliche Haupt- ton. Wir wollen z. B. ſezen, man haͤtte einen Ge- ſang deſſen Hauptton C war, aus dem Ton F ſin- gen wollen; ſo gab dieſe Transpoſition dem Grund- ton eine andere Sexte, als die war, die der Grund- ton C hatte. Andre Transpoſitionen haͤtten ſo gar die Terz veraͤndert, und ſtatt der kleinen eine große gegeben u. ſ. f. Es iſt ſehr zu vermuthen, daß dieſes die Organi- ſten veranlaſſet habe, auf Einfuͤhrung mehrerer Toͤne zu denken, wodurch ſie die Bequaͤmlichkeit erhalten koͤnnten, den transponirten Geſang dem urſpruͤng- lichen aͤhnlich zu machen. Wir wollen z. B. ſezen, ein Organiſte habe auf ein Mittel gedacht, den Ton G dem Tone C aͤhnlich zu machen. Da begreift man leichte, daß er darauf fallen muͤſſen, zwiſchen F und G noch einen halben Ton einzuſchalten, um in F auf eben die Weiſe zu ſchließen, wie in C ge- ſchloſſen wird. Und aus dieſem Beyſpiehle wird man auch die allmaͤhlige Einfuͤhrung der uͤbrigen Semitonien Cis, Dis und Gis leicht begreifen. Da- durch wurd alſo allmaͤhlig das Syſtem mit neuen Toͤnen bereichert, und man bekam anſtatt der ehe- maligen acht oder neun Toͤne in der Octave nun dreyzehen. (†) Es iſt aber ein Jrrthum, wenn man dieſe neuen Toͤne fuͤr chromatiſche Toͤne ausgiebt: ſie koͤnnen chromatiſch gebraucht werden (*), aber ſie wurden anfaͤnglich blos diatoniſch gebraucht, Cis als die große diatoniſche Septime von D, ſo wie H die Sep- time von C war u. ſ. f. Wie aber uͤbrigens dieſe neuen Toͤne in ihren Verhaͤltniſſen gegen C beſchaf- fen geweſen, laͤßt ſich nicht genau beſtimmen; weil vermuthlich jeder Organiſte nach dem Gehoͤr, und und wie es die Abſicht in der er jeden neuen Ton angebracht hat, erfoderte, wird geſtimmt haben. Nachdem man einmal ſo weit gekommen war, fieng man in der neuern Zeit an auf eine ganz andre Anwendung dieſer vier neuen Sayten, oder Toͤne zu denken. Denn nun bemerkte man, daß das Sy- ſtem von dreyzehen Toͤnen ſo koͤnnte eingerichtet werden, daß jeder zu einer Tonica, und zwar ſowol nach der harten, als nach der weichen Tonart ge- macht werden koͤnnte; ſo daß man anſtatt der zwoͤlf alten Toͤne, deren einige die harte, andre die weiche Tonart hatten, nunmehr vier und zwanzig haben wollte, davon zwoͤlf die harte und eben ſo viel die weiche Tonart haͤtten. Ob dadurch die Muſik gewonnen, oder verlohren habe, wollen wir hier nicht unterſuchen; es iſt hef- tig daruͤber geſtritten worden. Jn dem Artikel uͤber die Tonarten der Alten wird dieſer Streit be- ruͤhrt werden. Wir muͤſſen hier, wo es blos um die Erklaͤrung des Syſtems zu thun iſt, voraus ſe- zen, man wolle jede Sayte des Syſtems zum Haupt- ton ſowol fuͤr die harte, als fuͤr die weiche Tonart, machen. Dieſem zufolge muͤßte nun das Syſtem ſo einge- richtet werden, daß jede der 12 Sayten von C bis H ihre reine ſowol kleine, als große Terz, ihre reine Quart und Quinte haͤtte. Man wird aber bald gewahr, daß dieſes unmoͤglich angehe, wenn man nicht noch mehr Sayten oder Toͤne in das Syſtem bringt. Alsdenn koͤnnte es leicht einigen einfallen, dieſe neuen Toͤne auch wieder zu Haupttoͤnen zu machen; dieſes wuͤrde wieder neue Toͤne erfodern, und ſo muͤßte man das Syſtem bis ins Unendliche vermehren. (*) Man fand alſo vor gut, bey den dreyzehen Toͤnen ſtehen zu bleiben, und dieſe ſo zu ſtimmen, daß jeder davon zum Hauptton konnte ge- macht werden, aus dem man ſowol in der harten, als weichen Tonart, wo nicht ganz rein, (welches bey jeder feſtgeſezter Stimmung unmoͤglich iſt) doch ſo ſpiehlen koͤnnte, daß auch ein empfindſames Ohr ſich dabey befriedigen wuͤrde. Allein uͤber die beſte Einrichtung dieſes Syſtems hat man ſich bis auf dieſen Tag nicht vergleichen koͤnnen. Vielen duͤnkt die Einrichtung die beſte, da (†) Ehe dieſe Semitonien auf den Orgeln eingefuͤhrt worden, konnten zwar die Saͤnger die Jntervalle des trans- ponirten Tones ſo treffen, wie ſie in dem Urſpruͤnglichen waren, aber die Orgel hatte ſie nicht. Daher findet man noch Stuͤke, da ſo gar die Terz, weil ſie der Orgel fehlte, aus dem Dreyklang weggelaſſen worden. Man begnuͤgete ſich, daß die Saͤnger ſie angeben konnten. Hieraus wird es ſehr wahrſcheinlich, daß dieſes die Einfuͤhrung der feh- lenden Semitonien veranlaſſet habe. (*) S. Chroma- tiſch. (*) S. Tempera- tur.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/557
Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 1128[1110]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/557>, abgerufen am 24.11.2024.