sammenhang wir nachher gar nicht mehr einsehen. Dieses begegnet dem Philosophen, in ganz methodi- schen Untersuchungen; also muß es bey dem Künst- ler, der im Feuer der Einbildungskraft, und in Wärme der Empfindung arbeitet, noch weit öfters vorkommen. Kann er selbst aber in solchen Fällen den Zusammenhang seiner Vorstellungen nicht mehr entdeken, so muß dieses natürlicher Weise, andern noch weniger möglich seyn.
Es ist deswegen sehr nüzlich, daß man beym er- sten Entwurf eines Werks genau auf das Achtung gebe, was eine Vorstellung mit der andern verbin- det, daß man auf Vortheile denke, das Band, das sie verknüpft, auf eine Weise, die dem Feuer der Würksamkeit zu Fortsezung der Arbeit nicht schadet, anzudeuten, um sich desselben nachher wieder zu er- innern. Geschieht dieses, so kann der Künstler bey der Ausarbeitung, da, wo die Verbindung nicht merklich ist, allemal auf Mittel denken, sie merklich zu machen. Es giebt vielerley Mittel auch sehr fremd und entfernt scheinende Beziehungen der Ge- danken gegen einander in nahe Verbindung zu sezen, so wie es auf der andern Seite eben so viel giebt, einen sehr natürlichen Zusammenhang etwas fremder und reizender zu machen. Aber sie gehören unter die Geheimnisse der Künstler, die sie selbst nicht gern andern entdeken.
Wir müssen vor allen Dingen anmerken, daß die Verbindungen enger und genauer, oder entfernter; offenbarer und gewöhnlicher, oder verstekter und fremder seyn müssen, nachdem der Charakter des Werks die eine oder die andere Art natürlich macht. Was vom Uebergang angemerkt worden, (*) gilt auch hier. Bey Untersuchungen, im lehrenden Vortrag, und überhaupt in den Werken, die für den Verstand gemacht sind, müssen die Verbindungen natürlich, eng und in dem Wesentlichen der Dinge gegründet seyn; weil es sonst dem Werk an Gründlichkeit feh- let. Je bestimmter der Endzwek eines Werks ist, je genauer und bestimmter muß auch die Verbin- dung aller Theile desselben seyn; denn ein Werk von ganz genau bestimmten Zweke, hat schon einige Aehnlichkeit mit einer Maschine, deren Würkung nicht kann erreicht werden, wenn die geringste Tren- nung in ihren Theilen statt hat. Jn Werken, an denen die Einbildungskraft des Künstlers den größ- ren Antheil hat, sind die Verbindungen natürlicher Weise viel freyer, und sie sind es um so viel mehr, [Spaltenumbruch]
Ver
je stärker die Einbildungskraft erhizt ist. Ein Werk dieser Art würde kalt oder matt werden, wann der Künstler da auf methodische, und auf innere oder wesentliche Uebereinkunft der Dinge gegründete Ver- bindungen denken wollte.
Aber diese Materie kann überhaupt hier weder methodisch noch ausführlich behandelt werden; weil das Hauptsächlichste der Kunst, die Wahl der Theile, ihre Anordnung und ein großer Theil der Bearbei- tung auf die Art der Verbindung ankommt. Woll- ten wir hierüber vollständig seyn, so müßten wir den völligen Gang des Verstandes bey Untersuchun- gen, den vielfachen, mehr oder weniger kühnen Flug der Phantasie, durch die würkliche und durch mög- liche Welten, die verborgenen, ofte sehr seltsamen Wege des Herzens in ihren Krümmungen, steilen Höhen, und gählingen Abstürzen vor Augen haben.
Wir können also kaum etwas anders thun, als auf der einen Seite, den Künstler ermuntern in sei- nem Studiren, und Nachdenken über die Geheim- nisse der Kunst, eine besondere Aufmerksamkeit auf die Verbindungen zu wenden, und deren verschie- dene Arten und Grade, nach den Charakteren und den verschiedenen Tönen der Werke, so viel mög- lich ist, zu bestimmen: auf der andern Seite die Liebhaber und Kunstrichter erinnern, daß sie sich be- mühen sollen, bey jedem Werke der Kunst, sich so viel möglich in die Gemüthslage zu sezen, darin der Künstler bey Verfertigung des Werks gewesen ist, wann sie nicht in die Gefahr kommen wollen, ein falsches Urtheil über die Verbindungen zu fällen, oder ohne Noth Anstoß in dem Werk zu finden.
Es giebt leichte, sehr faßliche, schweere und scharf- sinnige, natürliche und phantastische, comtsche und ernsthafte, entfernte und nahe, wesentliche und zu- fällige, und noch gar viel mehr Arten der Verbin- dung, deren jede nach dem Charakter und Ton des Werks gut oder schlecht ist. Die einzige praktische Anmerkung, die wir hier machen können, ist diese: daß der Künstler, der sich vorgenommen hat, sein Werk bis zur Vollkommenheit zu bearbeiten, es ein oder ein paar male blos in Absicht die Verbindungen zu beurtheilen, genau durchzusehen habe. Jn An- sehung der Verbindung jedes einzelen Theiles mit dem Ganzen haben wir an einem andern Orte dem Künstler die Regel gegeben, daß er in Beurtheilung seines Werks bey jedem Theile stehen bleide, um ihn zu fragen, warum bist du da, und wie erfüllest
du
(*) S. Uebergang.
[Spaltenumbruch]
Ver
ſammenhang wir nachher gar nicht mehr einſehen. Dieſes begegnet dem Philoſophen, in ganz methodi- ſchen Unterſuchungen; alſo muß es bey dem Kuͤnſt- ler, der im Feuer der Einbildungskraft, und in Waͤrme der Empfindung arbeitet, noch weit oͤfters vorkommen. Kann er ſelbſt aber in ſolchen Faͤllen den Zuſammenhang ſeiner Vorſtellungen nicht mehr entdeken, ſo muß dieſes natuͤrlicher Weiſe, andern noch weniger moͤglich ſeyn.
Es iſt deswegen ſehr nuͤzlich, daß man beym er- ſten Entwurf eines Werks genau auf das Achtung gebe, was eine Vorſtellung mit der andern verbin- det, daß man auf Vortheile denke, das Band, das ſie verknuͤpft, auf eine Weiſe, die dem Feuer der Wuͤrkſamkeit zu Fortſezung der Arbeit nicht ſchadet, anzudeuten, um ſich deſſelben nachher wieder zu er- innern. Geſchieht dieſes, ſo kann der Kuͤnſtler bey der Ausarbeitung, da, wo die Verbindung nicht merklich iſt, allemal auf Mittel denken, ſie merklich zu machen. Es giebt vielerley Mittel auch ſehr fremd und entfernt ſcheinende Beziehungen der Ge- danken gegen einander in nahe Verbindung zu ſezen, ſo wie es auf der andern Seite eben ſo viel giebt, einen ſehr natuͤrlichen Zuſammenhang etwas fremder und reizender zu machen. Aber ſie gehoͤren unter die Geheimniſſe der Kuͤnſtler, die ſie ſelbſt nicht gern andern entdeken.
Wir muͤſſen vor allen Dingen anmerken, daß die Verbindungen enger und genauer, oder entfernter; offenbarer und gewoͤhnlicher, oder verſtekter und fremder ſeyn muͤſſen, nachdem der Charakter des Werks die eine oder die andere Art natuͤrlich macht. Was vom Uebergang angemerkt worden, (*) gilt auch hier. Bey Unterſuchungen, im lehrenden Vortrag, und uͤberhaupt in den Werken, die fuͤr den Verſtand gemacht ſind, muͤſſen die Verbindungen natuͤrlich, eng und in dem Weſentlichen der Dinge gegruͤndet ſeyn; weil es ſonſt dem Werk an Gruͤndlichkeit feh- let. Je beſtimmter der Endzwek eines Werks iſt, je genauer und beſtimmter muß auch die Verbin- dung aller Theile deſſelben ſeyn; denn ein Werk von ganz genau beſtimmten Zweke, hat ſchon einige Aehnlichkeit mit einer Maſchine, deren Wuͤrkung nicht kann erreicht werden, wenn die geringſte Tren- nung in ihren Theilen ſtatt hat. Jn Werken, an denen die Einbildungskraft des Kuͤnſtlers den groͤß- ren Antheil hat, ſind die Verbindungen natuͤrlicher Weiſe viel freyer, und ſie ſind es um ſo viel mehr, [Spaltenumbruch]
Ver
je ſtaͤrker die Einbildungskraft erhizt iſt. Ein Werk dieſer Art wuͤrde kalt oder matt werden, wann der Kuͤnſtler da auf methodiſche, und auf innere oder weſentliche Uebereinkunft der Dinge gegruͤndete Ver- bindungen denken wollte.
Aber dieſe Materie kann uͤberhaupt hier weder methodiſch noch ausfuͤhrlich behandelt werden; weil das Hauptſaͤchlichſte der Kunſt, die Wahl der Theile, ihre Anordnung und ein großer Theil der Bearbei- tung auf die Art der Verbindung ankommt. Woll- ten wir hieruͤber vollſtaͤndig ſeyn, ſo muͤßten wir den voͤlligen Gang des Verſtandes bey Unterſuchun- gen, den vielfachen, mehr oder weniger kuͤhnen Flug der Phantaſie, durch die wuͤrkliche und durch moͤg- liche Welten, die verborgenen, ofte ſehr ſeltſamen Wege des Herzens in ihren Kruͤmmungen, ſteilen Hoͤhen, und gaͤhlingen Abſtuͤrzen vor Augen haben.
Wir koͤnnen alſo kaum etwas anders thun, als auf der einen Seite, den Kuͤnſtler ermuntern in ſei- nem Studiren, und Nachdenken uͤber die Geheim- niſſe der Kunſt, eine beſondere Aufmerkſamkeit auf die Verbindungen zu wenden, und deren verſchie- dene Arten und Grade, nach den Charakteren und den verſchiedenen Toͤnen der Werke, ſo viel moͤg- lich iſt, zu beſtimmen: auf der andern Seite die Liebhaber und Kunſtrichter erinnern, daß ſie ſich be- muͤhen ſollen, bey jedem Werke der Kunſt, ſich ſo viel moͤglich in die Gemuͤthslage zu ſezen, darin der Kuͤnſtler bey Verfertigung des Werks geweſen iſt, wann ſie nicht in die Gefahr kommen wollen, ein falſches Urtheil uͤber die Verbindungen zu faͤllen, oder ohne Noth Anſtoß in dem Werk zu finden.
Es giebt leichte, ſehr faßliche, ſchweere und ſcharf- ſinnige, natuͤrliche und phantaſtiſche, comtſche und ernſthafte, entfernte und nahe, weſentliche und zu- faͤllige, und noch gar viel mehr Arten der Verbin- dung, deren jede nach dem Charakter und Ton des Werks gut oder ſchlecht iſt. Die einzige praktiſche Anmerkung, die wir hier machen koͤnnen, iſt dieſe: daß der Kuͤnſtler, der ſich vorgenommen hat, ſein Werk bis zur Vollkommenheit zu bearbeiten, es ein oder ein paar male blos in Abſicht die Verbindungen zu beurtheilen, genau durchzuſehen habe. Jn An- ſehung der Verbindung jedes einzelen Theiles mit dem Ganzen haben wir an einem andern Orte dem Kuͤnſtler die Regel gegeben, daß er in Beurtheilung ſeines Werks bey jedem Theile ſtehen bleide, um ihn zu fragen, warum biſt du da, und wie erfuͤlleſt
du
(*) S. Uebergang.
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[1209[1191]/0638]
Ver
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ſammenhang wir nachher gar nicht mehr einſehen.
Dieſes begegnet dem Philoſophen, in ganz methodi-
ſchen Unterſuchungen; alſo muß es bey dem Kuͤnſt-
ler, der im Feuer der Einbildungskraft, und in
Waͤrme der Empfindung arbeitet, noch weit oͤfters
vorkommen. Kann er ſelbſt aber in ſolchen Faͤllen
den Zuſammenhang ſeiner Vorſtellungen nicht mehr
entdeken, ſo muß dieſes natuͤrlicher Weiſe, andern
noch weniger moͤglich ſeyn.
Es iſt deswegen ſehr nuͤzlich, daß man beym er-
ſten Entwurf eines Werks genau auf das Achtung
gebe, was eine Vorſtellung mit der andern verbin-
det, daß man auf Vortheile denke, das Band, das
ſie verknuͤpft, auf eine Weiſe, die dem Feuer der
Wuͤrkſamkeit zu Fortſezung der Arbeit nicht ſchadet,
anzudeuten, um ſich deſſelben nachher wieder zu er-
innern. Geſchieht dieſes, ſo kann der Kuͤnſtler
bey der Ausarbeitung, da, wo die Verbindung nicht
merklich iſt, allemal auf Mittel denken, ſie merklich
zu machen. Es giebt vielerley Mittel auch ſehr
fremd und entfernt ſcheinende Beziehungen der Ge-
danken gegen einander in nahe Verbindung zu
ſezen, ſo wie es auf der andern Seite eben ſo viel
giebt, einen ſehr natuͤrlichen Zuſammenhang etwas
fremder und reizender zu machen. Aber ſie gehoͤren
unter die Geheimniſſe der Kuͤnſtler, die ſie ſelbſt
nicht gern andern entdeken.
Wir muͤſſen vor allen Dingen anmerken, daß die
Verbindungen enger und genauer, oder entfernter;
offenbarer und gewoͤhnlicher, oder verſtekter und
fremder ſeyn muͤſſen, nachdem der Charakter des
Werks die eine oder die andere Art natuͤrlich macht.
Was vom Uebergang angemerkt worden, (*) gilt auch
hier. Bey Unterſuchungen, im lehrenden Vortrag,
und uͤberhaupt in den Werken, die fuͤr den Verſtand
gemacht ſind, muͤſſen die Verbindungen natuͤrlich,
eng und in dem Weſentlichen der Dinge gegruͤndet
ſeyn; weil es ſonſt dem Werk an Gruͤndlichkeit feh-
let. Je beſtimmter der Endzwek eines Werks iſt,
je genauer und beſtimmter muß auch die Verbin-
dung aller Theile deſſelben ſeyn; denn ein Werk von
ganz genau beſtimmten Zweke, hat ſchon einige
Aehnlichkeit mit einer Maſchine, deren Wuͤrkung
nicht kann erreicht werden, wenn die geringſte Tren-
nung in ihren Theilen ſtatt hat. Jn Werken, an
denen die Einbildungskraft des Kuͤnſtlers den groͤß-
ren Antheil hat, ſind die Verbindungen natuͤrlicher
Weiſe viel freyer, und ſie ſind es um ſo viel mehr,
je ſtaͤrker die Einbildungskraft erhizt iſt. Ein Werk
dieſer Art wuͤrde kalt oder matt werden, wann der
Kuͤnſtler da auf methodiſche, und auf innere oder
weſentliche Uebereinkunft der Dinge gegruͤndete Ver-
bindungen denken wollte.
Aber dieſe Materie kann uͤberhaupt hier weder
methodiſch noch ausfuͤhrlich behandelt werden; weil
das Hauptſaͤchlichſte der Kunſt, die Wahl der Theile,
ihre Anordnung und ein großer Theil der Bearbei-
tung auf die Art der Verbindung ankommt. Woll-
ten wir hieruͤber vollſtaͤndig ſeyn, ſo muͤßten wir
den voͤlligen Gang des Verſtandes bey Unterſuchun-
gen, den vielfachen, mehr oder weniger kuͤhnen Flug
der Phantaſie, durch die wuͤrkliche und durch moͤg-
liche Welten, die verborgenen, ofte ſehr ſeltſamen
Wege des Herzens in ihren Kruͤmmungen, ſteilen
Hoͤhen, und gaͤhlingen Abſtuͤrzen vor Augen haben.
Wir koͤnnen alſo kaum etwas anders thun, als
auf der einen Seite, den Kuͤnſtler ermuntern in ſei-
nem Studiren, und Nachdenken uͤber die Geheim-
niſſe der Kunſt, eine beſondere Aufmerkſamkeit auf
die Verbindungen zu wenden, und deren verſchie-
dene Arten und Grade, nach den Charakteren und
den verſchiedenen Toͤnen der Werke, ſo viel moͤg-
lich iſt, zu beſtimmen: auf der andern Seite die
Liebhaber und Kunſtrichter erinnern, daß ſie ſich be-
muͤhen ſollen, bey jedem Werke der Kunſt, ſich ſo viel
moͤglich in die Gemuͤthslage zu ſezen, darin der
Kuͤnſtler bey Verfertigung des Werks geweſen iſt,
wann ſie nicht in die Gefahr kommen wollen, ein
falſches Urtheil uͤber die Verbindungen zu faͤllen,
oder ohne Noth Anſtoß in dem Werk zu finden.
Es giebt leichte, ſehr faßliche, ſchweere und ſcharf-
ſinnige, natuͤrliche und phantaſtiſche, comtſche und
ernſthafte, entfernte und nahe, weſentliche und zu-
faͤllige, und noch gar viel mehr Arten der Verbin-
dung, deren jede nach dem Charakter und Ton des
Werks gut oder ſchlecht iſt. Die einzige praktiſche
Anmerkung, die wir hier machen koͤnnen, iſt dieſe:
daß der Kuͤnſtler, der ſich vorgenommen hat, ſein
Werk bis zur Vollkommenheit zu bearbeiten, es ein
oder ein paar male blos in Abſicht die Verbindungen
zu beurtheilen, genau durchzuſehen habe. Jn An-
ſehung der Verbindung jedes einzelen Theiles mit
dem Ganzen haben wir an einem andern Orte dem
Kuͤnſtler die Regel gegeben, daß er in Beurtheilung
ſeines Werks bey jedem Theile ſtehen bleide, um
ihn zu fragen, warum biſt du da, und wie erfuͤlleſt
du
(*) S.
Uebergang.
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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 1209[1191]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/638>, abgerufen am 24.11.2024.
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