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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774.

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braucht werden, wo eine einzige besser gewählte hin-
länglich gewesen wäre.

Die verschönernde Vergleichung ist das Werk der
Einbildungskraft, an dem der Verstand keinen An-
theil hat. Bild und Gegenbild sind mehr in Anse-
hung ihrer Würkung, als in ihrer Beschaffenheit
einander ähnlich. Bey angenehmen, oder über-
haupt bey interessanten Gegenständen, bey denen
wir uns gerne verweilen, bringet die Einbildungs-
kraft uns andere, die ähnlichen Eindruk auf uns
gemacht haben, ins Gedächtnis, und die Begierde
diesen Eindruk zu genießen, oder ihn andern mitzu-
theilen, macht, daß wir auch auf diese blos in der
Einbildungskraft schwebenden Gegenstände die Auf-
merksamkeit richten. Daher haben Vergleichungen
dieser Art ihren Ursprung. Oßian singt von Nathos:

Reizend erschienst du dem Auge Darthulens. Dem
östlichen Lichte
Gliech dein Gesicht, der Schwinge des Raben dein
Haupthaar. Die Seele
War dir erhaben und mild, wie die Stunde der
scheidenden Sonne.
Sanft wie die Lüstchen im Schilfe, wie gleitende
Fluren im Lora
War dein Gespräch. Doch wenn sich die Wuth des
Gefechtes empörte
Gliechst du der stürmenden See (*).

Hier sind eine Menge Vergleichungen hinter einan-
der. Jede schildert nicht den Gegenstand, den der
Dichter zeichnen, sondern den Eindruk, die beson-
dere Art der Empfindung, die er wollte fühlen las-
sen. Nicht das Gesichte des Jünglings gliech der
aufgehenden Sonne; sondern die fröhliche Empfin-
dung die Darthula bey dem Anschauen fühlte, gliech
dem Eindruk, den die aufgehende Sonne macht,
u. s. w.

Empfindungen sind etwas so einfaches, daß es
nicht möglich ist sie andern zu erkennen zu geben,
als wenn man sie in ihnen erwekt. Wo man also
denkt, sie würden sie bey Vorzeigung eines Gegen-
standes nicht haben, da zeiget man ihnen einen an-
dern gewöhnlichern Gegenstand, von dem man mit
Gewißheit denselben oder einen ähnlichen Eindruk
erwarten kann. Sie dienen also überhaupt Empfin-
dungen nach ihren besondern Charaktern zu erweken,
und man wählet dazu sehr bekannte Gegenstände,
die in ihren Würkungen auf das Gemüthe mit dem
Gegenbilde übereinkommen. Hier kommt es mehr
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auf ein ganz feines Gefühl und eine sehr lebhafte
Einbildungskraft, als auf Beurtheilung an. Dar-
um lieben die Dichter diese Vergleichungen vorzüg-
lich. Sie schiken sich auch nur da, wo man ange-
nehm unterhalten und rühren will. Die Bilder
müssen sehr bekannt seyn, damit sie mit wenig
Strichen sich der Einbildungskraft lebhaft darstellen,
und man muß des ganz besondern (specivischen) Ein-
druks, den sie auf empfindsame Gemüther machen,
sehr gewiß seyn. Sie scheinen sich mehr zu Reden
und Gedichten von einem etwas gemäßigten Ton,
als zu denen von ganz heftigem Affekt zu schiken.
Denn in diesem ist das Feuer zu stark um sich bey
Vergleichungen zu verweilen; die Bilder gehen in
Metaphern oder Allegorien über.

Wo man eine Vorstellung oder Empfindung nicht
blos schildern, sondern nachdrüklicher sagen will,
da fällt man auf Vergleichungen der dritten Art,
die darum etwas hyperbolisches oder übertriebenes
haben. Man braucht Bilder die stärker rühren,
als das Gegenbild. So vergleichet man einen in
Wiederwärtigkeiten standhaften Mann, mit einem
Felsen, der gegen die tobenden Wellen des Meeres
unbeweglich steht; von einem Menschen, der heftig er-
schrikt, sagt man, er sey wie vom Gewitter getroffen;
und so sagt Horaz von dem rechtschaffenen Mann, er
fürchte sich mehr vor einer schändlichen Handlung,
als vor dem Tode. Die Vergleichungen dieser Art
können bis zum Erhabenen steigen. Sie müssen
aber etwas sparsamer, als die andern Arten gebraucht
werden, es sey denn, daß durchaus in der Rede,
oder dem Gedichte, wo sie gebraucht werden, ein
ganz heftiger Affekt herrsche. Denn dieser vergrös-
sert alles.

Es giebt auch poßirliche Vergleichungen, die das
Lächerliche verstärken, wovon ein großer Reichthum
von Beyspiehlen in Buttlers Hudibras anzutreffen
ist. Sie sind meistentheils so beschaffen, daß bey
der Vergleichung etwas wiedersprechend scheinendes
vorkommt, das ihnen das Lächerliche giebt: große
Sachen werden mit kleinen, ernsthafte mit scherz-
haften vergliechen, oder das Bild hat etwas so gar
sehr von der Art des Gegenbildes verschiedenes, daß
nur eine seltsame, poßirliche Einbildungskraft die
Aehnlichkeit entdekt. Sie geben den Spottreden eine
besondere Schärfe.

Was wir überhaupt von Erfindung der Bilder
angemerkt haben, (*) gilt auch von Erfindung der

Ver-
(*) Dar-
thula.
(*) S.
Allegorie,
Bild.
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braucht werden, wo eine einzige beſſer gewaͤhlte hin-
laͤnglich geweſen waͤre.

Die verſchoͤnernde Vergleichung iſt das Werk der
Einbildungskraft, an dem der Verſtand keinen An-
theil hat. Bild und Gegenbild ſind mehr in Anſe-
hung ihrer Wuͤrkung, als in ihrer Beſchaffenheit
einander aͤhnlich. Bey angenehmen, oder uͤber-
haupt bey intereſſanten Gegenſtaͤnden, bey denen
wir uns gerne verweilen, bringet die Einbildungs-
kraft uns andere, die aͤhnlichen Eindruk auf uns
gemacht haben, ins Gedaͤchtnis, und die Begierde
dieſen Eindruk zu genießen, oder ihn andern mitzu-
theilen, macht, daß wir auch auf dieſe blos in der
Einbildungskraft ſchwebenden Gegenſtaͤnde die Auf-
merkſamkeit richten. Daher haben Vergleichungen
dieſer Art ihren Urſprung. Oßian ſingt von Nathos:

Reizend erſchienſt du dem Auge Darthulens. Dem
oͤſtlichen Lichte
Gliech dein Geſicht, der Schwinge des Raben dein
Haupthaar. Die Seele
War dir erhaben und mild, wie die Stunde der
ſcheidenden Sonne.
Sanft wie die Luͤſtchen im Schilfe, wie gleitende
Fluren im Lora
War dein Geſpraͤch. Doch wenn ſich die Wuth des
Gefechtes empoͤrte
Gliechſt du der ſtuͤrmenden See (*).

Hier ſind eine Menge Vergleichungen hinter einan-
der. Jede ſchildert nicht den Gegenſtand, den der
Dichter zeichnen, ſondern den Eindruk, die beſon-
dere Art der Empfindung, die er wollte fuͤhlen laſ-
ſen. Nicht das Geſichte des Juͤnglings gliech der
aufgehenden Sonne; ſondern die froͤhliche Empfin-
dung die Darthula bey dem Anſchauen fuͤhlte, gliech
dem Eindruk, den die aufgehende Sonne macht,
u. ſ. w.

Empfindungen ſind etwas ſo einfaches, daß es
nicht moͤglich iſt ſie andern zu erkennen zu geben,
als wenn man ſie in ihnen erwekt. Wo man alſo
denkt, ſie wuͤrden ſie bey Vorzeigung eines Gegen-
ſtandes nicht haben, da zeiget man ihnen einen an-
dern gewoͤhnlichern Gegenſtand, von dem man mit
Gewißheit denſelben oder einen aͤhnlichen Eindruk
erwarten kann. Sie dienen alſo uͤberhaupt Empfin-
dungen nach ihren beſondern Charaktern zu erweken,
und man waͤhlet dazu ſehr bekannte Gegenſtaͤnde,
die in ihren Wuͤrkungen auf das Gemuͤthe mit dem
Gegenbilde uͤbereinkommen. Hier kommt es mehr
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auf ein ganz feines Gefuͤhl und eine ſehr lebhafte
Einbildungskraft, als auf Beurtheilung an. Dar-
um lieben die Dichter dieſe Vergleichungen vorzuͤg-
lich. Sie ſchiken ſich auch nur da, wo man ange-
nehm unterhalten und ruͤhren will. Die Bilder
muͤſſen ſehr bekannt ſeyn, damit ſie mit wenig
Strichen ſich der Einbildungskraft lebhaft darſtellen,
und man muß des ganz beſondern (ſpeciviſchen) Ein-
druks, den ſie auf empfindſame Gemuͤther machen,
ſehr gewiß ſeyn. Sie ſcheinen ſich mehr zu Reden
und Gedichten von einem etwas gemaͤßigten Ton,
als zu denen von ganz heftigem Affekt zu ſchiken.
Denn in dieſem iſt das Feuer zu ſtark um ſich bey
Vergleichungen zu verweilen; die Bilder gehen in
Metaphern oder Allegorien uͤber.

Wo man eine Vorſtellung oder Empfindung nicht
blos ſchildern, ſondern nachdruͤklicher ſagen will,
da faͤllt man auf Vergleichungen der dritten Art,
die darum etwas hyperboliſches oder uͤbertriebenes
haben. Man braucht Bilder die ſtaͤrker ruͤhren,
als das Gegenbild. So vergleichet man einen in
Wiederwaͤrtigkeiten ſtandhaften Mann, mit einem
Felſen, der gegen die tobenden Wellen des Meeres
unbeweglich ſteht; von einem Menſchen, der heftig er-
ſchrikt, ſagt man, er ſey wie vom Gewitter getroffen;
und ſo ſagt Horaz von dem rechtſchaffenen Mann, er
fuͤrchte ſich mehr vor einer ſchaͤndlichen Handlung,
als vor dem Tode. Die Vergleichungen dieſer Art
koͤnnen bis zum Erhabenen ſteigen. Sie muͤſſen
aber etwas ſparſamer, als die andern Arten gebraucht
werden, es ſey denn, daß durchaus in der Rede,
oder dem Gedichte, wo ſie gebraucht werden, ein
ganz heftiger Affekt herrſche. Denn dieſer vergroͤſ-
ſert alles.

Es giebt auch poßirliche Vergleichungen, die das
Laͤcherliche verſtaͤrken, wovon ein großer Reichthum
von Beyſpiehlen in Buttlers Hudibras anzutreffen
iſt. Sie ſind meiſtentheils ſo beſchaffen, daß bey
der Vergleichung etwas wiederſprechend ſcheinendes
vorkommt, das ihnen das Laͤcherliche giebt: große
Sachen werden mit kleinen, ernſthafte mit ſcherz-
haften vergliechen, oder das Bild hat etwas ſo gar
ſehr von der Art des Gegenbildes verſchiedenes, daß
nur eine ſeltſame, poßirliche Einbildungskraft die
Aehnlichkeit entdekt. Sie geben den Spottreden eine
beſondere Schaͤrfe.

Was wir uͤberhaupt von Erfindung der Bilder
angemerkt haben, (*) gilt auch von Erfindung der

Ver-
(*) Dar-
thula.
(*) S.
Allegorie,
Bild.
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[1213[1195]/0642] Ver Ver braucht werden, wo eine einzige beſſer gewaͤhlte hin- laͤnglich geweſen waͤre. Die verſchoͤnernde Vergleichung iſt das Werk der Einbildungskraft, an dem der Verſtand keinen An- theil hat. Bild und Gegenbild ſind mehr in Anſe- hung ihrer Wuͤrkung, als in ihrer Beſchaffenheit einander aͤhnlich. Bey angenehmen, oder uͤber- haupt bey intereſſanten Gegenſtaͤnden, bey denen wir uns gerne verweilen, bringet die Einbildungs- kraft uns andere, die aͤhnlichen Eindruk auf uns gemacht haben, ins Gedaͤchtnis, und die Begierde dieſen Eindruk zu genießen, oder ihn andern mitzu- theilen, macht, daß wir auch auf dieſe blos in der Einbildungskraft ſchwebenden Gegenſtaͤnde die Auf- merkſamkeit richten. Daher haben Vergleichungen dieſer Art ihren Urſprung. Oßian ſingt von Nathos: Reizend erſchienſt du dem Auge Darthulens. Dem oͤſtlichen Lichte Gliech dein Geſicht, der Schwinge des Raben dein Haupthaar. Die Seele War dir erhaben und mild, wie die Stunde der ſcheidenden Sonne. Sanft wie die Luͤſtchen im Schilfe, wie gleitende Fluren im Lora War dein Geſpraͤch. Doch wenn ſich die Wuth des Gefechtes empoͤrte Gliechſt du der ſtuͤrmenden See (*). Hier ſind eine Menge Vergleichungen hinter einan- der. Jede ſchildert nicht den Gegenſtand, den der Dichter zeichnen, ſondern den Eindruk, die beſon- dere Art der Empfindung, die er wollte fuͤhlen laſ- ſen. Nicht das Geſichte des Juͤnglings gliech der aufgehenden Sonne; ſondern die froͤhliche Empfin- dung die Darthula bey dem Anſchauen fuͤhlte, gliech dem Eindruk, den die aufgehende Sonne macht, u. ſ. w. Empfindungen ſind etwas ſo einfaches, daß es nicht moͤglich iſt ſie andern zu erkennen zu geben, als wenn man ſie in ihnen erwekt. Wo man alſo denkt, ſie wuͤrden ſie bey Vorzeigung eines Gegen- ſtandes nicht haben, da zeiget man ihnen einen an- dern gewoͤhnlichern Gegenſtand, von dem man mit Gewißheit denſelben oder einen aͤhnlichen Eindruk erwarten kann. Sie dienen alſo uͤberhaupt Empfin- dungen nach ihren beſondern Charaktern zu erweken, und man waͤhlet dazu ſehr bekannte Gegenſtaͤnde, die in ihren Wuͤrkungen auf das Gemuͤthe mit dem Gegenbilde uͤbereinkommen. Hier kommt es mehr auf ein ganz feines Gefuͤhl und eine ſehr lebhafte Einbildungskraft, als auf Beurtheilung an. Dar- um lieben die Dichter dieſe Vergleichungen vorzuͤg- lich. Sie ſchiken ſich auch nur da, wo man ange- nehm unterhalten und ruͤhren will. Die Bilder muͤſſen ſehr bekannt ſeyn, damit ſie mit wenig Strichen ſich der Einbildungskraft lebhaft darſtellen, und man muß des ganz beſondern (ſpeciviſchen) Ein- druks, den ſie auf empfindſame Gemuͤther machen, ſehr gewiß ſeyn. Sie ſcheinen ſich mehr zu Reden und Gedichten von einem etwas gemaͤßigten Ton, als zu denen von ganz heftigem Affekt zu ſchiken. Denn in dieſem iſt das Feuer zu ſtark um ſich bey Vergleichungen zu verweilen; die Bilder gehen in Metaphern oder Allegorien uͤber. Wo man eine Vorſtellung oder Empfindung nicht blos ſchildern, ſondern nachdruͤklicher ſagen will, da faͤllt man auf Vergleichungen der dritten Art, die darum etwas hyperboliſches oder uͤbertriebenes haben. Man braucht Bilder die ſtaͤrker ruͤhren, als das Gegenbild. So vergleichet man einen in Wiederwaͤrtigkeiten ſtandhaften Mann, mit einem Felſen, der gegen die tobenden Wellen des Meeres unbeweglich ſteht; von einem Menſchen, der heftig er- ſchrikt, ſagt man, er ſey wie vom Gewitter getroffen; und ſo ſagt Horaz von dem rechtſchaffenen Mann, er fuͤrchte ſich mehr vor einer ſchaͤndlichen Handlung, als vor dem Tode. Die Vergleichungen dieſer Art koͤnnen bis zum Erhabenen ſteigen. Sie muͤſſen aber etwas ſparſamer, als die andern Arten gebraucht werden, es ſey denn, daß durchaus in der Rede, oder dem Gedichte, wo ſie gebraucht werden, ein ganz heftiger Affekt herrſche. Denn dieſer vergroͤſ- ſert alles. Es giebt auch poßirliche Vergleichungen, die das Laͤcherliche verſtaͤrken, wovon ein großer Reichthum von Beyſpiehlen in Buttlers Hudibras anzutreffen iſt. Sie ſind meiſtentheils ſo beſchaffen, daß bey der Vergleichung etwas wiederſprechend ſcheinendes vorkommt, das ihnen das Laͤcherliche giebt: große Sachen werden mit kleinen, ernſthafte mit ſcherz- haften vergliechen, oder das Bild hat etwas ſo gar ſehr von der Art des Gegenbildes verſchiedenes, daß nur eine ſeltſame, poßirliche Einbildungskraft die Aehnlichkeit entdekt. Sie geben den Spottreden eine beſondere Schaͤrfe. Was wir uͤberhaupt von Erfindung der Bilder angemerkt haben, (*) gilt auch von Erfindung der Ver- (*) Dar- thula. (*) S. Allegorie, Bild. M m m m m m m 2

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 1213[1195]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/642>, abgerufen am 24.11.2024.