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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774.

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Ver
von den erfoderlichen guten Eigenschaften an sich ha-
ben. Theile die stark und fest seyn sollen, bekom-
men durch ausgeschniztes Laubwerk das Ansehen,
als ob sie schwach und zerbrechlich wären. Man
sieht Laub- und Schnizwerk, dessen Grund man
nicht einsehen kann; ausgehauene Bilder an Schluß-
steinen, die ein bloßes Ohngefähr, oder eine völlig
ausschweiffende, abentheuerliche Phantasie dahin
sezen konnte. Was seiner Natur nach gerad oder
glatt seyn sollte, ist zur vermeinten Zierde zerbro-
chen und verkröpft, oder durch Schnizarbeit kraus
gemacht.

Man kann kaum sorgfältig genug seyn zu verhü-
ten, daß die Verzierungen nicht am unrechten Ort
angebracht, nicht zu überhäuft seyen, nicht gegen die
Art und gegen den Charakter des Werks, oder der
Theile, denen sie zur Zierde dienen sollen, streiten.
Was nicht einen wesentlichen Theil hebt, oder un-
terstüzt, oder angenehmer macht, was blos ange-
hängt ist, scheinet verwerflich.

Aber es wäre vergeblich eine Materie, wobey es
mehr auf gründlichen und feinen Geschmak, als auf
entwikeltes Denken ankommt, umständlicher zu be-
handeln.

Verzierungen, (Decorationen) nennt man auch,
die Veranstaltungen, wodurch auf der Schaubühne
der Ort der Handlung durch Mahlerey vorgestellt
wird: aber uneigentlich; denn diese Verzierungen
sind nicht Nebensachen zur Verschönerung, sondern
wesentlich zum Schauspiehl gehörige Sachen. Von
den Veranstaltungen der Schaubühne, wodurch die
Vorstellung des Orts der Handlung in jedem Falle
kann bewürkt werden; und von der Wahl der Scene,
haben wir bereits gesprochen (*). Ueber das Beson-
dere in der Kunst des Schauspiehlmahlers bin ich
nicht im Stand hier etwas befriedigendes zu sagen.
Jn Ansehung des Geschmaks ist das Wichtigste, was
man dem Mahler der Schaubühne zu sagen hat,
dieses; daß er den Zwek seiner Arbeit bedenken, und
nichts vorstellen soll, als was nothwendig ist, die
Wahrheit der Vorstellung zu unterstüzen. Er muß
schlechterdings blos darauf bedacht seyn, daß das
Aug des Zuschauers die Scene für den wahren Ort
der Handlung halte, und sich sorgfältig hüten, daß
das Auge keine Gelegenheit finde, durch etwas unna-
türliches, oder unschikliches, oder gegen das Uebliche
streitende, oder allzusehr hervorstechende, sich von der
Handlung selbst abzuwenden, um die Decoration zu
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Ver
tadeln, oder zu bewundern. Er hat das Seinige
zum Schauspiehl am besten gethan, wenn der Zuschauer
gar nicht an seine Arbeit denkt, sondern nur auf
die handelnden Personen sieht, und glaubt, daß er
sich würklich an dem Ort der Scene befinde.

Verzögerung.
(Musik.)

Es geschiehet bisweilen, daß in der Musik eine
Stimme ihre Töne früher, oder späther angiebt, als
der Gang des Gesanges, oder die Bewegung und
Takt es erfoderten. Jn so fern dieses aus Ueberle-
gung geschieht, um den Ausdruk zu unterstüzen,
wird es unter die Kunstgriffe gezählt, die unter den
lateinischen Namen Retardatio und Anticipatio be-
kannt sind. Man kann sich beydes an folgenden
Beyspiehlen vorstellen. Wenn zwey Stimmen auf
folgende Art mit einander fortrüken:

[Abbildung]

so haben beyde einen gleichen Gang; in beyden
Stimmen werden die zusammengehörigen Töne auf
jeden Schritt zu gleicher Zeit angegeben: aber in
folgenden Beyspiehlen

[Abbildung]

wird der Gang ungleich. Jn den zwey ersten Fäl-
len bleibet die obere Stimme auf jeden Schritt um
ein Achtel hinter der untern zurüke, und dieses wird

Ver-
(*) S.
Schaubüh-
ne; Scene.

[Spaltenumbruch]

Ver
von den erfoderlichen guten Eigenſchaften an ſich ha-
ben. Theile die ſtark und feſt ſeyn ſollen, bekom-
men durch ausgeſchniztes Laubwerk das Anſehen,
als ob ſie ſchwach und zerbrechlich waͤren. Man
ſieht Laub- und Schnizwerk, deſſen Grund man
nicht einſehen kann; ausgehauene Bilder an Schluß-
ſteinen, die ein bloßes Ohngefaͤhr, oder eine voͤllig
ausſchweiffende, abentheuerliche Phantaſie dahin
ſezen konnte. Was ſeiner Natur nach gerad oder
glatt ſeyn ſollte, iſt zur vermeinten Zierde zerbro-
chen und verkroͤpft, oder durch Schnizarbeit kraus
gemacht.

Man kann kaum ſorgfaͤltig genug ſeyn zu verhuͤ-
ten, daß die Verzierungen nicht am unrechten Ort
angebracht, nicht zu uͤberhaͤuft ſeyen, nicht gegen die
Art und gegen den Charakter des Werks, oder der
Theile, denen ſie zur Zierde dienen ſollen, ſtreiten.
Was nicht einen weſentlichen Theil hebt, oder un-
terſtuͤzt, oder angenehmer macht, was blos ange-
haͤngt iſt, ſcheinet verwerflich.

Aber es waͤre vergeblich eine Materie, wobey es
mehr auf gruͤndlichen und feinen Geſchmak, als auf
entwikeltes Denken ankommt, umſtaͤndlicher zu be-
handeln.

Verzierungen, (Decorationen) nennt man auch,
die Veranſtaltungen, wodurch auf der Schaubuͤhne
der Ort der Handlung durch Mahlerey vorgeſtellt
wird: aber uneigentlich; denn dieſe Verzierungen
ſind nicht Nebenſachen zur Verſchoͤnerung, ſondern
weſentlich zum Schauſpiehl gehoͤrige Sachen. Von
den Veranſtaltungen der Schaubuͤhne, wodurch die
Vorſtellung des Orts der Handlung in jedem Falle
kann bewuͤrkt werden; und von der Wahl der Scene,
haben wir bereits geſprochen (*). Ueber das Beſon-
dere in der Kunſt des Schauſpiehlmahlers bin ich
nicht im Stand hier etwas befriedigendes zu ſagen.
Jn Anſehung des Geſchmaks iſt das Wichtigſte, was
man dem Mahler der Schaubuͤhne zu ſagen hat,
dieſes; daß er den Zwek ſeiner Arbeit bedenken, und
nichts vorſtellen ſoll, als was nothwendig iſt, die
Wahrheit der Vorſtellung zu unterſtuͤzen. Er muß
ſchlechterdings blos darauf bedacht ſeyn, daß das
Aug des Zuſchauers die Scene fuͤr den wahren Ort
der Handlung halte, und ſich ſorgfaͤltig huͤten, daß
das Auge keine Gelegenheit finde, durch etwas unna-
tuͤrliches, oder unſchikliches, oder gegen das Uebliche
ſtreitende, oder allzuſehr hervorſtechende, ſich von der
Handlung ſelbſt abzuwenden, um die Decoration zu
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Ver
tadeln, oder zu bewundern. Er hat das Seinige
zum Schauſpiehl am beſten gethan, wenn der Zuſchauer
gar nicht an ſeine Arbeit denkt, ſondern nur auf
die handelnden Perſonen ſieht, und glaubt, daß er
ſich wuͤrklich an dem Ort der Scene befinde.

Verzoͤgerung.
(Muſik.)

Es geſchiehet bisweilen, daß in der Muſik eine
Stimme ihre Toͤne fruͤher, oder ſpaͤther angiebt, als
der Gang des Geſanges, oder die Bewegung und
Takt es erfoderten. Jn ſo fern dieſes aus Ueberle-
gung geſchieht, um den Ausdruk zu unterſtuͤzen,
wird es unter die Kunſtgriffe gezaͤhlt, die unter den
lateiniſchen Namen Retardatio und Anticipatio be-
kannt ſind. Man kann ſich beydes an folgenden
Beyſpiehlen vorſtellen. Wenn zwey Stimmen auf
folgende Art mit einander fortruͤken:

[Abbildung]

ſo haben beyde einen gleichen Gang; in beyden
Stimmen werden die zuſammengehoͤrigen Toͤne auf
jeden Schritt zu gleicher Zeit angegeben: aber in
folgenden Beyſpiehlen

[Abbildung]

wird der Gang ungleich. Jn den zwey erſten Faͤl-
len bleibet die obere Stimme auf jeden Schritt um
ein Achtel hinter der untern zuruͤke, und dieſes wird

Ver-
(*) S.
Schaubuͤh-
ne; Scene.
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[1236[1218]/0665] Ver Ver von den erfoderlichen guten Eigenſchaften an ſich ha- ben. Theile die ſtark und feſt ſeyn ſollen, bekom- men durch ausgeſchniztes Laubwerk das Anſehen, als ob ſie ſchwach und zerbrechlich waͤren. Man ſieht Laub- und Schnizwerk, deſſen Grund man nicht einſehen kann; ausgehauene Bilder an Schluß- ſteinen, die ein bloßes Ohngefaͤhr, oder eine voͤllig ausſchweiffende, abentheuerliche Phantaſie dahin ſezen konnte. Was ſeiner Natur nach gerad oder glatt ſeyn ſollte, iſt zur vermeinten Zierde zerbro- chen und verkroͤpft, oder durch Schnizarbeit kraus gemacht. Man kann kaum ſorgfaͤltig genug ſeyn zu verhuͤ- ten, daß die Verzierungen nicht am unrechten Ort angebracht, nicht zu uͤberhaͤuft ſeyen, nicht gegen die Art und gegen den Charakter des Werks, oder der Theile, denen ſie zur Zierde dienen ſollen, ſtreiten. Was nicht einen weſentlichen Theil hebt, oder un- terſtuͤzt, oder angenehmer macht, was blos ange- haͤngt iſt, ſcheinet verwerflich. Aber es waͤre vergeblich eine Materie, wobey es mehr auf gruͤndlichen und feinen Geſchmak, als auf entwikeltes Denken ankommt, umſtaͤndlicher zu be- handeln. Verzierungen, (Decorationen) nennt man auch, die Veranſtaltungen, wodurch auf der Schaubuͤhne der Ort der Handlung durch Mahlerey vorgeſtellt wird: aber uneigentlich; denn dieſe Verzierungen ſind nicht Nebenſachen zur Verſchoͤnerung, ſondern weſentlich zum Schauſpiehl gehoͤrige Sachen. Von den Veranſtaltungen der Schaubuͤhne, wodurch die Vorſtellung des Orts der Handlung in jedem Falle kann bewuͤrkt werden; und von der Wahl der Scene, haben wir bereits geſprochen (*). Ueber das Beſon- dere in der Kunſt des Schauſpiehlmahlers bin ich nicht im Stand hier etwas befriedigendes zu ſagen. Jn Anſehung des Geſchmaks iſt das Wichtigſte, was man dem Mahler der Schaubuͤhne zu ſagen hat, dieſes; daß er den Zwek ſeiner Arbeit bedenken, und nichts vorſtellen ſoll, als was nothwendig iſt, die Wahrheit der Vorſtellung zu unterſtuͤzen. Er muß ſchlechterdings blos darauf bedacht ſeyn, daß das Aug des Zuſchauers die Scene fuͤr den wahren Ort der Handlung halte, und ſich ſorgfaͤltig huͤten, daß das Auge keine Gelegenheit finde, durch etwas unna- tuͤrliches, oder unſchikliches, oder gegen das Uebliche ſtreitende, oder allzuſehr hervorſtechende, ſich von der Handlung ſelbſt abzuwenden, um die Decoration zu tadeln, oder zu bewundern. Er hat das Seinige zum Schauſpiehl am beſten gethan, wenn der Zuſchauer gar nicht an ſeine Arbeit denkt, ſondern nur auf die handelnden Perſonen ſieht, und glaubt, daß er ſich wuͤrklich an dem Ort der Scene befinde. Verzoͤgerung. (Muſik.) Es geſchiehet bisweilen, daß in der Muſik eine Stimme ihre Toͤne fruͤher, oder ſpaͤther angiebt, als der Gang des Geſanges, oder die Bewegung und Takt es erfoderten. Jn ſo fern dieſes aus Ueberle- gung geſchieht, um den Ausdruk zu unterſtuͤzen, wird es unter die Kunſtgriffe gezaͤhlt, die unter den lateiniſchen Namen Retardatio und Anticipatio be- kannt ſind. Man kann ſich beydes an folgenden Beyſpiehlen vorſtellen. Wenn zwey Stimmen auf folgende Art mit einander fortruͤken: [Abbildung] ſo haben beyde einen gleichen Gang; in beyden Stimmen werden die zuſammengehoͤrigen Toͤne auf jeden Schritt zu gleicher Zeit angegeben: aber in folgenden Beyſpiehlen [Abbildung] wird der Gang ungleich. Jn den zwey erſten Faͤl- len bleibet die obere Stimme auf jeden Schritt um ein Achtel hinter der untern zuruͤke, und dieſes wird Ver- (*) S. Schaubuͤh- ne; Scene.

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 1236[1218]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/665>, abgerufen am 24.11.2024.