Stich eingeführt; Golzius und seine Schüler Jo- hann und Herrmann Müller könnten als die Urheber des kühnen und kräftigen Stichs; Cornelius de Vi- scher als der erste Verbesserer der Schraffirungen; und andre als Erfinder andrer Theile angegeben werden. Aus solchen Bemerkungen würde die wahre Geschichte der Kunst entstehen, und sie würde ein Werk von sehr großem Nuzen seyn.
Vielleicht hat diese Kunst die höchste Stufe ihrer Vollkommenheit bereits erreicht; so daß künftigen Kupferstechern nichts zu ihrer Erhöhung zu thun übrig bleibet. Doch wollen wir dem Genie der Künstler keine Schranken setzen. Auf einem sehr hohen Grad der Vollkommenheit war sie bereits um die Mitte des vorigen Jahrhunderts: und man kann nicht in Abrede seyn, daß die französischen Künstler ein Großes zu ihrer Vollkommenheit beyge- tragen haben. Edelink, Masson, Audran, Nan- teüil, die unter Ludwig dem XIV die wichtigsten Werke des Grabstichels ans Licht gebracht haben, werden immer unter den ersten Meistern stehen, was für Zusätze die Kunst auch immer noch bekommen mag. Das beträchtlichste, was in unsern Tagen zu dieser Kunst hinzugekommen, ist die Methode, Kupferstiche mit mehrern Farben abzudruken; die Art des Stichs, welche die mit Rothstein gemachten Zeichnungen auf das natürlichste darstellt; und der Stich wodurch die getuschten Zeichnungen nachgeahmet werden.
Es würde für dieses Werk zu weitläuftig seyn, wenn wir auch nur die bloßen Namen der größten Meister der Kunst anführen wollten. Denn wär es auch überflüßig, da die Bücher, die Verzeichnisse der berühmtesten Kupferstecher enthalten, in aller Liebhaber Händen sind. Der stärkste Sammler von Nachrichten ist Florent le Comte.(+) Aber es herrscht eine unerträgliche Unordnung in seinem Werk: Man muß sich wundern, daß bey der großen An- zahl Liebhaber der Kupfersammlungen sich keiner findet, der dieses Werk in eine bessere Ordnung gebracht, und bis auf unsre Zeiten fortgesetzt hätte. Denn Le Comtes Nachrichten gehen nur bis ans Ende des vorigen Jahrhunderts. Nächst diesem enthält die vor wenig Jahren in England herausge- kommene Abhandlung von Kupferstichen, welche [Spaltenumbruch]
Kup
Füßli unlängst in besserer Form und vermehrt in deutscher Sprach herausgegeben hat, (++) ein Ver- zeichnis der vornehmsten Kupferstecher und ihrer besten Werke. Doch es ist besonders in Ansehung der Deutschen sehr unvollständig.
Kupferstich; Kupfer.
Diese Namen giebt man den Abdrüken der Kupfer- platten, diese mögen gestochen, geäzt, oder in schwar- zer Kunst gearbeitet seyn. Sehr ofte werden auch die von Holzschnitten gemachten Abdrüke mit darunter be- griffen. Eine Sammlung aller Gattungen von Ku- pfer oder Holz abgedrukter Zeichnungen, wird eine Sammlung von Kupfern, oder Kupferstichen genannt. Die Kupfer der ältesten Meister sind durchaus mit dem Grabstichel gearbeitet; weil das Aezen späther, als das Stechen aufgekommen ist: aber unter den neuern Kupferstichen sind ganz gestochene Blätter sehr selten. Man hat gefunden, daß die histori- schen Stüke, Landschaften, auch Portraite mit eini- gen Nebensachen besser ausfallen, wenn einige Theile davon radirt und geäzt, die andern mit dem Grab- stichel gearbeitet werden. Ganz geäzte Kupfer sind meistentheils Werke der Mahler; große Blätter aber, die durchaus geäzt sind, haben noch die lezte Hülfe des Grabstichels nöthig, ohne welche die Stel- len, wo das Dunkele am stärksten seyn soll, nicht kräftig genug werden. Jm Gegentheil haben auch wieder die Landschaften, wovon der größte Theil geäzt ist, an den leichtesten Stellen, wo eine sehr dünne Luft und leichtes Gewölk anzuzeigen ist, den Grabstichel nöthig, weil das Aezwasser gar zu leicht die daselbst erforderlichen sehr zarten Striche zu stark machen würde. Also muß zu einem vollkomme- nen Kupferstich beydes das Stechen und das Radi- ren zusammenkommen. Man hat von einigen der fürtreflichsten Werke des berühmten Edelink, nicht ohne Grund angemerkt, daß sie durch den Grab- stichel zu schön geworden, und daß es besser gewe- sen wäre, wenn einige Stellen durch die Radierna- del flüchtiger und mit weniger einförmigen Stri- chen wären behandelt worden.
Es ist eine so angenehme Sache die Werke der größten Mahler in guten Kupferstichen mit so großer
Gemäch-
(+)Cabinet des singularites d'Architecture, peinture, sculpture et Gravure par Florent le Comte. 3 Vol. 8.
(++) Joh. Casp. Füßlin raisonirendes Verzeichnis der vor- nehmsten Kupferstecher und ihrer Werke etc. Zürich 1771. 8.
[Spaltenumbruch]
Kup
Stich eingefuͤhrt; Golzius und ſeine Schuͤler Jo- hann und Herrmann Muͤller koͤnnten als die Urheber des kuͤhnen und kraͤftigen Stichs; Cornelius de Vi- ſcher als der erſte Verbeſſerer der Schraffirungen; und andre als Erfinder andrer Theile angegeben werden. Aus ſolchen Bemerkungen wuͤrde die wahre Geſchichte der Kunſt entſtehen, und ſie wuͤrde ein Werk von ſehr großem Nuzen ſeyn.
Vielleicht hat dieſe Kunſt die hoͤchſte Stufe ihrer Vollkommenheit bereits erreicht; ſo daß kuͤnftigen Kupferſtechern nichts zu ihrer Erhoͤhung zu thun uͤbrig bleibet. Doch wollen wir dem Genie der Kuͤnſtler keine Schranken ſetzen. Auf einem ſehr hohen Grad der Vollkommenheit war ſie bereits um die Mitte des vorigen Jahrhunderts: und man kann nicht in Abrede ſeyn, daß die franzoͤſiſchen Kuͤnſtler ein Großes zu ihrer Vollkommenheit beyge- tragen haben. Edelink, Maſſon, Audran, Nan- teuͤil, die unter Ludwig dem XIV die wichtigſten Werke des Grabſtichels ans Licht gebracht haben, werden immer unter den erſten Meiſtern ſtehen, was fuͤr Zuſaͤtze die Kunſt auch immer noch bekommen mag. Das betraͤchtlichſte, was in unſern Tagen zu dieſer Kunſt hinzugekommen, iſt die Methode, Kupferſtiche mit mehrern Farben abzudruken; die Art des Stichs, welche die mit Rothſtein gemachten Zeichnungen auf das natuͤrlichſte darſtellt; und der Stich wodurch die getuſchten Zeichnungen nachgeahmet werden.
Es wuͤrde fuͤr dieſes Werk zu weitlaͤuftig ſeyn, wenn wir auch nur die bloßen Namen der groͤßten Meiſter der Kunſt anfuͤhren wollten. Denn waͤr es auch uͤberfluͤßig, da die Buͤcher, die Verzeichniſſe der beruͤhmteſten Kupferſtecher enthalten, in aller Liebhaber Haͤnden ſind. Der ſtaͤrkſte Sammler von Nachrichten iſt Florent le Comte.(†) Aber es herrſcht eine unertraͤgliche Unordnung in ſeinem Werk: Man muß ſich wundern, daß bey der großen An- zahl Liebhaber der Kupferſammlungen ſich keiner findet, der dieſes Werk in eine beſſere Ordnung gebracht, und bis auf unſre Zeiten fortgeſetzt haͤtte. Denn Le Comtes Nachrichten gehen nur bis ans Ende des vorigen Jahrhunderts. Naͤchſt dieſem enthaͤlt die vor wenig Jahren in England herausge- kommene Abhandlung von Kupferſtichen, welche [Spaltenumbruch]
Kup
Fuͤßli unlaͤngſt in beſſerer Form und vermehrt in deutſcher Sprach herausgegeben hat, (††) ein Ver- zeichnis der vornehmſten Kupferſtecher und ihrer beſten Werke. Doch es iſt beſonders in Anſehung der Deutſchen ſehr unvollſtaͤndig.
Kupferſtich; Kupfer.
Dieſe Namen giebt man den Abdruͤken der Kupfer- platten, dieſe moͤgen geſtochen, geaͤzt, oder in ſchwar- zer Kunſt gearbeitet ſeyn. Sehr ofte werden auch die von Holzſchnitten gemachten Abdruͤke mit darunter be- griffen. Eine Sammlung aller Gattungen von Ku- pfer oder Holz abgedrukter Zeichnungen, wird eine Sammlung von Kupfern, oder Kupferſtichen genannt. Die Kupfer der aͤlteſten Meiſter ſind durchaus mit dem Grabſtichel gearbeitet; weil das Aezen ſpaͤther, als das Stechen aufgekommen iſt: aber unter den neuern Kupferſtichen ſind ganz geſtochene Blaͤtter ſehr ſelten. Man hat gefunden, daß die hiſtori- ſchen Stuͤke, Landſchaften, auch Portraite mit eini- gen Nebenſachen beſſer ausfallen, wenn einige Theile davon radirt und geaͤzt, die andern mit dem Grab- ſtichel gearbeitet werden. Ganz geaͤzte Kupfer ſind meiſtentheils Werke der Mahler; große Blaͤtter aber, die durchaus geaͤzt ſind, haben noch die lezte Huͤlfe des Grabſtichels noͤthig, ohne welche die Stel- len, wo das Dunkele am ſtaͤrkſten ſeyn ſoll, nicht kraͤftig genug werden. Jm Gegentheil haben auch wieder die Landſchaften, wovon der groͤßte Theil geaͤzt iſt, an den leichteſten Stellen, wo eine ſehr duͤnne Luft und leichtes Gewoͤlk anzuzeigen iſt, den Grabſtichel noͤthig, weil das Aezwaſſer gar zu leicht die daſelbſt erforderlichen ſehr zarten Striche zu ſtark machen wuͤrde. Alſo muß zu einem vollkomme- nen Kupferſtich beydes das Stechen und das Radi- ren zuſammenkommen. Man hat von einigen der fuͤrtreflichſten Werke des beruͤhmten Edelink, nicht ohne Grund angemerkt, daß ſie durch den Grab- ſtichel zu ſchoͤn geworden, und daß es beſſer gewe- ſen waͤre, wenn einige Stellen durch die Radierna- del fluͤchtiger und mit weniger einfoͤrmigen Stri- chen waͤren behandelt worden.
Es iſt eine ſo angenehme Sache die Werke der groͤßten Mahler in guten Kupferſtichen mit ſo großer
Gemaͤch-
(†)Cabinet des ſingularités d’Architecture, peinture, ſculpture et Gravure par Florent le Comte. 3 Vol. 8.
(††) Joh. Casp. Fuͤßlin raiſonirendes Verzeichnis der vor- nehmſten Kupferſtecher und ihrer Werke ꝛc. Zuͤrich 1771. 8.
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[640/0075]
Kup
Kup
Stich eingefuͤhrt; Golzius und ſeine Schuͤler Jo-
hann und Herrmann Muͤller koͤnnten als die Urheber
des kuͤhnen und kraͤftigen Stichs; Cornelius de Vi-
ſcher als der erſte Verbeſſerer der Schraffirungen;
und andre als Erfinder andrer Theile angegeben
werden. Aus ſolchen Bemerkungen wuͤrde die
wahre Geſchichte der Kunſt entſtehen, und ſie wuͤrde
ein Werk von ſehr großem Nuzen ſeyn.
Vielleicht hat dieſe Kunſt die hoͤchſte Stufe ihrer
Vollkommenheit bereits erreicht; ſo daß kuͤnftigen
Kupferſtechern nichts zu ihrer Erhoͤhung zu thun
uͤbrig bleibet. Doch wollen wir dem Genie der
Kuͤnſtler keine Schranken ſetzen. Auf einem ſehr
hohen Grad der Vollkommenheit war ſie bereits um
die Mitte des vorigen Jahrhunderts: und man
kann nicht in Abrede ſeyn, daß die franzoͤſiſchen
Kuͤnſtler ein Großes zu ihrer Vollkommenheit beyge-
tragen haben. Edelink, Maſſon, Audran, Nan-
teuͤil, die unter Ludwig dem XIV die wichtigſten Werke
des Grabſtichels ans Licht gebracht haben, werden
immer unter den erſten Meiſtern ſtehen, was fuͤr
Zuſaͤtze die Kunſt auch immer noch bekommen mag.
Das betraͤchtlichſte, was in unſern Tagen zu dieſer
Kunſt hinzugekommen, iſt die Methode, Kupferſtiche
mit mehrern Farben abzudruken; die Art des Stichs,
welche die mit Rothſtein gemachten Zeichnungen auf
das natuͤrlichſte darſtellt; und der Stich wodurch die
getuſchten Zeichnungen nachgeahmet werden.
Es wuͤrde fuͤr dieſes Werk zu weitlaͤuftig ſeyn,
wenn wir auch nur die bloßen Namen der groͤßten
Meiſter der Kunſt anfuͤhren wollten. Denn waͤr es
auch uͤberfluͤßig, da die Buͤcher, die Verzeichniſſe
der beruͤhmteſten Kupferſtecher enthalten, in aller
Liebhaber Haͤnden ſind. Der ſtaͤrkſte Sammler von
Nachrichten iſt Florent le Comte. (†) Aber es herrſcht
eine unertraͤgliche Unordnung in ſeinem Werk:
Man muß ſich wundern, daß bey der großen An-
zahl Liebhaber der Kupferſammlungen ſich keiner
findet, der dieſes Werk in eine beſſere Ordnung
gebracht, und bis auf unſre Zeiten fortgeſetzt haͤtte.
Denn Le Comtes Nachrichten gehen nur bis ans
Ende des vorigen Jahrhunderts. Naͤchſt dieſem
enthaͤlt die vor wenig Jahren in England herausge-
kommene Abhandlung von Kupferſtichen, welche
Fuͤßli unlaͤngſt in beſſerer Form und vermehrt in
deutſcher Sprach herausgegeben hat, (††) ein Ver-
zeichnis der vornehmſten Kupferſtecher und ihrer
beſten Werke. Doch es iſt beſonders in Anſehung
der Deutſchen ſehr unvollſtaͤndig.
Kupferſtich; Kupfer.
Dieſe Namen giebt man den Abdruͤken der Kupfer-
platten, dieſe moͤgen geſtochen, geaͤzt, oder in ſchwar-
zer Kunſt gearbeitet ſeyn. Sehr ofte werden auch die
von Holzſchnitten gemachten Abdruͤke mit darunter be-
griffen. Eine Sammlung aller Gattungen von Ku-
pfer oder Holz abgedrukter Zeichnungen, wird eine
Sammlung von Kupfern, oder Kupferſtichen genannt.
Die Kupfer der aͤlteſten Meiſter ſind durchaus mit
dem Grabſtichel gearbeitet; weil das Aezen ſpaͤther,
als das Stechen aufgekommen iſt: aber unter den
neuern Kupferſtichen ſind ganz geſtochene Blaͤtter
ſehr ſelten. Man hat gefunden, daß die hiſtori-
ſchen Stuͤke, Landſchaften, auch Portraite mit eini-
gen Nebenſachen beſſer ausfallen, wenn einige Theile
davon radirt und geaͤzt, die andern mit dem Grab-
ſtichel gearbeitet werden. Ganz geaͤzte Kupfer
ſind meiſtentheils Werke der Mahler; große Blaͤtter
aber, die durchaus geaͤzt ſind, haben noch die lezte
Huͤlfe des Grabſtichels noͤthig, ohne welche die Stel-
len, wo das Dunkele am ſtaͤrkſten ſeyn ſoll, nicht
kraͤftig genug werden. Jm Gegentheil haben auch
wieder die Landſchaften, wovon der groͤßte Theil
geaͤzt iſt, an den leichteſten Stellen, wo eine ſehr
duͤnne Luft und leichtes Gewoͤlk anzuzeigen iſt, den
Grabſtichel noͤthig, weil das Aezwaſſer gar zu leicht
die daſelbſt erforderlichen ſehr zarten Striche zu ſtark
machen wuͤrde. Alſo muß zu einem vollkomme-
nen Kupferſtich beydes das Stechen und das Radi-
ren zuſammenkommen. Man hat von einigen der
fuͤrtreflichſten Werke des beruͤhmten Edelink, nicht
ohne Grund angemerkt, daß ſie durch den Grab-
ſtichel zu ſchoͤn geworden, und daß es beſſer gewe-
ſen waͤre, wenn einige Stellen durch die Radierna-
del fluͤchtiger und mit weniger einfoͤrmigen Stri-
chen waͤren behandelt worden.
Es iſt eine ſo angenehme Sache die Werke der
groͤßten Mahler in guten Kupferſtichen mit ſo großer
Gemaͤch-
(†) Cabinet des ſingularités d’Architecture, peinture,
ſculpture et Gravure par Florent le Comte. 3 Vol. 8.
(††) Joh. Casp. Fuͤßlin raiſonirendes Verzeichnis der vor-
nehmſten Kupferſtecher und ihrer Werke ꝛc. Zuͤrich 1771. 8.
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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 640. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/75>, abgerufen am 28.11.2024.
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