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Temme, Jodocus Donatus Hubertus: Die Volkssagen von Pommern und Rügen. Berlin, 1840.

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noch jetzt dort stehen. Alle drei Kirchen ließ er auf gleiche Weise bauen, wie man denn auch gegenwärtig ihre Aehnlichkeit sehen kann. In der Kirche zu Baggendorf war vor etwas mehr denn hundert Jahren das Bildniß des Baggus Speckin noch zu sehen. Auf einem großen hölzernen Schwibbogen über der Kanzel sah man nämlich die Gestalt eines geharnischten Ritters, der ganz vom Schmerz niedergedrückt war, und seinen entblößten Rücken einem Menschen darbot, welcher mit einer Geißel hinter ihm stand. In dieser Kirche war auch bis vor hundert Jahren die Thüre nach der Nordseite hin fest zugemauert. Man erzählt sich, daß während des Baues der Kirche der Ritter alle Tage sey hingeritten, um sich zu überzeugen, daß die Bauleute ihre Schuldigkeit thäten, und dabei sey er, um zu sehen, ob auch inwendig Alles in Ordnung sey, durch jene Thüre jedesmal in das Innere des Baues hineingeritten. Darüber starb er aber, noch bevor die Kirche fertig war; und nun begab sich nach seinem Tode auf einmal das Wunder, daß der Ritter, der keine Ruhe im Grabe hatte, allnächtig auf einem Pferde durch die besagte Thüre in die Kirche hineinreiten mußte. Das dauerte so lange, bis man zuletzt auf den Einfall kam, die Thüre vermauern zu lassen. Dadurch bekam der Ritter Ruhe, und der Spuk hörte von da an auf. Deshalb hatte auch viele hundert Jahre lang kein Mensch gewagt, die Thüre wieder zu öffnen, weil man fürchtete, daß dann auch der Ritter aus seinem Grabe heraus, und seine alten Ritte wieder werde beginnen müssen. Als aber in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts die Dänen das Land besetzt hielten, so öffneten diese aus Vorwitz die Thüre wieder, und der Ritter muß seine Ruhe erhalten haben, denn die Thüre wird seitdem zum ordentlichen Kirchgange gebraucht, ohne daß man ihn jemals wieder gesehen hat.

noch jetzt dort stehen. Alle drei Kirchen ließ er auf gleiche Weise bauen, wie man denn auch gegenwärtig ihre Aehnlichkeit sehen kann. In der Kirche zu Baggendorf war vor etwas mehr denn hundert Jahren das Bildniß des Baggus Speckin noch zu sehen. Auf einem großen hölzernen Schwibbogen über der Kanzel sah man nämlich die Gestalt eines geharnischten Ritters, der ganz vom Schmerz niedergedrückt war, und seinen entblößten Rücken einem Menschen darbot, welcher mit einer Geißel hinter ihm stand. In dieser Kirche war auch bis vor hundert Jahren die Thüre nach der Nordseite hin fest zugemauert. Man erzählt sich, daß während des Baues der Kirche der Ritter alle Tage sey hingeritten, um sich zu überzeugen, daß die Bauleute ihre Schuldigkeit thäten, und dabei sey er, um zu sehen, ob auch inwendig Alles in Ordnung sey, durch jene Thüre jedesmal in das Innere des Baues hineingeritten. Darüber starb er aber, noch bevor die Kirche fertig war; und nun begab sich nach seinem Tode auf einmal das Wunder, daß der Ritter, der keine Ruhe im Grabe hatte, allnächtig auf einem Pferde durch die besagte Thüre in die Kirche hineinreiten mußte. Das dauerte so lange, bis man zuletzt auf den Einfall kam, die Thüre vermauern zu lassen. Dadurch bekam der Ritter Ruhe, und der Spuk hörte von da an auf. Deshalb hatte auch viele hundert Jahre lang kein Mensch gewagt, die Thüre wieder zu öffnen, weil man fürchtete, daß dann auch der Ritter aus seinem Grabe heraus, und seine alten Ritte wieder werde beginnen müssen. Als aber in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts die Dänen das Land besetzt hielten, so öffneten diese aus Vorwitz die Thüre wieder, und der Ritter muß seine Ruhe erhalten haben, denn die Thüre wird seitdem zum ordentlichen Kirchgange gebraucht, ohne daß man ihn jemals wieder gesehen hat.

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[108/0140] noch jetzt dort stehen. Alle drei Kirchen ließ er auf gleiche Weise bauen, wie man denn auch gegenwärtig ihre Aehnlichkeit sehen kann. In der Kirche zu Baggendorf war vor etwas mehr denn hundert Jahren das Bildniß des Baggus Speckin noch zu sehen. Auf einem großen hölzernen Schwibbogen über der Kanzel sah man nämlich die Gestalt eines geharnischten Ritters, der ganz vom Schmerz niedergedrückt war, und seinen entblößten Rücken einem Menschen darbot, welcher mit einer Geißel hinter ihm stand. In dieser Kirche war auch bis vor hundert Jahren die Thüre nach der Nordseite hin fest zugemauert. Man erzählt sich, daß während des Baues der Kirche der Ritter alle Tage sey hingeritten, um sich zu überzeugen, daß die Bauleute ihre Schuldigkeit thäten, und dabei sey er, um zu sehen, ob auch inwendig Alles in Ordnung sey, durch jene Thüre jedesmal in das Innere des Baues hineingeritten. Darüber starb er aber, noch bevor die Kirche fertig war; und nun begab sich nach seinem Tode auf einmal das Wunder, daß der Ritter, der keine Ruhe im Grabe hatte, allnächtig auf einem Pferde durch die besagte Thüre in die Kirche hineinreiten mußte. Das dauerte so lange, bis man zuletzt auf den Einfall kam, die Thüre vermauern zu lassen. Dadurch bekam der Ritter Ruhe, und der Spuk hörte von da an auf. Deshalb hatte auch viele hundert Jahre lang kein Mensch gewagt, die Thüre wieder zu öffnen, weil man fürchtete, daß dann auch der Ritter aus seinem Grabe heraus, und seine alten Ritte wieder werde beginnen müssen. Als aber in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts die Dänen das Land besetzt hielten, so öffneten diese aus Vorwitz die Thüre wieder, und der Ritter muß seine Ruhe erhalten haben, denn die Thüre wird seitdem zum ordentlichen Kirchgange gebraucht, ohne daß man ihn jemals wieder gesehen hat.

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Zitationshilfe: Temme, Jodocus Donatus Hubertus: Die Volkssagen von Pommern und Rügen. Berlin, 1840, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/temme_volkssagen_1840/140>, abgerufen am 21.11.2024.