Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Temme, Jodocus Donatus Hubertus: Die Volkssagen von Pommern und Rügen. Berlin, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite
102. Die Gefangenen in den Tonnen.

In dem Jahre 1395, zu der Zeit als die Königin Margarethe von Dänemark einen schweren Krieg hatte mit Herzog Albrecht von Mecklenburg, der König in Schweden war, gab es in der See viele Räuber und Auslieger, welche besonders viel die Schiffe der Bürger vom Sunde beraubten. Darum rüsteten diese zuletzt ein großes Schiff aus, dasselbe schickten sie gegen die Auslieger, fielen sie an, schlugen sie und fingen ein großes Schiff von ihnen, das sie mit Mann und Maus bis zur Stadt brachten. Wie sie nun aber hier ihre Gefangenen aus dem Schiffe hervor ans Land steigen ließen, da hatten sie deren so viele, daß es ihnen an Gefängnissen für dieselben gebrach, weshalb sie in große Noth geriethen. Da lerneten sie von den Räubern selbst, wie man ihnen thun sollte, denn so hatten diese es auch mit ihren Gefangenen gemacht. Sie nahmen nämlich für jeden Gefangenen eine Tonne, der stießen sie den einen Boden aus, und durch den anderen Boden machten sie ein Loch, so groß, daß ein Mensch den Kopf dadurch bringen mochte. Dieselbige Tonne stülpte man dann dem Gefangenen über den Kopf, und machte unten durch die Tonnenstäbe zwei Löcher gegen einander, dadurch man ein Holz steckte, das dem Gefangenen zwischen die Beine durchging. Hernach legte man auswendig vor das Holz ein Schloß. So mußte der Mensch darin zusammengedrückt und gezwungen sitzen, daß er nur allein den Kopf heraushielt, und sich mit seinem übrigen Körper weder an Händen noch Füßen rühren konnte. Dieses war ein sehr verdrießliches Gefängniß; denn wenn der Mensch mit der Tonne umfiel, so war es ihm nicht möglich, daß er sich wieder damit aufrichten konnte, und wo er lange

102. Die Gefangenen in den Tonnen.

In dem Jahre 1395, zu der Zeit als die Königin Margarethe von Dänemark einen schweren Krieg hatte mit Herzog Albrecht von Mecklenburg, der König in Schweden war, gab es in der See viele Räuber und Auslieger, welche besonders viel die Schiffe der Bürger vom Sunde beraubten. Darum rüsteten diese zuletzt ein großes Schiff aus, dasselbe schickten sie gegen die Auslieger, fielen sie an, schlugen sie und fingen ein großes Schiff von ihnen, das sie mit Mann und Maus bis zur Stadt brachten. Wie sie nun aber hier ihre Gefangenen aus dem Schiffe hervor ans Land steigen ließen, da hatten sie deren so viele, daß es ihnen an Gefängnissen für dieselben gebrach, weshalb sie in große Noth geriethen. Da lerneten sie von den Räubern selbst, wie man ihnen thun sollte, denn so hatten diese es auch mit ihren Gefangenen gemacht. Sie nahmen nämlich für jeden Gefangenen eine Tonne, der stießen sie den einen Boden aus, und durch den anderen Boden machten sie ein Loch, so groß, daß ein Mensch den Kopf dadurch bringen mochte. Dieselbige Tonne stülpte man dann dem Gefangenen über den Kopf, und machte unten durch die Tonnenstäbe zwei Löcher gegen einander, dadurch man ein Holz steckte, das dem Gefangenen zwischen die Beine durchging. Hernach legte man auswendig vor das Holz ein Schloß. So mußte der Mensch darin zusammengedrückt und gezwungen sitzen, daß er nur allein den Kopf heraushielt, und sich mit seinem übrigen Körper weder an Händen noch Füßen rühren konnte. Dieses war ein sehr verdrießliches Gefängniß; denn wenn der Mensch mit der Tonne umfiel, so war es ihm nicht möglich, daß er sich wieder damit aufrichten konnte, und wo er lange

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0170" n="138"/>
        <div n="2">
          <head>102. Die Gefangenen in den Tonnen.</head><lb/>
          <p>In dem Jahre 1395, zu der Zeit als die Königin Margarethe von Dänemark einen schweren Krieg hatte mit Herzog Albrecht von Mecklenburg, der König in Schweden war, gab es in der See viele Räuber und Auslieger, welche besonders viel die Schiffe der Bürger vom Sunde beraubten. Darum rüsteten diese zuletzt ein großes Schiff aus, dasselbe schickten sie gegen die Auslieger, fielen sie an, schlugen sie und fingen ein großes Schiff von ihnen, das sie mit Mann und Maus bis zur Stadt brachten. Wie sie nun aber hier ihre Gefangenen aus dem Schiffe hervor ans Land steigen ließen, da hatten sie deren so viele, daß es ihnen an Gefängnissen für dieselben gebrach, weshalb sie in große Noth geriethen. Da lerneten sie von den Räubern selbst, wie man ihnen thun sollte, denn so hatten diese es auch mit ihren Gefangenen gemacht. Sie nahmen nämlich für jeden Gefangenen eine Tonne, der stießen sie den einen Boden aus, und durch den anderen Boden machten sie ein Loch, so groß, daß ein Mensch den Kopf dadurch bringen mochte. Dieselbige Tonne stülpte man dann dem Gefangenen über den Kopf, und machte unten durch die Tonnenstäbe zwei Löcher gegen einander, dadurch man ein Holz steckte, das dem Gefangenen zwischen die Beine durchging. Hernach legte man auswendig vor das Holz ein Schloß. So mußte der Mensch darin zusammengedrückt und gezwungen sitzen, daß er nur allein den Kopf heraushielt, und sich mit seinem übrigen Körper weder an Händen noch Füßen rühren konnte. Dieses war ein sehr verdrießliches Gefängniß; denn wenn der Mensch mit der Tonne umfiel, so war es ihm nicht möglich, daß er sich wieder damit aufrichten konnte, und wo er lange
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[138/0170] 102. Die Gefangenen in den Tonnen. In dem Jahre 1395, zu der Zeit als die Königin Margarethe von Dänemark einen schweren Krieg hatte mit Herzog Albrecht von Mecklenburg, der König in Schweden war, gab es in der See viele Räuber und Auslieger, welche besonders viel die Schiffe der Bürger vom Sunde beraubten. Darum rüsteten diese zuletzt ein großes Schiff aus, dasselbe schickten sie gegen die Auslieger, fielen sie an, schlugen sie und fingen ein großes Schiff von ihnen, das sie mit Mann und Maus bis zur Stadt brachten. Wie sie nun aber hier ihre Gefangenen aus dem Schiffe hervor ans Land steigen ließen, da hatten sie deren so viele, daß es ihnen an Gefängnissen für dieselben gebrach, weshalb sie in große Noth geriethen. Da lerneten sie von den Räubern selbst, wie man ihnen thun sollte, denn so hatten diese es auch mit ihren Gefangenen gemacht. Sie nahmen nämlich für jeden Gefangenen eine Tonne, der stießen sie den einen Boden aus, und durch den anderen Boden machten sie ein Loch, so groß, daß ein Mensch den Kopf dadurch bringen mochte. Dieselbige Tonne stülpte man dann dem Gefangenen über den Kopf, und machte unten durch die Tonnenstäbe zwei Löcher gegen einander, dadurch man ein Holz steckte, das dem Gefangenen zwischen die Beine durchging. Hernach legte man auswendig vor das Holz ein Schloß. So mußte der Mensch darin zusammengedrückt und gezwungen sitzen, daß er nur allein den Kopf heraushielt, und sich mit seinem übrigen Körper weder an Händen noch Füßen rühren konnte. Dieses war ein sehr verdrießliches Gefängniß; denn wenn der Mensch mit der Tonne umfiel, so war es ihm nicht möglich, daß er sich wieder damit aufrichten konnte, und wo er lange

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-10-29T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-10-29T10:30:31Z)
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-10-29T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-10-29T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • als Grundlage dienen die Editionsrichtlinien von Wikisource.
  • Überschriebene „e“ über den Vokalen „a“, „o“ und „u“ werden als moderne Umlaute transkribiert.
  • Gesperrter Text wird kursiv
  • Der Seitenwechsel erfolgt bei Worttrennung nach dem gesamten Wort.
  • Einzüge werden nicht übernommen
  • Geviertstriche (—) wurden durch Halbgeviertstriche ersetzt (–).
  • Fußnoten der Vorlage sind fortlaufend nummeriert und folgen jeweils am Schluß des Textes.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/temme_volkssagen_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/temme_volkssagen_1840/170
Zitationshilfe: Temme, Jodocus Donatus Hubertus: Die Volkssagen von Pommern und Rügen. Berlin, 1840, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/temme_volkssagen_1840/170>, abgerufen am 24.11.2024.