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Temme, Jodocus Donatus Hubertus: Die Volkssagen von Pommern und Rügen. Berlin, 1840.

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kommt elendiglich um. Eben so ergeht es ihr, wenn sie keine keusche Jungfrau ist.

Dieses fiel der Prinzessin Swanvithe in ihrem einsamen Gefängnisse ein, und sie gedachte, das Wagestück zu unternehmen, um so ihrem Vater und der ganzen Welt zu beweisen, daß sie rein und unschuldig sey, und daß der schlechte Pole sie belogen habe. Sie ließ daher ihr Vorhaben dem Könige anzeigen, und bat ihn um Erlaubniß, dasselbe auszuführen. Das wurde ihr gestattet.

Als nun einige Zeit nachher die Johannisnacht kam, da ging die Prinzessin allein von Bergen nach Garz; und wie es vom Garzer Kirchthurm Mitternacht schlug, so that sie ihre Kleider von sich, und betrat den Schloßwall, auf dem sie nun rückwärts auf und ab schritt, mit einer Johannisruthe, die sie mitgenommen hatte, die Erde berührend. Nicht lange war sie so geschritten, da that sich die Erde auf, und sie glitt sanft und langsam tief hinunter, bis in einen großen Saal, in dem über tausend Lichter brannten, so daß es darin heller war, als am klarsten Mittage. Die Wände des Saals waren von Marmor und Diamantenspiegeln, und der ganze Saal voll großer Haufen von Silber, Gold und Edelsteinen. Hinten in einer Ecke saß der König, der alle diese Schätze bewachte; es war ein kleines, graues Männchen, das ihr zuwinkte, um ihr Muth einzusprechen. Sie aber fürchtete sich nicht, und begrüßte den König nur leise mit der Hand. Da erschienen auf einmal eine große Menge herrlich gekleideter Diener und Dienerinnen. Die füllten alle ihre Hände und Kleider mit Gold und Edelsteinen, und also that auch die Prinzessin. Und wie sie genug hatte, da trat sie ihren Rückweg an, und alle die Diener und Dienerinnen folgten ihr. Wie sie so nun schon viele Stufen heraufgestiegen war, so ward ihr auf einmal bange, ob jene mit den

kommt elendiglich um. Eben so ergeht es ihr, wenn sie keine keusche Jungfrau ist.

Dieses fiel der Prinzessin Swanvithe in ihrem einsamen Gefängnisse ein, und sie gedachte, das Wagestück zu unternehmen, um so ihrem Vater und der ganzen Welt zu beweisen, daß sie rein und unschuldig sey, und daß der schlechte Pole sie belogen habe. Sie ließ daher ihr Vorhaben dem Könige anzeigen, und bat ihn um Erlaubniß, dasselbe auszuführen. Das wurde ihr gestattet.

Als nun einige Zeit nachher die Johannisnacht kam, da ging die Prinzessin allein von Bergen nach Garz; und wie es vom Garzer Kirchthurm Mitternacht schlug, so that sie ihre Kleider von sich, und betrat den Schloßwall, auf dem sie nun rückwärts auf und ab schritt, mit einer Johannisruthe, die sie mitgenommen hatte, die Erde berührend. Nicht lange war sie so geschritten, da that sich die Erde auf, und sie glitt sanft und langsam tief hinunter, bis in einen großen Saal, in dem über tausend Lichter brannten, so daß es darin heller war, als am klarsten Mittage. Die Wände des Saals waren von Marmor und Diamantenspiegeln, und der ganze Saal voll großer Haufen von Silber, Gold und Edelsteinen. Hinten in einer Ecke saß der König, der alle diese Schätze bewachte; es war ein kleines, graues Männchen, das ihr zuwinkte, um ihr Muth einzusprechen. Sie aber fürchtete sich nicht, und begrüßte den König nur leise mit der Hand. Da erschienen auf einmal eine große Menge herrlich gekleideter Diener und Dienerinnen. Die füllten alle ihre Hände und Kleider mit Gold und Edelsteinen, und also that auch die Prinzessin. Und wie sie genug hatte, da trat sie ihren Rückweg an, und alle die Diener und Dienerinnen folgten ihr. Wie sie so nun schon viele Stufen heraufgestiegen war, so ward ihr auf einmal bange, ob jene mit den

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[246/0278] kommt elendiglich um. Eben so ergeht es ihr, wenn sie keine keusche Jungfrau ist. Dieses fiel der Prinzessin Swanvithe in ihrem einsamen Gefängnisse ein, und sie gedachte, das Wagestück zu unternehmen, um so ihrem Vater und der ganzen Welt zu beweisen, daß sie rein und unschuldig sey, und daß der schlechte Pole sie belogen habe. Sie ließ daher ihr Vorhaben dem Könige anzeigen, und bat ihn um Erlaubniß, dasselbe auszuführen. Das wurde ihr gestattet. Als nun einige Zeit nachher die Johannisnacht kam, da ging die Prinzessin allein von Bergen nach Garz; und wie es vom Garzer Kirchthurm Mitternacht schlug, so that sie ihre Kleider von sich, und betrat den Schloßwall, auf dem sie nun rückwärts auf und ab schritt, mit einer Johannisruthe, die sie mitgenommen hatte, die Erde berührend. Nicht lange war sie so geschritten, da that sich die Erde auf, und sie glitt sanft und langsam tief hinunter, bis in einen großen Saal, in dem über tausend Lichter brannten, so daß es darin heller war, als am klarsten Mittage. Die Wände des Saals waren von Marmor und Diamantenspiegeln, und der ganze Saal voll großer Haufen von Silber, Gold und Edelsteinen. Hinten in einer Ecke saß der König, der alle diese Schätze bewachte; es war ein kleines, graues Männchen, das ihr zuwinkte, um ihr Muth einzusprechen. Sie aber fürchtete sich nicht, und begrüßte den König nur leise mit der Hand. Da erschienen auf einmal eine große Menge herrlich gekleideter Diener und Dienerinnen. Die füllten alle ihre Hände und Kleider mit Gold und Edelsteinen, und also that auch die Prinzessin. Und wie sie genug hatte, da trat sie ihren Rückweg an, und alle die Diener und Dienerinnen folgten ihr. Wie sie so nun schon viele Stufen heraufgestiegen war, so ward ihr auf einmal bange, ob jene mit den

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Zitationshilfe: Temme, Jodocus Donatus Hubertus: Die Volkssagen von Pommern und Rügen. Berlin, 1840, S. 246. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/temme_volkssagen_1840/278>, abgerufen am 22.11.2024.