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Temme, Jodocus Donatus Hubertus: Die Volkssagen von Pommern und Rügen. Berlin, 1840.

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mehr als hundert Jahren kam ein Schiff aus dem Meere; daraus stiegen viele fremde und hohe Männer, die fragten, wo die Höhle der schwarzen Frau sey. Und als man sie ihnen gezeigt hatte, so begaben sie sich dahin mit einem Missethäter, den sie mit sich führten. Dieser war in seiner Heimath zum Tode verurtheilt, aber der König hatte ihn begnadigt, wenn er den Becher holen werde, den die schwarze Frau bewachte. Die Männer führten ihn bis auf den Felsenpfad, der zu der Höhle geht. Dort löseten sie seine Fesseln, und nun mußte er allein zur Höhle gehen. Er fand sie offen. Die ganze Höhle war voll heißer, heller Flammen, so daß man es vor Hitze nicht darin aushalten konnte. Mitten in diesem Feuer saß unbeweglich die schwarze Frau; sie war ganz in schwarze Kleider gehüllt, und ein schwarzer Schleier hing vor ihrem Gesichte. Neben ihr lag von reinem Golde der Becher, den sie hütete. Der Missethäter schritt zagend, aber doch eilig, um aus diesem Meere von Gluth zu entkommen, auf sie zu, und langte nach dem Becher. Da bewegte sich die schwarze Frau, und sagte mit klagender Stimme zu ihm: Wähle recht, fremder Mann; wenn du recht wählst, so bin ich auf ewig dein! Aber der Missethäter sah nichts als den Becher, den ergriff er, und lief eiligst damit fort aus der Höhle, denn er verstand die Worte der Frau nicht, und dachte nicht daran, daß er sie selbst hätte nehmen und erlösen sollen. Im Zurückkehren hörte er sie schwer und tief hinter sich seufzen, und sie klagte mit trauriger Stimme: Wehe mir, nun kann mich Keiner mehr erlösen! In dem Augenblicke verschwand auch die weiße Taube oben vom Felsen, und an ihrer Stelle sah man einen schwarzen Raben, der dort jetzt die ewige Wacht hält. Die schwarze Frau jammerte aber in der Höhle so laut, daß alle Männer, als der Missethäter ihnen den Becher übergab, sie

mehr als hundert Jahren kam ein Schiff aus dem Meere; daraus stiegen viele fremde und hohe Männer, die fragten, wo die Höhle der schwarzen Frau sey. Und als man sie ihnen gezeigt hatte, so begaben sie sich dahin mit einem Missethäter, den sie mit sich führten. Dieser war in seiner Heimath zum Tode verurtheilt, aber der König hatte ihn begnadigt, wenn er den Becher holen werde, den die schwarze Frau bewachte. Die Männer führten ihn bis auf den Felsenpfad, der zu der Höhle geht. Dort löseten sie seine Fesseln, und nun mußte er allein zur Höhle gehen. Er fand sie offen. Die ganze Höhle war voll heißer, heller Flammen, so daß man es vor Hitze nicht darin aushalten konnte. Mitten in diesem Feuer saß unbeweglich die schwarze Frau; sie war ganz in schwarze Kleider gehüllt, und ein schwarzer Schleier hing vor ihrem Gesichte. Neben ihr lag von reinem Golde der Becher, den sie hütete. Der Missethäter schritt zagend, aber doch eilig, um aus diesem Meere von Gluth zu entkommen, auf sie zu, und langte nach dem Becher. Da bewegte sich die schwarze Frau, und sagte mit klagender Stimme zu ihm: Wähle recht, fremder Mann; wenn du recht wählst, so bin ich auf ewig dein! Aber der Missethäter sah nichts als den Becher, den ergriff er, und lief eiligst damit fort aus der Höhle, denn er verstand die Worte der Frau nicht, und dachte nicht daran, daß er sie selbst hätte nehmen und erlösen sollen. Im Zurückkehren hörte er sie schwer und tief hinter sich seufzen, und sie klagte mit trauriger Stimme: Wehe mir, nun kann mich Keiner mehr erlösen! In dem Augenblicke verschwand auch die weiße Taube oben vom Felsen, und an ihrer Stelle sah man einen schwarzen Raben, der dort jetzt die ewige Wacht hält. Die schwarze Frau jammerte aber in der Höhle so laut, daß alle Männer, als der Missethäter ihnen den Becher übergab, sie

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mehr als hundert Jahren kam ein Schiff aus dem Meere; daraus stiegen viele fremde und hohe Männer, die fragten, wo die Höhle der schwarzen Frau sey. Und als man sie ihnen gezeigt hatte, so begaben sie sich dahin mit einem Missethäter, den sie mit sich führten. Dieser war in seiner Heimath zum Tode verurtheilt, aber der König hatte ihn begnadigt, wenn er den Becher holen werde, den die schwarze Frau bewachte. Die Männer führten ihn bis auf den Felsenpfad, der zu der Höhle geht. Dort löseten sie seine Fesseln, und nun mußte er allein zur Höhle gehen. Er fand sie offen. Die ganze Höhle war voll heißer, heller Flammen, so daß man es vor Hitze nicht darin aushalten konnte. Mitten in diesem Feuer saß unbeweglich die schwarze Frau; sie war ganz in schwarze Kleider gehüllt, und ein schwarzer Schleier hing vor ihrem Gesichte. Neben ihr lag von reinem Golde der Becher, den sie hütete. Der Missethäter schritt zagend, aber doch eilig, um aus diesem Meere von Gluth zu entkommen, auf sie zu, und langte nach dem Becher. Da bewegte sich die schwarze Frau, und sagte mit klagender Stimme zu ihm: Wähle recht, fremder Mann; wenn du recht wählst, so bin ich auf ewig dein! Aber der Missethäter sah nichts als den Becher, den ergriff er, und lief eiligst damit fort aus der Höhle, denn er verstand die Worte der Frau nicht, und dachte nicht daran, daß er sie selbst hätte nehmen und erlösen sollen. Im Zurückkehren hörte er sie schwer und tief hinter sich seufzen, und sie klagte mit trauriger Stimme: Wehe mir, nun kann mich Keiner mehr erlösen! In dem Augenblicke verschwand auch die weiße Taube oben vom Felsen, und an ihrer Stelle sah man einen schwarzen Raben, der dort jetzt die ewige Wacht hält. Die schwarze Frau jammerte aber in der Höhle so laut, daß alle Männer, als der Missethäter ihnen den Becher übergab, sie
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[251/0283] mehr als hundert Jahren kam ein Schiff aus dem Meere; daraus stiegen viele fremde und hohe Männer, die fragten, wo die Höhle der schwarzen Frau sey. Und als man sie ihnen gezeigt hatte, so begaben sie sich dahin mit einem Missethäter, den sie mit sich führten. Dieser war in seiner Heimath zum Tode verurtheilt, aber der König hatte ihn begnadigt, wenn er den Becher holen werde, den die schwarze Frau bewachte. Die Männer führten ihn bis auf den Felsenpfad, der zu der Höhle geht. Dort löseten sie seine Fesseln, und nun mußte er allein zur Höhle gehen. Er fand sie offen. Die ganze Höhle war voll heißer, heller Flammen, so daß man es vor Hitze nicht darin aushalten konnte. Mitten in diesem Feuer saß unbeweglich die schwarze Frau; sie war ganz in schwarze Kleider gehüllt, und ein schwarzer Schleier hing vor ihrem Gesichte. Neben ihr lag von reinem Golde der Becher, den sie hütete. Der Missethäter schritt zagend, aber doch eilig, um aus diesem Meere von Gluth zu entkommen, auf sie zu, und langte nach dem Becher. Da bewegte sich die schwarze Frau, und sagte mit klagender Stimme zu ihm: Wähle recht, fremder Mann; wenn du recht wählst, so bin ich auf ewig dein! Aber der Missethäter sah nichts als den Becher, den ergriff er, und lief eiligst damit fort aus der Höhle, denn er verstand die Worte der Frau nicht, und dachte nicht daran, daß er sie selbst hätte nehmen und erlösen sollen. Im Zurückkehren hörte er sie schwer und tief hinter sich seufzen, und sie klagte mit trauriger Stimme: Wehe mir, nun kann mich Keiner mehr erlösen! In dem Augenblicke verschwand auch die weiße Taube oben vom Felsen, und an ihrer Stelle sah man einen schwarzen Raben, der dort jetzt die ewige Wacht hält. Die schwarze Frau jammerte aber in der Höhle so laut, daß alle Männer, als der Missethäter ihnen den Becher übergab, sie

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Zitationshilfe: Temme, Jodocus Donatus Hubertus: Die Volkssagen von Pommern und Rügen. Berlin, 1840, S. 251. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/temme_volkssagen_1840/283>, abgerufen am 22.11.2024.