Temme, Jodocus Donatus Hubertus: Die Volkssagen von Pommern und Rügen. Berlin, 1840.kleine Insel Oie. Sie gehörte früher zur Marien-Kirche in Greifswald; seit mehr als hundert Jahren ist sie aber schon zum Kirchspiel Kröslin eingepfarrt. Die ganze Insel wird von ungefähr dreißig Menschen bewohnt, die aus drei Familien bestehen, und auch nur in drei Häusern wohnen. Bis vor dreißig Jahren war noch niemals ein Bettler auf der Insel gewesen. Da geschah es einmal in einem strengen Winter, als die See von Peenemünde bis nach der Insel hin zugefroren war, daß ein Bettler auf den Einfall kam, die Eisbahn zu benutzen und auf der kleinen Insel zu betteln. Der alte Mann kam, ohne daß ihn Jemand bemerkt hatte, auf der Insel an, und stellte sich sogleich in die offne Thür des ersten Hauses, auf welches er traf. Allda fing er auch sofort nach Bettlerart zuerst an, ein kurzes Gebet herzusagen, und dann ein frommes Lied zu singen. Auf solche Weise hatten die Oier das Wort Gottes noch niemals gehört; Alles, was in dem Hause war, stürzte heraus zu dem armen Manne, und holte ihn in die warme Stube, wo er bewirthet und reichlich beschenkt wurde. Dann führten sie ihn im Triumphe zum nächsten Hause, wo er wiederum singen und beten mußte, und worauf er nun von Allen zum dritten Hause geführt wurde, so daß hier die Insel, Groß und Klein, Herrschaft und Gesinde, um ihn versammelt war. Die guten Leute überschütteten ihn mit Kleidern und Lebensmitteln, daß er nicht im Stande war, Alles fortzutragen. Auch Geld bekam er, dreifach so viel, als er hatte erwarten können; die Dienstboten allein hatten über drei Thaler für ihn aufgebracht. Als er endlich die Insel verließ, waren die Leute ordentlich traurig, und er mußte ihnen versprechen, daß er recht bald wiederkommen werde. Pommersche Provinzial-Blätter, II. S. 43. kleine Insel Oie. Sie gehörte früher zur Marien-Kirche in Greifswald; seit mehr als hundert Jahren ist sie aber schon zum Kirchspiel Kröslin eingepfarrt. Die ganze Insel wird von ungefähr dreißig Menschen bewohnt, die aus drei Familien bestehen, und auch nur in drei Häusern wohnen. Bis vor dreißig Jahren war noch niemals ein Bettler auf der Insel gewesen. Da geschah es einmal in einem strengen Winter, als die See von Peenemünde bis nach der Insel hin zugefroren war, daß ein Bettler auf den Einfall kam, die Eisbahn zu benutzen und auf der kleinen Insel zu betteln. Der alte Mann kam, ohne daß ihn Jemand bemerkt hatte, auf der Insel an, und stellte sich sogleich in die offne Thür des ersten Hauses, auf welches er traf. Allda fing er auch sofort nach Bettlerart zuerst an, ein kurzes Gebet herzusagen, und dann ein frommes Lied zu singen. Auf solche Weise hatten die Oier das Wort Gottes noch niemals gehört; Alles, was in dem Hause war, stürzte heraus zu dem armen Manne, und holte ihn in die warme Stube, wo er bewirthet und reichlich beschenkt wurde. Dann führten sie ihn im Triumphe zum nächsten Hause, wo er wiederum singen und beten mußte, und worauf er nun von Allen zum dritten Hause geführt wurde, so daß hier die Insel, Groß und Klein, Herrschaft und Gesinde, um ihn versammelt war. Die guten Leute überschütteten ihn mit Kleidern und Lebensmitteln, daß er nicht im Stande war, Alles fortzutragen. Auch Geld bekam er, dreifach so viel, als er hatte erwarten können; die Dienstboten allein hatten über drei Thaler für ihn aufgebracht. Als er endlich die Insel verließ, waren die Leute ordentlich traurig, und er mußte ihnen versprechen, daß er recht bald wiederkommen werde. Pommersche Provinzial-Blätter, II. S. 43. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0354" n="322"/> kleine Insel Oie. Sie gehörte früher zur Marien-Kirche in Greifswald; seit mehr als hundert Jahren ist sie aber schon zum Kirchspiel Kröslin eingepfarrt. Die ganze Insel wird von ungefähr dreißig Menschen bewohnt, die aus drei Familien bestehen, und auch nur in drei Häusern wohnen.</p> <p>Bis vor dreißig Jahren war noch niemals ein Bettler auf der Insel gewesen. Da geschah es einmal in einem strengen Winter, als die See von Peenemünde bis nach der Insel hin zugefroren war, daß ein Bettler auf den Einfall kam, die Eisbahn zu benutzen und auf der kleinen Insel zu betteln. Der alte Mann kam, ohne daß ihn Jemand bemerkt hatte, auf der Insel an, und stellte sich sogleich in die offne Thür des ersten Hauses, auf welches er traf. Allda fing er auch sofort nach Bettlerart zuerst an, ein kurzes Gebet herzusagen, und dann ein frommes Lied zu singen. Auf solche Weise hatten die Oier das Wort Gottes noch niemals gehört; Alles, was in dem Hause war, stürzte heraus zu dem armen Manne, und holte ihn in die warme Stube, wo er bewirthet und reichlich beschenkt wurde. Dann führten sie ihn im Triumphe zum nächsten Hause, wo er wiederum singen und beten mußte, und worauf er nun von Allen zum dritten Hause geführt wurde, so daß hier die Insel, Groß und Klein, Herrschaft und Gesinde, um ihn versammelt war. Die guten Leute überschütteten ihn mit Kleidern und Lebensmitteln, daß er nicht im Stande war, Alles fortzutragen. Auch Geld bekam er, dreifach so viel, als er hatte erwarten können; die Dienstboten allein hatten über drei Thaler für ihn aufgebracht. Als er endlich die Insel verließ, waren die Leute ordentlich traurig, und er mußte ihnen versprechen, daß er recht bald wiederkommen werde.</p> <listBibl> <bibl>Pommersche Provinzial-Blätter, II. S. 43.</bibl><lb/> </listBibl> </div> </div> </body> </text> </TEI> [322/0354]
kleine Insel Oie. Sie gehörte früher zur Marien-Kirche in Greifswald; seit mehr als hundert Jahren ist sie aber schon zum Kirchspiel Kröslin eingepfarrt. Die ganze Insel wird von ungefähr dreißig Menschen bewohnt, die aus drei Familien bestehen, und auch nur in drei Häusern wohnen.
Bis vor dreißig Jahren war noch niemals ein Bettler auf der Insel gewesen. Da geschah es einmal in einem strengen Winter, als die See von Peenemünde bis nach der Insel hin zugefroren war, daß ein Bettler auf den Einfall kam, die Eisbahn zu benutzen und auf der kleinen Insel zu betteln. Der alte Mann kam, ohne daß ihn Jemand bemerkt hatte, auf der Insel an, und stellte sich sogleich in die offne Thür des ersten Hauses, auf welches er traf. Allda fing er auch sofort nach Bettlerart zuerst an, ein kurzes Gebet herzusagen, und dann ein frommes Lied zu singen. Auf solche Weise hatten die Oier das Wort Gottes noch niemals gehört; Alles, was in dem Hause war, stürzte heraus zu dem armen Manne, und holte ihn in die warme Stube, wo er bewirthet und reichlich beschenkt wurde. Dann führten sie ihn im Triumphe zum nächsten Hause, wo er wiederum singen und beten mußte, und worauf er nun von Allen zum dritten Hause geführt wurde, so daß hier die Insel, Groß und Klein, Herrschaft und Gesinde, um ihn versammelt war. Die guten Leute überschütteten ihn mit Kleidern und Lebensmitteln, daß er nicht im Stande war, Alles fortzutragen. Auch Geld bekam er, dreifach so viel, als er hatte erwarten können; die Dienstboten allein hatten über drei Thaler für ihn aufgebracht. Als er endlich die Insel verließ, waren die Leute ordentlich traurig, und er mußte ihnen versprechen, daß er recht bald wiederkommen werde.
Pommersche Provinzial-Blätter, II. S. 43.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax.
(2012-10-29T10:30:31Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2012-10-29T10:30:31Z)
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2012-10-29T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat.
(2012-10-29T10:30:31Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |