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Temme, Jodocus Donatus Hubertus: Die Volkssagen von Pommern und Rügen. Berlin, 1840.

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Sowohl in Kassuben, als auch in manchen anderen Gegenden Pommerns ist die halb christliche, halb heidnische Sitte, daß die Wöchnerin, wenn sie ihren Kirchgang hält, während des Gesanges ihr Kind auf den Arm nehmen und damit, von allen ihren verheiratheten und unverheiratheten Bekanntinnen gefolgt, rund um den Altar gehen muß. Dann kniet sie vor demselben nieder, und wird nun von dem Pfarrer, während er dem Kinde die Hände auflegt, feierlich eingesegnet. Stirbt die Wöchnerin im Kindbette, bevor sie ihren Kirchgang hat halten können, so wird ihre Leiche, gefolgt von dem ganzen Trauerzuge, zuvor rings um die Kirche getragen, wie sie beim Leben um den Altar hätte gehen müssen, und dann erst zum Grabe gebracht. Bei dem Kirchgange muß die Wöchnerin selbst ein Opfer auf den Altar legen; bei diesem Leichenzuge aber steckt Jemand aus dem Gefolge statt des Opfers heimlich ein Stück Geld in eine Mauerspalte der Kirche, damit die Seele der Frau Ruhe habe.

Pomm. Provinzial-Blätter, III. S. 475.

In Hinterpommern, besonders in der Gegend von Cöslin, haben sich auf dem Lande noch mehrere sonderbare Hochzeitsgebräuche, wahrscheinlich Wendischen Ursprungs, erhalten, auf welche mit abergläubischer Strenge gehalten wird, da sonst in der Ehe kein Glück und Segen soll bestehen können. Wenn nämlich die Trauung, die immer in der Kirche vollzogen wird, zu Ende ist, und der ganze Hochzeitszug sich nun zum Hochzeitshause begiebt, so muß dieses ja fest verschlossen seyn. Es wird erst nach einer Weile geöffnet, und es tritt dann Einer mit einem ganzen Brodte und einem Kruge Bier heraus vor die Thür. Aus dem Brodte muß hierauf zuerst die Braut ein Stück herausbeißen, dann der Bräutigam, und dann alle Uebrigen

Sowohl in Kassuben, als auch in manchen anderen Gegenden Pommerns ist die halb christliche, halb heidnische Sitte, daß die Wöchnerin, wenn sie ihren Kirchgang hält, während des Gesanges ihr Kind auf den Arm nehmen und damit, von allen ihren verheiratheten und unverheiratheten Bekanntinnen gefolgt, rund um den Altar gehen muß. Dann kniet sie vor demselben nieder, und wird nun von dem Pfarrer, während er dem Kinde die Hände auflegt, feierlich eingesegnet. Stirbt die Wöchnerin im Kindbette, bevor sie ihren Kirchgang hat halten können, so wird ihre Leiche, gefolgt von dem ganzen Trauerzuge, zuvor rings um die Kirche getragen, wie sie beim Leben um den Altar hätte gehen müssen, und dann erst zum Grabe gebracht. Bei dem Kirchgange muß die Wöchnerin selbst ein Opfer auf den Altar legen; bei diesem Leichenzuge aber steckt Jemand aus dem Gefolge statt des Opfers heimlich ein Stück Geld in eine Mauerspalte der Kirche, damit die Seele der Frau Ruhe habe.

Pomm. Provinzial-Blätter, III. S. 475.

In Hinterpommern, besonders in der Gegend von Cöslin, haben sich auf dem Lande noch mehrere sonderbare Hochzeitsgebräuche, wahrscheinlich Wendischen Ursprungs, erhalten, auf welche mit abergläubischer Strenge gehalten wird, da sonst in der Ehe kein Glück und Segen soll bestehen können. Wenn nämlich die Trauung, die immer in der Kirche vollzogen wird, zu Ende ist, und der ganze Hochzeitszug sich nun zum Hochzeitshause begiebt, so muß dieses ja fest verschlossen seyn. Es wird erst nach einer Weile geöffnet, und es tritt dann Einer mit einem ganzen Brodte und einem Kruge Bier heraus vor die Thür. Aus dem Brodte muß hierauf zuerst die Braut ein Stück herausbeißen, dann der Bräutigam, und dann alle Uebrigen

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[338/0370] Sowohl in Kassuben, als auch in manchen anderen Gegenden Pommerns ist die halb christliche, halb heidnische Sitte, daß die Wöchnerin, wenn sie ihren Kirchgang hält, während des Gesanges ihr Kind auf den Arm nehmen und damit, von allen ihren verheiratheten und unverheiratheten Bekanntinnen gefolgt, rund um den Altar gehen muß. Dann kniet sie vor demselben nieder, und wird nun von dem Pfarrer, während er dem Kinde die Hände auflegt, feierlich eingesegnet. Stirbt die Wöchnerin im Kindbette, bevor sie ihren Kirchgang hat halten können, so wird ihre Leiche, gefolgt von dem ganzen Trauerzuge, zuvor rings um die Kirche getragen, wie sie beim Leben um den Altar hätte gehen müssen, und dann erst zum Grabe gebracht. Bei dem Kirchgange muß die Wöchnerin selbst ein Opfer auf den Altar legen; bei diesem Leichenzuge aber steckt Jemand aus dem Gefolge statt des Opfers heimlich ein Stück Geld in eine Mauerspalte der Kirche, damit die Seele der Frau Ruhe habe. Pomm. Provinzial-Blätter, III. S. 475. In Hinterpommern, besonders in der Gegend von Cöslin, haben sich auf dem Lande noch mehrere sonderbare Hochzeitsgebräuche, wahrscheinlich Wendischen Ursprungs, erhalten, auf welche mit abergläubischer Strenge gehalten wird, da sonst in der Ehe kein Glück und Segen soll bestehen können. Wenn nämlich die Trauung, die immer in der Kirche vollzogen wird, zu Ende ist, und der ganze Hochzeitszug sich nun zum Hochzeitshause begiebt, so muß dieses ja fest verschlossen seyn. Es wird erst nach einer Weile geöffnet, und es tritt dann Einer mit einem ganzen Brodte und einem Kruge Bier heraus vor die Thür. Aus dem Brodte muß hierauf zuerst die Braut ein Stück herausbeißen, dann der Bräutigam, und dann alle Uebrigen

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Zitationshilfe: Temme, Jodocus Donatus Hubertus: Die Volkssagen von Pommern und Rügen. Berlin, 1840, S. 338. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/temme_volkssagen_1840/370>, abgerufen am 21.11.2024.