oder Phantasmata. Sie sind überhaupt, auch die aus dem innern Sinn mitgerechnet, unter dem Namen der Wiedervorstellungen schon befasset worden.
Die ersten Empfindungsvorstellungen legen sich in der Seele in derselbigen Ordnung an einander, in wel- cher sie nacheinander hervorgebracht worden sind. Sie reihen sich an einander, und wenn die kleinern Zwi- schenvorstellungen zwischen andern herausfallen, so rü- cken die in der Empfindung etwas entfernte in der Ein- bildungskraft dichter zusammen. Dieß geschiehet ge- wöhnlicher Weise alsdenn, wenn wir mehrmalen eine Reihe von Empfindungen wiederholen, und nur auf ei- nige sich ausnehmende Theile derselben aufmerksam sind. Eben dadurch ziehen sich oft mehrere getrennte Empfin- dungen als Theile in ein Ganzes zusammen, und ma- chen eine zusammengesetzte Vorstellung aus.
Die Phantasie würde also bey der Reproduktion der Vorstellungen lediglich ihrer vorigen Koexistenz in den Empfindungen nachgehen, wenn nicht noch ein anderer Grund hinzukäme, der ihre Richtung bestimmet, nem- lich dieser: Aehnliche Vorstellungen fallen auf einander, gleichsam in Eine zusammen. Dieß ist nicht allein von solchen wahr, die von merklich ähnlichen Gegenständen entspringen, sondern es fallen überhaupt Vorstellungen zusammen, in so ferne sie einander ähn- lich sind. Wo nur Ein gemeinschaftlicher bemerkbarer Zug, nur eine ähnliche Seite in ihnen ist, da fallen diese Züge und diese Seiten in einander, die Aehnlichkeiten machen die Vereinigungspunkte der Vorstellungen aus; und die Stellen, wo die Phantasie von Einer zu mehren andern unmittelbar übergehen, und aus einer Reihe von Vorstellungen in eine andere hinüber kommen kann, die doch in den Empfindungen, dem Ort und der Zeit nach, von jener weit abstand. Das Gesetz der Asso- ciation der Jdeen ist daher zusammengesetzt. Die
Vor-
I. Verſuch. Ueber die Natur
oder Phantasmata. Sie ſind uͤberhaupt, auch die aus dem innern Sinn mitgerechnet, unter dem Namen der Wiedervorſtellungen ſchon befaſſet worden.
Die erſten Empfindungsvorſtellungen legen ſich in der Seele in derſelbigen Ordnung an einander, in wel- cher ſie nacheinander hervorgebracht worden ſind. Sie reihen ſich an einander, und wenn die kleinern Zwi- ſchenvorſtellungen zwiſchen andern herausfallen, ſo ruͤ- cken die in der Empfindung etwas entfernte in der Ein- bildungskraft dichter zuſammen. Dieß geſchiehet ge- woͤhnlicher Weiſe alsdenn, wenn wir mehrmalen eine Reihe von Empfindungen wiederholen, und nur auf ei- nige ſich ausnehmende Theile derſelben aufmerkſam ſind. Eben dadurch ziehen ſich oft mehrere getrennte Empfin- dungen als Theile in ein Ganzes zuſammen, und ma- chen eine zuſammengeſetzte Vorſtellung aus.
Die Phantaſie wuͤrde alſo bey der Reproduktion der Vorſtellungen lediglich ihrer vorigen Koexiſtenz in den Empfindungen nachgehen, wenn nicht noch ein anderer Grund hinzukaͤme, der ihre Richtung beſtimmet, nem- lich dieſer: Aehnliche Vorſtellungen fallen auf einander, gleichſam in Eine zuſammen. Dieß iſt nicht allein von ſolchen wahr, die von merklich aͤhnlichen Gegenſtaͤnden entſpringen, ſondern es fallen uͤberhaupt Vorſtellungen zuſammen, in ſo ferne ſie einander aͤhn- lich ſind. Wo nur Ein gemeinſchaftlicher bemerkbarer Zug, nur eine aͤhnliche Seite in ihnen iſt, da fallen dieſe Zuͤge und dieſe Seiten in einander, die Aehnlichkeiten machen die Vereinigungspunkte der Vorſtellungen aus; und die Stellen, wo die Phantaſie von Einer zu mehren andern unmittelbar uͤbergehen, und aus einer Reihe von Vorſtellungen in eine andere hinuͤber kommen kann, die doch in den Empfindungen, dem Ort und der Zeit nach, von jener weit abſtand. Das Geſetz der Aſſo- ciation der Jdeen iſt daher zuſammengeſetzt. Die
Vor-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0166"n="106"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b"><hirendition="#aq">I.</hi> Verſuch. Ueber die Natur</hi></fw><lb/>
oder Phantasmata. Sie ſind uͤberhaupt, auch die aus<lb/>
dem innern Sinn mitgerechnet, unter dem Namen der<lb/><hirendition="#fr">Wiedervorſtellungen</hi>ſchon befaſſet worden.</p><lb/><p>Die erſten Empfindungsvorſtellungen legen ſich in<lb/>
der Seele in derſelbigen Ordnung an einander, in wel-<lb/>
cher ſie nacheinander hervorgebracht worden ſind. Sie<lb/><hirendition="#fr">reihen</hi>ſich an einander, und wenn die kleinern Zwi-<lb/>ſchenvorſtellungen zwiſchen andern herausfallen, ſo ruͤ-<lb/>
cken die in der Empfindung etwas entfernte in der Ein-<lb/>
bildungskraft dichter zuſammen. Dieß geſchiehet ge-<lb/>
woͤhnlicher Weiſe alsdenn, wenn wir mehrmalen eine<lb/>
Reihe von Empfindungen wiederholen, und nur auf ei-<lb/>
nige ſich ausnehmende Theile derſelben aufmerkſam ſind.<lb/>
Eben dadurch ziehen ſich oft mehrere getrennte Empfin-<lb/>
dungen als Theile in ein Ganzes zuſammen, und ma-<lb/>
chen eine zuſammengeſetzte Vorſtellung aus.</p><lb/><p>Die Phantaſie wuͤrde alſo bey der Reproduktion der<lb/>
Vorſtellungen lediglich ihrer vorigen <hirendition="#fr">Koexiſtenz</hi> in den<lb/>
Empfindungen nachgehen, wenn nicht noch ein anderer<lb/>
Grund hinzukaͤme, der ihre Richtung beſtimmet, nem-<lb/>
lich dieſer: <hirendition="#fr">Aehnliche Vorſtellungen fallen auf<lb/>
einander,</hi> gleichſam in Eine zuſammen. Dieß iſt<lb/>
nicht allein von ſolchen wahr, die von merklich aͤhnlichen<lb/>
Gegenſtaͤnden entſpringen, ſondern es fallen uͤberhaupt<lb/>
Vorſtellungen zuſammen, in ſo ferne ſie einander aͤhn-<lb/>
lich ſind. Wo nur Ein gemeinſchaftlicher bemerkbarer<lb/>
Zug, nur eine aͤhnliche Seite in ihnen iſt, da fallen dieſe<lb/>
Zuͤge und dieſe Seiten in einander, die Aehnlichkeiten<lb/>
machen die Vereinigungspunkte der Vorſtellungen aus;<lb/>
und die Stellen, wo die Phantaſie von Einer zu mehren<lb/>
andern unmittelbar uͤbergehen, und aus einer Reihe<lb/>
von Vorſtellungen in eine andere hinuͤber kommen kann,<lb/>
die doch in den Empfindungen, dem Ort und der Zeit<lb/>
nach, von jener weit abſtand. Das <hirendition="#fr">Geſetz der Aſſo-<lb/>
ciation der Jdeen</hi> iſt daher zuſammengeſetzt. <hirendition="#fr">Die</hi><lb/><fwplace="bottom"type="catch"><hirendition="#fr">Vor-</hi></fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[106/0166]
I. Verſuch. Ueber die Natur
oder Phantasmata. Sie ſind uͤberhaupt, auch die aus
dem innern Sinn mitgerechnet, unter dem Namen der
Wiedervorſtellungen ſchon befaſſet worden.
Die erſten Empfindungsvorſtellungen legen ſich in
der Seele in derſelbigen Ordnung an einander, in wel-
cher ſie nacheinander hervorgebracht worden ſind. Sie
reihen ſich an einander, und wenn die kleinern Zwi-
ſchenvorſtellungen zwiſchen andern herausfallen, ſo ruͤ-
cken die in der Empfindung etwas entfernte in der Ein-
bildungskraft dichter zuſammen. Dieß geſchiehet ge-
woͤhnlicher Weiſe alsdenn, wenn wir mehrmalen eine
Reihe von Empfindungen wiederholen, und nur auf ei-
nige ſich ausnehmende Theile derſelben aufmerkſam ſind.
Eben dadurch ziehen ſich oft mehrere getrennte Empfin-
dungen als Theile in ein Ganzes zuſammen, und ma-
chen eine zuſammengeſetzte Vorſtellung aus.
Die Phantaſie wuͤrde alſo bey der Reproduktion der
Vorſtellungen lediglich ihrer vorigen Koexiſtenz in den
Empfindungen nachgehen, wenn nicht noch ein anderer
Grund hinzukaͤme, der ihre Richtung beſtimmet, nem-
lich dieſer: Aehnliche Vorſtellungen fallen auf
einander, gleichſam in Eine zuſammen. Dieß iſt
nicht allein von ſolchen wahr, die von merklich aͤhnlichen
Gegenſtaͤnden entſpringen, ſondern es fallen uͤberhaupt
Vorſtellungen zuſammen, in ſo ferne ſie einander aͤhn-
lich ſind. Wo nur Ein gemeinſchaftlicher bemerkbarer
Zug, nur eine aͤhnliche Seite in ihnen iſt, da fallen dieſe
Zuͤge und dieſe Seiten in einander, die Aehnlichkeiten
machen die Vereinigungspunkte der Vorſtellungen aus;
und die Stellen, wo die Phantaſie von Einer zu mehren
andern unmittelbar uͤbergehen, und aus einer Reihe
von Vorſtellungen in eine andere hinuͤber kommen kann,
die doch in den Empfindungen, dem Ort und der Zeit
nach, von jener weit abſtand. Das Geſetz der Aſſo-
ciation der Jdeen iſt daher zuſammengeſetzt. Die
Vor-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/166>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.