gang ist Eine Veränderung. Das vorhergehende Bild, eine absolute Modifikation wird verdränget oder geschwä- chet und verdunkelt, und das folgende von jenem unter- schiedene Bild wird hervorgezogen, oder stärker und vol- ler gemacht. Beides sind absolute Veränderungen. Etwas reelles und absolutes vergehet, und ein anders entsteht an dessen Stelle.
Anstatt daß es zween verschiedene Gegenstände sind, die man nacheinander empfindet, oder nach einander sich vorstellet, nehme man zween andere, die einerley sind, wenigstens bey dem ersten Empfinden völlig so zu seyn scheinen. Gehet das Auge und die Vorstellungskraft von einer Billiardkugel auf die andre, von einem Ey auf ein anderes, von einem Wassertropfen auf einen an- dern; so ist die erste Veränderung in der Direktion der Kraft auch hier wiederum vorhanden. Aber die folgen- de neue Veränderung fehlet, oder ist doch in einem min- dern Grade da, als in dem vorhergehenden Beyspiel. Das Gefühl von einerley Dingen ist selbst einerley Mo- difikation, in so ferne die Dinge als einerley empfunden werden. Das Gefühl der zuerst gesehenen Kugel, oder die Einbildung von ihr bleibet so wie sie ist, wenn die zweyte, die der ersten gleich und ähnlich ist, gesehen wird. Folgt also eine Vorstellung von einer ähnlichen Sache auf eine andere, so sind so viele absolute Veränderungen weniger da, als Züge in den beiden Bildern eben diesel- bigen sind. Da ist also weit weniger von neuen Modi- fikationen, als in dem vorhergehenden Fall. Gesetzt auch, wie es Hr. Bonnet meynet, jede dieser ähnlichen Kugeln erfodere ein besonderes obgleich ähnliches Bild in dem Gehirn, und daß also ihre Aehnlichkeit es nicht hindere, daß nicht ein ganzes Bild vergehen, und ein anderes neues, obgleich jenem ähnliches wieder entstehen müsse, -- gesetzt, es sey so, wie es nicht wahrscheinlich ist, obgleich der genannte Philosoph es bewiesen zu haben
glaubet;
II. Verſuch. Ueber das Gefuͤhl,
gang iſt Eine Veraͤnderung. Das vorhergehende Bild, eine abſolute Modifikation wird verdraͤnget oder geſchwaͤ- chet und verdunkelt, und das folgende von jenem unter- ſchiedene Bild wird hervorgezogen, oder ſtaͤrker und vol- ler gemacht. Beides ſind abſolute Veraͤnderungen. Etwas reelles und abſolutes vergehet, und ein anders entſteht an deſſen Stelle.
Anſtatt daß es zween verſchiedene Gegenſtaͤnde ſind, die man nacheinander empfindet, oder nach einander ſich vorſtellet, nehme man zween andere, die einerley ſind, wenigſtens bey dem erſten Empfinden voͤllig ſo zu ſeyn ſcheinen. Gehet das Auge und die Vorſtellungskraft von einer Billiardkugel auf die andre, von einem Ey auf ein anderes, von einem Waſſertropfen auf einen an- dern; ſo iſt die erſte Veraͤnderung in der Direktion der Kraft auch hier wiederum vorhanden. Aber die folgen- de neue Veraͤnderung fehlet, oder iſt doch in einem min- dern Grade da, als in dem vorhergehenden Beyſpiel. Das Gefuͤhl von einerley Dingen iſt ſelbſt einerley Mo- difikation, in ſo ferne die Dinge als einerley empfunden werden. Das Gefuͤhl der zuerſt geſehenen Kugel, oder die Einbildung von ihr bleibet ſo wie ſie iſt, wenn die zweyte, die der erſten gleich und aͤhnlich iſt, geſehen wird. Folgt alſo eine Vorſtellung von einer aͤhnlichen Sache auf eine andere, ſo ſind ſo viele abſolute Veraͤnderungen weniger da, als Zuͤge in den beiden Bildern eben dieſel- bigen ſind. Da iſt alſo weit weniger von neuen Modi- fikationen, als in dem vorhergehenden Fall. Geſetzt auch, wie es Hr. Bonnet meynet, jede dieſer aͤhnlichen Kugeln erfodere ein beſonderes obgleich aͤhnliches Bild in dem Gehirn, und daß alſo ihre Aehnlichkeit es nicht hindere, daß nicht ein ganzes Bild vergehen, und ein anderes neues, obgleich jenem aͤhnliches wieder entſtehen muͤſſe, — geſetzt, es ſey ſo, wie es nicht wahrſcheinlich iſt, obgleich der genannte Philoſoph es bewieſen zu haben
glaubet;
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0256"n="196"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b"><hirendition="#aq">II.</hi> Verſuch. Ueber das Gefuͤhl,</hi></fw><lb/>
gang iſt Eine Veraͤnderung. Das vorhergehende Bild,<lb/>
eine abſolute Modifikation wird verdraͤnget oder geſchwaͤ-<lb/>
chet und verdunkelt, und das folgende von jenem unter-<lb/>ſchiedene Bild wird hervorgezogen, oder ſtaͤrker und vol-<lb/>
ler gemacht. Beides ſind abſolute Veraͤnderungen.<lb/>
Etwas reelles und abſolutes vergehet, und ein anders<lb/>
entſteht an deſſen Stelle.</p><lb/><p>Anſtatt daß es zween verſchiedene Gegenſtaͤnde ſind,<lb/>
die man nacheinander empfindet, oder nach einander ſich<lb/>
vorſtellet, nehme man zween andere, die <hirendition="#fr">einerley</hi>ſind,<lb/>
wenigſtens bey dem erſten Empfinden voͤllig ſo zu ſeyn<lb/>ſcheinen. Gehet das Auge und die Vorſtellungskraft<lb/>
von einer Billiardkugel auf die andre, von einem Ey<lb/>
auf ein anderes, von einem Waſſertropfen auf einen an-<lb/>
dern; ſo iſt die erſte Veraͤnderung in der Direktion der<lb/>
Kraft auch hier wiederum vorhanden. Aber die folgen-<lb/>
de neue Veraͤnderung fehlet, oder iſt doch in einem min-<lb/>
dern Grade da, als in dem vorhergehenden Beyſpiel.<lb/>
Das Gefuͤhl von <hirendition="#fr">einerley</hi> Dingen iſt ſelbſt einerley Mo-<lb/>
difikation, in ſo ferne die Dinge als einerley empfunden<lb/>
werden. Das Gefuͤhl der zuerſt geſehenen Kugel, oder<lb/>
die Einbildung von ihr bleibet ſo wie ſie iſt, wenn die<lb/>
zweyte, die der erſten gleich und aͤhnlich iſt, geſehen wird.<lb/>
Folgt alſo eine Vorſtellung von einer aͤhnlichen Sache<lb/>
auf eine andere, ſo ſind ſo viele abſolute Veraͤnderungen<lb/>
weniger da, als Zuͤge in den beiden Bildern eben dieſel-<lb/>
bigen ſind. Da iſt alſo weit weniger von neuen Modi-<lb/>
fikationen, als in dem vorhergehenden Fall. Geſetzt<lb/>
auch, wie es Hr. <hirendition="#fr">Bonnet</hi> meynet, jede dieſer aͤhnlichen<lb/>
Kugeln erfodere ein beſonderes obgleich aͤhnliches Bild<lb/>
in dem Gehirn, und daß alſo ihre Aehnlichkeit es nicht<lb/>
hindere, daß nicht ein ganzes Bild vergehen, und ein<lb/>
anderes neues, obgleich jenem aͤhnliches wieder entſtehen<lb/>
muͤſſe, — geſetzt, es ſey ſo, wie es nicht wahrſcheinlich<lb/>
iſt, obgleich der genannte Philoſoph es bewieſen zu haben<lb/><fwplace="bottom"type="catch">glaubet;</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[196/0256]
II. Verſuch. Ueber das Gefuͤhl,
gang iſt Eine Veraͤnderung. Das vorhergehende Bild,
eine abſolute Modifikation wird verdraͤnget oder geſchwaͤ-
chet und verdunkelt, und das folgende von jenem unter-
ſchiedene Bild wird hervorgezogen, oder ſtaͤrker und vol-
ler gemacht. Beides ſind abſolute Veraͤnderungen.
Etwas reelles und abſolutes vergehet, und ein anders
entſteht an deſſen Stelle.
Anſtatt daß es zween verſchiedene Gegenſtaͤnde ſind,
die man nacheinander empfindet, oder nach einander ſich
vorſtellet, nehme man zween andere, die einerley ſind,
wenigſtens bey dem erſten Empfinden voͤllig ſo zu ſeyn
ſcheinen. Gehet das Auge und die Vorſtellungskraft
von einer Billiardkugel auf die andre, von einem Ey
auf ein anderes, von einem Waſſertropfen auf einen an-
dern; ſo iſt die erſte Veraͤnderung in der Direktion der
Kraft auch hier wiederum vorhanden. Aber die folgen-
de neue Veraͤnderung fehlet, oder iſt doch in einem min-
dern Grade da, als in dem vorhergehenden Beyſpiel.
Das Gefuͤhl von einerley Dingen iſt ſelbſt einerley Mo-
difikation, in ſo ferne die Dinge als einerley empfunden
werden. Das Gefuͤhl der zuerſt geſehenen Kugel, oder
die Einbildung von ihr bleibet ſo wie ſie iſt, wenn die
zweyte, die der erſten gleich und aͤhnlich iſt, geſehen wird.
Folgt alſo eine Vorſtellung von einer aͤhnlichen Sache
auf eine andere, ſo ſind ſo viele abſolute Veraͤnderungen
weniger da, als Zuͤge in den beiden Bildern eben dieſel-
bigen ſind. Da iſt alſo weit weniger von neuen Modi-
fikationen, als in dem vorhergehenden Fall. Geſetzt
auch, wie es Hr. Bonnet meynet, jede dieſer aͤhnlichen
Kugeln erfodere ein beſonderes obgleich aͤhnliches Bild
in dem Gehirn, und daß alſo ihre Aehnlichkeit es nicht
hindere, daß nicht ein ganzes Bild vergehen, und ein
anderes neues, obgleich jenem aͤhnliches wieder entſtehen
muͤſſe, — geſetzt, es ſey ſo, wie es nicht wahrſcheinlich
iſt, obgleich der genannte Philoſoph es bewieſen zu haben
glaubet;
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 196. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/256>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.