Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777.

Bild:
<< vorherige Seite

über Empfindungen u. Empfindnisse.
pfindung ist das vornehmste Jngredienz zu dem ganzen
vielbefassenden Begrif von dem Gefühl des Wahren,
den die neuern Philosophen sich davon scheinen gemacht
zu haben. Man hat die Wirkungen, die Folgen, die
Gränzen und die Brauchbarkeit desselben zu einem Pro-
birstein der Wahrheit oder zu einem Princip unserer Er-
kenntniß mit vieler Scharfsinnigkeit und Genauigkeit zu
bestimmen gesuchet. Es ist aber nicht möglich, deut-
lich und bestimmt die richtige und sichere Anwendung
desselben anzugeben; wie doch nöthig ist, wenn das, was
davon gesagt ist, etwas besseres als Deklamation seyn
soll, ohne vermittelst einer physischen Analysis desselben, die
Ursachen, Gründe und Anlagen in der Seele, von
welchen das Wahrheitsgefühl abhänget, aus einander
zu setzen. Es ist nicht schwer zu entdecken, daß es, in sei-
nem ganzen Umfang genommen, eine vereinigte Wir-
kung des Gefühls, der vorstellenden Kraft und der Denk-
kraft sey, aus deren Wirkungsgesetzen es begreiflich wird.
Hier ist nun der Antheil bestimmt, den das Gefühl dar-
an hat, und der eins der wichtigsten Jngredienzen des
Ganzen ausmachet.

4.

Gehen wir zu der Betrachtung der Empfindnisse
über, oder zu den angenehmen und unangenehmen Em-
pfindungen, so kommen wir bald auf das nämliche Re-
sultat. Es giebt in jedweden etwas absolutes, was ei-
gentlich der Gegenstand des unmittelbaren Gefühls seyn
kann. Hier ist es schwer, unmittelbar aus Beobach-
tungen es zu beweisen, daß es so ist. Aber es ist nicht
schwer, durch einige vorläufige allgemeine Betrachtun-
gen über die Empfindnisse zu zeigen, daß es so seyn kön-
ne, und es wahrscheinlich zu machen, daß es wirklich
so sey.

Was

uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe.
pfindung iſt das vornehmſte Jngredienz zu dem ganzen
vielbefaſſenden Begrif von dem Gefuͤhl des Wahren,
den die neuern Philoſophen ſich davon ſcheinen gemacht
zu haben. Man hat die Wirkungen, die Folgen, die
Graͤnzen und die Brauchbarkeit deſſelben zu einem Pro-
birſtein der Wahrheit oder zu einem Princip unſerer Er-
kenntniß mit vieler Scharfſinnigkeit und Genauigkeit zu
beſtimmen geſuchet. Es iſt aber nicht moͤglich, deut-
lich und beſtimmt die richtige und ſichere Anwendung
deſſelben anzugeben; wie doch noͤthig iſt, wenn das, was
davon geſagt iſt, etwas beſſeres als Deklamation ſeyn
ſoll, ohne vermittelſt einer phyſiſchen Analyſis deſſelben, die
Urſachen, Gruͤnde und Anlagen in der Seele, von
welchen das Wahrheitsgefuͤhl abhaͤnget, aus einander
zu ſetzen. Es iſt nicht ſchwer zu entdecken, daß es, in ſei-
nem ganzen Umfang genommen, eine vereinigte Wir-
kung des Gefuͤhls, der vorſtellenden Kraft und der Denk-
kraft ſey, aus deren Wirkungsgeſetzen es begreiflich wird.
Hier iſt nun der Antheil beſtimmt, den das Gefuͤhl dar-
an hat, und der eins der wichtigſten Jngredienzen des
Ganzen ausmachet.

4.

Gehen wir zu der Betrachtung der Empfindniſſe
uͤber, oder zu den angenehmen und unangenehmen Em-
pfindungen, ſo kommen wir bald auf das naͤmliche Re-
ſultat. Es giebt in jedweden etwas abſolutes, was ei-
gentlich der Gegenſtand des unmittelbaren Gefuͤhls ſeyn
kann. Hier iſt es ſchwer, unmittelbar aus Beobach-
tungen es zu beweiſen, daß es ſo iſt. Aber es iſt nicht
ſchwer, durch einige vorlaͤufige allgemeine Betrachtun-
gen uͤber die Empfindniſſe zu zeigen, daß es ſo ſeyn koͤn-
ne, und es wahrſcheinlich zu machen, daß es wirklich
ſo ſey.

Was
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0265" n="205"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">u&#x0364;ber Empfindungen u. Empfindni&#x017F;&#x017F;e.</hi></fw><lb/>
pfindung i&#x017F;t das vornehm&#x017F;te Jngredienz zu dem ganzen<lb/>
vielbefa&#x017F;&#x017F;enden Begrif von dem <hi rendition="#fr">Gefu&#x0364;hl des Wahren,</hi><lb/>
den die neuern Philo&#x017F;ophen &#x017F;ich davon &#x017F;cheinen gemacht<lb/>
zu haben. Man hat die Wirkungen, die Folgen, die<lb/>
Gra&#x0364;nzen und die Brauchbarkeit de&#x017F;&#x017F;elben zu einem Pro-<lb/>
bir&#x017F;tein der Wahrheit oder zu einem Princip un&#x017F;erer Er-<lb/>
kenntniß mit vieler Scharf&#x017F;innigkeit und Genauigkeit zu<lb/>
be&#x017F;timmen ge&#x017F;uchet. Es i&#x017F;t aber nicht mo&#x0364;glich, deut-<lb/>
lich und be&#x017F;timmt die richtige und &#x017F;ichere Anwendung<lb/>
de&#x017F;&#x017F;elben anzugeben; wie doch no&#x0364;thig i&#x017F;t, wenn das, was<lb/>
davon ge&#x017F;agt i&#x017F;t, etwas be&#x017F;&#x017F;eres als Deklamation &#x017F;eyn<lb/>
&#x017F;oll, ohne vermittel&#x017F;t einer phy&#x017F;i&#x017F;chen Analy&#x017F;is de&#x017F;&#x017F;elben, die<lb/>
Ur&#x017F;achen, Gru&#x0364;nde und Anlagen in der Seele, von<lb/>
welchen das Wahrheitsgefu&#x0364;hl abha&#x0364;nget, aus einander<lb/>
zu &#x017F;etzen. Es i&#x017F;t nicht &#x017F;chwer zu entdecken, daß es, in &#x017F;ei-<lb/>
nem ganzen Umfang genommen, eine vereinigte Wir-<lb/>
kung des Gefu&#x0364;hls, der vor&#x017F;tellenden Kraft und der Denk-<lb/>
kraft &#x017F;ey, aus deren Wirkungsge&#x017F;etzen es begreiflich wird.<lb/>
Hier i&#x017F;t nun der Antheil be&#x017F;timmt, den das Gefu&#x0364;hl dar-<lb/>
an hat, und der eins der wichtig&#x017F;ten Jngredienzen des<lb/>
Ganzen ausmachet.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>4.</head><lb/>
            <p>Gehen wir zu der Betrachtung der <hi rendition="#fr">Empfindni&#x017F;&#x017F;e</hi><lb/>
u&#x0364;ber, oder zu den angenehmen und unangenehmen Em-<lb/>
pfindungen, &#x017F;o kommen wir bald auf das na&#x0364;mliche Re-<lb/>
&#x017F;ultat. Es giebt in jedweden etwas ab&#x017F;olutes, was ei-<lb/>
gentlich der Gegen&#x017F;tand des unmittelbaren Gefu&#x0364;hls &#x017F;eyn<lb/>
kann. Hier i&#x017F;t es &#x017F;chwer, unmittelbar aus Beobach-<lb/>
tungen es zu bewei&#x017F;en, daß es &#x017F;o i&#x017F;t. Aber es i&#x017F;t nicht<lb/>
&#x017F;chwer, durch einige vorla&#x0364;ufige allgemeine Betrachtun-<lb/>
gen u&#x0364;ber die Empfindni&#x017F;&#x017F;e zu zeigen, daß es &#x017F;o &#x017F;eyn ko&#x0364;n-<lb/>
ne, und es wahr&#x017F;cheinlich zu machen, daß es wirklich<lb/>
&#x017F;o &#x017F;ey.</p><lb/>
            <fw place="bottom" type="catch">Was</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[205/0265] uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe. pfindung iſt das vornehmſte Jngredienz zu dem ganzen vielbefaſſenden Begrif von dem Gefuͤhl des Wahren, den die neuern Philoſophen ſich davon ſcheinen gemacht zu haben. Man hat die Wirkungen, die Folgen, die Graͤnzen und die Brauchbarkeit deſſelben zu einem Pro- birſtein der Wahrheit oder zu einem Princip unſerer Er- kenntniß mit vieler Scharfſinnigkeit und Genauigkeit zu beſtimmen geſuchet. Es iſt aber nicht moͤglich, deut- lich und beſtimmt die richtige und ſichere Anwendung deſſelben anzugeben; wie doch noͤthig iſt, wenn das, was davon geſagt iſt, etwas beſſeres als Deklamation ſeyn ſoll, ohne vermittelſt einer phyſiſchen Analyſis deſſelben, die Urſachen, Gruͤnde und Anlagen in der Seele, von welchen das Wahrheitsgefuͤhl abhaͤnget, aus einander zu ſetzen. Es iſt nicht ſchwer zu entdecken, daß es, in ſei- nem ganzen Umfang genommen, eine vereinigte Wir- kung des Gefuͤhls, der vorſtellenden Kraft und der Denk- kraft ſey, aus deren Wirkungsgeſetzen es begreiflich wird. Hier iſt nun der Antheil beſtimmt, den das Gefuͤhl dar- an hat, und der eins der wichtigſten Jngredienzen des Ganzen ausmachet. 4. Gehen wir zu der Betrachtung der Empfindniſſe uͤber, oder zu den angenehmen und unangenehmen Em- pfindungen, ſo kommen wir bald auf das naͤmliche Re- ſultat. Es giebt in jedweden etwas abſolutes, was ei- gentlich der Gegenſtand des unmittelbaren Gefuͤhls ſeyn kann. Hier iſt es ſchwer, unmittelbar aus Beobach- tungen es zu beweiſen, daß es ſo iſt. Aber es iſt nicht ſchwer, durch einige vorlaͤufige allgemeine Betrachtun- gen uͤber die Empfindniſſe zu zeigen, daß es ſo ſeyn koͤn- ne, und es wahrſcheinlich zu machen, daß es wirklich ſo ſey. Was

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/265
Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 205. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/265>, abgerufen am 22.12.2024.