ist, je mehr sie durch eine zu lange Gewohnheit auf eine gewisse Art zu handeln, etwas steif und ungeschmeidig zu neuen Abänderungen in derselben geworden ist.
Jch wiederhole es; ich läugne die Wirkungen der Association und des Uebertragens nicht. Es werden manche Empfindungen allein rührend durch die Affektion, die von den vergesellschafteten fremden Empfindungen ih- nen zugeführet wird. Das vergnügte Herz freuet sich über jedes, was sonst gleichgültig ist. Die innere Hei- terkeit der Tugend und Weisheit verbreitet sich über alles, was um den Menschen ist. Wir finden Sachen angenehm, und sie bleiben es auch auf eine Weile nachher allein darum, weil mit ihrer ersten Empfindung aus der Fülle des Herzens her eine Freudigkeit sich vergesellschaf- tete, die ihnen noch nachher in der Reproduktion ankle- bet. So eine afficirende Kraft war nur übergetragen. Das Vaterland, der Ort, wo wir erzogen sind, die Stelle, wo wir uns öfters gut befunden haben, behal- ten diesen Schimmer noch lange in der Zukunft. Dem Säufer wird auf einige Zeit sein Lieblingsgetränk ver- leidet, wenn ihm ein Vomitiv durch selbiges beygebracht ist.
Aber mich deucht, wo das Vergnügen oder der Verdruß in einer Empfindung nur anders woher mit ihr verbunden und in sie übergetragen ist, und also in ihr selbst keinen innern Grund hat, da zeige sich solches deutlich und am meisten an der Stärke und Dauerhaf- tigkeit, in der es mit ihr vereiniget bleibet. Die Rüh- rung, welche die Einbildungskraft mittelbar oder unmit- telbar der Empfindung zusetzet, ist doch nur eine repro- ducirte Affektion, nur eine Vorstellung, die nicht in dem Grade rührend ist, als wenn sie aus der gegenwärtigen Empfindung selbst entspringet. Ein Säufer findet das ihm verleidete Getränk nach einiger Zeit doch wieder schmackhaft. Die Vorstellung vom Vaterlande, die Jdee von dem Ort, dem Hause, dem Felde, wo die
sorgen-
II. Verſuch. Ueber das Gefuͤhl,
iſt, je mehr ſie durch eine zu lange Gewohnheit auf eine gewiſſe Art zu handeln, etwas ſteif und ungeſchmeidig zu neuen Abaͤnderungen in derſelben geworden iſt.
Jch wiederhole es; ich laͤugne die Wirkungen der Aſſociation und des Uebertragens nicht. Es werden manche Empfindungen allein ruͤhrend durch die Affektion, die von den vergeſellſchafteten fremden Empfindungen ih- nen zugefuͤhret wird. Das vergnuͤgte Herz freuet ſich uͤber jedes, was ſonſt gleichguͤltig iſt. Die innere Hei- terkeit der Tugend und Weisheit verbreitet ſich uͤber alles, was um den Menſchen iſt. Wir finden Sachen angenehm, und ſie bleiben es auch auf eine Weile nachher allein darum, weil mit ihrer erſten Empfindung aus der Fuͤlle des Herzens her eine Freudigkeit ſich vergeſellſchaf- tete, die ihnen noch nachher in der Reproduktion ankle- bet. So eine afficirende Kraft war nur uͤbergetragen. Das Vaterland, der Ort, wo wir erzogen ſind, die Stelle, wo wir uns oͤfters gut befunden haben, behal- ten dieſen Schimmer noch lange in der Zukunft. Dem Saͤufer wird auf einige Zeit ſein Lieblingsgetraͤnk ver- leidet, wenn ihm ein Vomitiv durch ſelbiges beygebracht iſt.
Aber mich deucht, wo das Vergnuͤgen oder der Verdruß in einer Empfindung nur anders woher mit ihr verbunden und in ſie uͤbergetragen iſt, und alſo in ihr ſelbſt keinen innern Grund hat, da zeige ſich ſolches deutlich und am meiſten an der Staͤrke und Dauerhaf- tigkeit, in der es mit ihr vereiniget bleibet. Die Ruͤh- rung, welche die Einbildungskraft mittelbar oder unmit- telbar der Empfindung zuſetzet, iſt doch nur eine repro- ducirte Affektion, nur eine Vorſtellung, die nicht in dem Grade ruͤhrend iſt, als wenn ſie aus der gegenwaͤrtigen Empfindung ſelbſt entſpringet. Ein Saͤufer findet das ihm verleidete Getraͤnk nach einiger Zeit doch wieder ſchmackhaft. Die Vorſtellung vom Vaterlande, die Jdee von dem Ort, dem Hauſe, dem Felde, wo die
ſorgen-
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II. Verſuch. Ueber das Gefuͤhl,
iſt, je mehr ſie durch eine zu lange Gewohnheit auf eine
gewiſſe Art zu handeln, etwas ſteif und ungeſchmeidig
zu neuen Abaͤnderungen in derſelben geworden iſt.
Jch wiederhole es; ich laͤugne die Wirkungen der
Aſſociation und des Uebertragens nicht. Es werden
manche Empfindungen allein ruͤhrend durch die Affektion,
die von den vergeſellſchafteten fremden Empfindungen ih-
nen zugefuͤhret wird. Das vergnuͤgte Herz freuet ſich
uͤber jedes, was ſonſt gleichguͤltig iſt. Die innere Hei-
terkeit der Tugend und Weisheit verbreitet ſich uͤber
alles, was um den Menſchen iſt. Wir finden Sachen
angenehm, und ſie bleiben es auch auf eine Weile nachher
allein darum, weil mit ihrer erſten Empfindung aus der
Fuͤlle des Herzens her eine Freudigkeit ſich vergeſellſchaf-
tete, die ihnen noch nachher in der Reproduktion ankle-
bet. So eine afficirende Kraft war nur uͤbergetragen.
Das Vaterland, der Ort, wo wir erzogen ſind, die
Stelle, wo wir uns oͤfters gut befunden haben, behal-
ten dieſen Schimmer noch lange in der Zukunft. Dem
Saͤufer wird auf einige Zeit ſein Lieblingsgetraͤnk ver-
leidet, wenn ihm ein Vomitiv durch ſelbiges beygebracht iſt.
Aber mich deucht, wo das Vergnuͤgen oder der
Verdruß in einer Empfindung nur anders woher mit
ihr verbunden und in ſie uͤbergetragen iſt, und alſo in
ihr ſelbſt keinen innern Grund hat, da zeige ſich ſolches
deutlich und am meiſten an der Staͤrke und Dauerhaf-
tigkeit, in der es mit ihr vereiniget bleibet. Die Ruͤh-
rung, welche die Einbildungskraft mittelbar oder unmit-
telbar der Empfindung zuſetzet, iſt doch nur eine repro-
ducirte Affektion, nur eine Vorſtellung, die nicht in dem
Grade ruͤhrend iſt, als wenn ſie aus der gegenwaͤrtigen
Empfindung ſelbſt entſpringet. Ein Saͤufer findet das
ihm verleidete Getraͤnk nach einiger Zeit doch wieder
ſchmackhaft. Die Vorſtellung vom Vaterlande, die
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 234. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/294>, abgerufen am 22.12.2024.
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