und es überwinden, bringet eine gemischte Empfindung hervor; aber wenn der Mann mitten im Kampf mit dem Schicksal sich so stark noch fühlet, daß er mit Ae- neas denken kann: cuius olim meminisse juvabit, so ist er nicht unglücklich in seinem Leiden, sondern das Ange- nehme in seiner Empfindung hat das Uebergewicht. Wie voll von der innigsten Wollust muß die Wiederer- innerung davon nicht seyn, wenn die Phantasie die Vor- stellung auf eine solche Art umbildet, daß die mit ihrer ganzen Größe wirkende und siegende Geistesstärke in dem hellesten Licht und mit den stärksten Farben erscheinet, und dagegen der Schmerz und das Leiden im Dunklen und in der Ferne gesetzet sind? Jn der Empfindung mag wohl einige Kleinmüthigkeit, Ungedult, ein Aer- ger, ein schmerzhaftes Verlangen, eine Anwandelung vom Verzweifeln mit untergelaufen seyn; allein dieß wirft die Phantasie heraus, oder unterdrücket es. Dieß Angenehme in der Vorstellung hat noch seinen Grund in dem, was aus der Empfindung entstanden und in die Vorstellung übergegangen ist.
Diese Umänderung der Vorstellungen hänget davon ab, daß Jdeen von einander abgesondert, und andere verbunden werden. Oft ist die Association der Jdeen die vornehmste Ursache, wenn sie es gleich nicht allein ist. Es scheinet mir doch, als wenn ein Gemählde von ei- nem scheuslichen Gegenstand sein Gefallendes von beglei- tenden Jdeen habe. Es gefällt die Geschicklichkeit des Mahlers, und die Kunst bey der Nachbildung, und dieß Gefallen verbinden wir mit dem Anblick der gemahlten Sache. Das Kind, das vor dem Gegenstande fliehet, scheuet auch das Gemählde, bis es bemerket, daß es nur ein Gemählde ist; und empfindsame Personen können auch gemahlte fürchterliche und scheusliche Gegenstände nicht lange ohne Schaudern und Ekel ansehen.
Allein
uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe.
und es uͤberwinden, bringet eine gemiſchte Empfindung hervor; aber wenn der Mann mitten im Kampf mit dem Schickſal ſich ſo ſtark noch fuͤhlet, daß er mit Ae- neas denken kann: cuius olim meminiſſe juvabit, ſo iſt er nicht ungluͤcklich in ſeinem Leiden, ſondern das Ange- nehme in ſeiner Empfindung hat das Uebergewicht. Wie voll von der innigſten Wolluſt muß die Wiederer- innerung davon nicht ſeyn, wenn die Phantaſie die Vor- ſtellung auf eine ſolche Art umbildet, daß die mit ihrer ganzen Groͤße wirkende und ſiegende Geiſtesſtaͤrke in dem helleſten Licht und mit den ſtaͤrkſten Farben erſcheinet, und dagegen der Schmerz und das Leiden im Dunklen und in der Ferne geſetzet ſind? Jn der Empfindung mag wohl einige Kleinmuͤthigkeit, Ungedult, ein Aer- ger, ein ſchmerzhaftes Verlangen, eine Anwandelung vom Verzweifeln mit untergelaufen ſeyn; allein dieß wirft die Phantaſie heraus, oder unterdruͤcket es. Dieß Angenehme in der Vorſtellung hat noch ſeinen Grund in dem, was aus der Empfindung entſtanden und in die Vorſtellung uͤbergegangen iſt.
Dieſe Umaͤnderung der Vorſtellungen haͤnget davon ab, daß Jdeen von einander abgeſondert, und andere verbunden werden. Oft iſt die Aſſociation der Jdeen die vornehmſte Urſache, wenn ſie es gleich nicht allein iſt. Es ſcheinet mir doch, als wenn ein Gemaͤhlde von ei- nem ſcheuslichen Gegenſtand ſein Gefallendes von beglei- tenden Jdeen habe. Es gefaͤllt die Geſchicklichkeit des Mahlers, und die Kunſt bey der Nachbildung, und dieß Gefallen verbinden wir mit dem Anblick der gemahlten Sache. Das Kind, das vor dem Gegenſtande fliehet, ſcheuet auch das Gemaͤhlde, bis es bemerket, daß es nur ein Gemaͤhlde iſt; und empfindſame Perſonen koͤnnen auch gemahlte fuͤrchterliche und ſcheusliche Gegenſtaͤnde nicht lange ohne Schaudern und Ekel anſehen.
Allein
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uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe.
und es uͤberwinden, bringet eine gemiſchte Empfindung
hervor; aber wenn der Mann mitten im Kampf mit
dem Schickſal ſich ſo ſtark noch fuͤhlet, daß er mit Ae-
neas denken kann: cuius olim meminiſſe juvabit, ſo iſt
er nicht ungluͤcklich in ſeinem Leiden, ſondern das Ange-
nehme in ſeiner Empfindung hat das Uebergewicht.
Wie voll von der innigſten Wolluſt muß die Wiederer-
innerung davon nicht ſeyn, wenn die Phantaſie die Vor-
ſtellung auf eine ſolche Art umbildet, daß die mit ihrer
ganzen Groͤße wirkende und ſiegende Geiſtesſtaͤrke in dem
helleſten Licht und mit den ſtaͤrkſten Farben erſcheinet,
und dagegen der Schmerz und das Leiden im Dunklen
und in der Ferne geſetzet ſind? Jn der Empfindung
mag wohl einige Kleinmuͤthigkeit, Ungedult, ein Aer-
ger, ein ſchmerzhaftes Verlangen, eine Anwandelung
vom Verzweifeln mit untergelaufen ſeyn; allein dieß
wirft die Phantaſie heraus, oder unterdruͤcket es. Dieß
Angenehme in der Vorſtellung hat noch ſeinen Grund in
dem, was aus der Empfindung entſtanden und in die
Vorſtellung uͤbergegangen iſt.
Dieſe Umaͤnderung der Vorſtellungen haͤnget davon
ab, daß Jdeen von einander abgeſondert, und andere
verbunden werden. Oft iſt die Aſſociation der Jdeen die
vornehmſte Urſache, wenn ſie es gleich nicht allein iſt.
Es ſcheinet mir doch, als wenn ein Gemaͤhlde von ei-
nem ſcheuslichen Gegenſtand ſein Gefallendes von beglei-
tenden Jdeen habe. Es gefaͤllt die Geſchicklichkeit des
Mahlers, und die Kunſt bey der Nachbildung, und dieß
Gefallen verbinden wir mit dem Anblick der gemahlten
Sache. Das Kind, das vor dem Gegenſtande fliehet,
ſcheuet auch das Gemaͤhlde, bis es bemerket, daß es nur
ein Gemaͤhlde iſt; und empfindſame Perſonen koͤnnen
auch gemahlte fuͤrchterliche und ſcheusliche Gegenſtaͤnde
nicht lange ohne Schaudern und Ekel anſehen.
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 253. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/313>, abgerufen am 22.12.2024.
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