Dritter Versuch. Ueber das Gewahrnehmen und Bewußtseyn.
I. Bestimmter Begrif von dem Gewahrnehmen und Bewußtseyn.
Die Redensarten in unserer Sprache, eine Sache gewahrnehmen, sie gewahrwerden, etwas bemerken, sich einer Sache bewußt werden, be- wußt seyn, sie erkennen, und mehrere, haben zwar nicht völlig einerley Sinn, aber sie beziehen sich doch alle auf einen einfachen gemeinschaftlichen Grundbegrif von einer Aeußerung unserer Erkenntnißkraft, die so, wie die meisten Psychologen jetzo die Worte zu gebrauchen gewohnt sind, am reinsten und einfachsten durch das Wort Gewahrnehmen bezeichnet wird. Wenn die Seele gleichsam zu sich selbst innerlich saget, und wo die- ser Aktus lebhaft wird, ihn wirklich so ausdrückt: Sie- he; wenn sie nemlich einen Gegenstand nun als einen besondern Gegenstand fasset, ihn auskennet unter an- dern, ihn unterscheidet; dann ist dasjenige vorhanden, was ein Gewahrwerden oder ein Gewahrnehmen, oder die Apperception genennet wird. Ohne Zweifel hat dieß Wort, wie fast alle übrige, ursprünglich eine viel eingeschränktere Bedeutung.
Gewahrnehmen ist ein Unterscheiden, ein Auskennen, wie die mehresten sagen, die zwar durch diese Vertauschung der Ausdrücke den Begrif von dem Aktus des Gewahrnehmens nicht deutlicher machen, als
er
III. Verſuch. Ueber das Gewahrnehmen
Dritter Verſuch. Ueber das Gewahrnehmen und Bewußtſeyn.
I. Beſtimmter Begrif von dem Gewahrnehmen und Bewußtſeyn.
Die Redensarten in unſerer Sprache, eine Sache gewahrnehmen, ſie gewahrwerden, etwas bemerken, ſich einer Sache bewußt werden, be- wußt ſeyn, ſie erkennen, und mehrere, haben zwar nicht voͤllig einerley Sinn, aber ſie beziehen ſich doch alle auf einen einfachen gemeinſchaftlichen Grundbegrif von einer Aeußerung unſerer Erkenntnißkraft, die ſo, wie die meiſten Pſychologen jetzo die Worte zu gebrauchen gewohnt ſind, am reinſten und einfachſten durch das Wort Gewahrnehmen bezeichnet wird. Wenn die Seele gleichſam zu ſich ſelbſt innerlich ſaget, und wo die- ſer Aktus lebhaft wird, ihn wirklich ſo ausdruͤckt: Sie- he; wenn ſie nemlich einen Gegenſtand nun als einen beſondern Gegenſtand faſſet, ihn auskennet unter an- dern, ihn unterſcheidet; dann iſt dasjenige vorhanden, was ein Gewahrwerden oder ein Gewahrnehmen, oder die Apperception genennet wird. Ohne Zweifel hat dieß Wort, wie faſt alle uͤbrige, urſpruͤnglich eine viel eingeſchraͤnktere Bedeutung.
Gewahrnehmen iſt ein Unterſcheiden, ein Auskennen, wie die mehreſten ſagen, die zwar durch dieſe Vertauſchung der Ausdruͤcke den Begrif von dem Aktus des Gewahrnehmens nicht deutlicher machen, als
er
<TEI><text><body><pbfacs="#f0322"n="262"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b"><hirendition="#aq">III.</hi> Verſuch. Ueber das Gewahrnehmen</hi></fw><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><divn="1"><head><hirendition="#b"><hirendition="#g">Dritter Verſuch</hi>.<lb/>
Ueber das Gewahrnehmen und<lb/>
Bewußtſeyn.</hi></head><lb/><divn="2"><head><hirendition="#aq">I.</hi><lb/>
Beſtimmter Begrif von dem Gewahrnehmen und<lb/>
Bewußtſeyn.</head><lb/><p><hirendition="#in">D</hi>ie Redensarten in unſerer Sprache, <hirendition="#fr">eine Sache<lb/>
gewahrnehmen, ſie gewahrwerden, etwas<lb/>
bemerken, ſich einer Sache bewußt werden, be-<lb/>
wußt ſeyn, ſie erkennen,</hi> und mehrere, haben zwar<lb/>
nicht voͤllig einerley Sinn, aber ſie beziehen ſich doch alle<lb/>
auf einen einfachen gemeinſchaftlichen Grundbegrif von<lb/>
einer Aeußerung unſerer Erkenntnißkraft, die ſo, wie<lb/>
die meiſten Pſychologen jetzo die Worte zu gebrauchen<lb/>
gewohnt ſind, am reinſten und einfachſten durch das<lb/>
Wort <hirendition="#fr">Gewahrnehmen</hi> bezeichnet wird. Wenn die<lb/>
Seele gleichſam zu ſich ſelbſt innerlich ſaget, und wo die-<lb/>ſer Aktus lebhaft wird, ihn wirklich ſo ausdruͤckt: <hirendition="#fr">Sie-<lb/>
he;</hi> wenn ſie nemlich einen Gegenſtand nun als einen<lb/><hirendition="#fr">beſondern</hi> Gegenſtand faſſet, ihn auskennet unter an-<lb/>
dern, ihn unterſcheidet; dann iſt dasjenige vorhanden,<lb/>
was ein <hirendition="#fr">Gewahrwerden</hi> oder ein <hirendition="#fr">Gewahrnehmen,</hi><lb/>
oder die <hirendition="#fr">Apperception</hi> genennet wird. Ohne Zweifel<lb/>
hat dieß Wort, wie faſt alle uͤbrige, urſpruͤnglich eine<lb/>
viel eingeſchraͤnktere Bedeutung.</p><lb/><p><hirendition="#fr">Gewahrnehmen</hi> iſt ein <hirendition="#fr">Unterſcheiden,</hi> ein<lb/>
Auskennen, wie die mehreſten ſagen, die zwar durch<lb/>
dieſe Vertauſchung der Ausdruͤcke den Begrif von dem<lb/>
Aktus des Gewahrnehmens nicht deutlicher machen, als<lb/><fwplace="bottom"type="catch">er</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[262/0322]
III. Verſuch. Ueber das Gewahrnehmen
Dritter Verſuch.
Ueber das Gewahrnehmen und
Bewußtſeyn.
I.
Beſtimmter Begrif von dem Gewahrnehmen und
Bewußtſeyn.
Die Redensarten in unſerer Sprache, eine Sache
gewahrnehmen, ſie gewahrwerden, etwas
bemerken, ſich einer Sache bewußt werden, be-
wußt ſeyn, ſie erkennen, und mehrere, haben zwar
nicht voͤllig einerley Sinn, aber ſie beziehen ſich doch alle
auf einen einfachen gemeinſchaftlichen Grundbegrif von
einer Aeußerung unſerer Erkenntnißkraft, die ſo, wie
die meiſten Pſychologen jetzo die Worte zu gebrauchen
gewohnt ſind, am reinſten und einfachſten durch das
Wort Gewahrnehmen bezeichnet wird. Wenn die
Seele gleichſam zu ſich ſelbſt innerlich ſaget, und wo die-
ſer Aktus lebhaft wird, ihn wirklich ſo ausdruͤckt: Sie-
he; wenn ſie nemlich einen Gegenſtand nun als einen
beſondern Gegenſtand faſſet, ihn auskennet unter an-
dern, ihn unterſcheidet; dann iſt dasjenige vorhanden,
was ein Gewahrwerden oder ein Gewahrnehmen,
oder die Apperception genennet wird. Ohne Zweifel
hat dieß Wort, wie faſt alle uͤbrige, urſpruͤnglich eine
viel eingeſchraͤnktere Bedeutung.
Gewahrnehmen iſt ein Unterſcheiden, ein
Auskennen, wie die mehreſten ſagen, die zwar durch
dieſe Vertauſchung der Ausdruͤcke den Begrif von dem
Aktus des Gewahrnehmens nicht deutlicher machen, als
er
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 262. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/322>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.