würden. Solchen Zügen können wir nun die ideelle Klar- heit nicht geben, die sie in der Empfindung nicht hatten. Warum nicht? Es muß ihnen an der erfoderlichen bildlichen Klarheit fehlen, sie müssen für sich in der Vor- stellung noch nicht apperceptibel seyn. Denn lägen sie schon so ausgearbeitet und abgesondert da, so würde es ja nur darauf ankommen, daß wir die Aufmerksamkeit gehörig auf sie verwendeten. Da wir sie nicht sehen, auch wenn wir sie suchen, ist es nicht wahrscheinlich, daß sie auch in dieser sichtbaren Gestalt noch nicht vorhanden gewesen sind, und ist es nicht wahrscheinlich, daß sie alsdenn erst sichtbar werden, wenn wir sie wirklich sehen? Aber nun betrachte man die Sache auch von der andern Seite. Nehmen wir nicht wirklich so manches an den Gegenständen gewahr, wenn wir die Jdeen, die bey der Empfindung von ihnen entstanden sind, nun mit voller Aufmerksamkeit betrachten, da sie selbst nicht mehr vor uns sind? und nehmen wir nicht solche Beschaffenheiten an ihnen gewahr, wovon wir es uns nicht erinnern, we- nigstens nicht deutlich erinnern, es in der Empfindung bemerkt zu haben? Sind denn dieß nicht die Beobach- tungen, welche es beweisen, daß doch manche völlig ap- perceptible Züge in dem Bilde gewesen sind, ob es an ihrer wirklichen Apperception noch gefehlet habe?
Es läßt sich hierauf antworten. Sind es Verhält- nisse und Beziehungen, die wir gewahrwerden, in- dem wir die jetzige Vorstellung des Abwesenden mit an- dern Vorstellungen in uns vergleichen, so kann dieß eine gegenwärtige neue Wirkung unserer Reflexion seyn, die sich auf die gegenwärtigen Vorstellungen verwendet. Da sind es keine absolute Beschaffenheiten in dem Gegen- stande, keine solche, die wir durchaus nicht in ihm er- kennen könnten, ohne einen ihnen entsprechenden und ab- stechenden Zug in der Vorstellung gewahrzunehmen; es sind Gedanken von Verhältnissen, welche die Denkkraft
zu
III. Verſuch. Ueber das Gewahrnehmen
wuͤrden. Solchen Zuͤgen koͤnnen wir nun die ideelle Klar- heit nicht geben, die ſie in der Empfindung nicht hatten. Warum nicht? Es muß ihnen an der erfoderlichen bildlichen Klarheit fehlen, ſie muͤſſen fuͤr ſich in der Vor- ſtellung noch nicht apperceptibel ſeyn. Denn laͤgen ſie ſchon ſo ausgearbeitet und abgeſondert da, ſo wuͤrde es ja nur darauf ankommen, daß wir die Aufmerkſamkeit gehoͤrig auf ſie verwendeten. Da wir ſie nicht ſehen, auch wenn wir ſie ſuchen, iſt es nicht wahrſcheinlich, daß ſie auch in dieſer ſichtbaren Geſtalt noch nicht vorhanden geweſen ſind, und iſt es nicht wahrſcheinlich, daß ſie alsdenn erſt ſichtbar werden, wenn wir ſie wirklich ſehen? Aber nun betrachte man die Sache auch von der andern Seite. Nehmen wir nicht wirklich ſo manches an den Gegenſtaͤnden gewahr, wenn wir die Jdeen, die bey der Empfindung von ihnen entſtanden ſind, nun mit voller Aufmerkſamkeit betrachten, da ſie ſelbſt nicht mehr vor uns ſind? und nehmen wir nicht ſolche Beſchaffenheiten an ihnen gewahr, wovon wir es uns nicht erinnern, we- nigſtens nicht deutlich erinnern, es in der Empfindung bemerkt zu haben? Sind denn dieß nicht die Beobach- tungen, welche es beweiſen, daß doch manche voͤllig ap- perceptible Zuͤge in dem Bilde geweſen ſind, ob es an ihrer wirklichen Apperception noch gefehlet habe?
Es laͤßt ſich hierauf antworten. Sind es Verhaͤlt- niſſe und Beziehungen, die wir gewahrwerden, in- dem wir die jetzige Vorſtellung des Abweſenden mit an- dern Vorſtellungen in uns vergleichen, ſo kann dieß eine gegenwaͤrtige neue Wirkung unſerer Reflexion ſeyn, die ſich auf die gegenwaͤrtigen Vorſtellungen verwendet. Da ſind es keine abſolute Beſchaffenheiten in dem Gegen- ſtande, keine ſolche, die wir durchaus nicht in ihm er- kennen koͤnnten, ohne einen ihnen entſprechenden und ab- ſtechenden Zug in der Vorſtellung gewahrzunehmen; es ſind Gedanken von Verhaͤltniſſen, welche die Denkkraft
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III. Verſuch. Ueber das Gewahrnehmen
wuͤrden. Solchen Zuͤgen koͤnnen wir nun die ideelle Klar-
heit nicht geben, die ſie in der Empfindung nicht hatten.
Warum nicht? Es muß ihnen an der erfoderlichen
bildlichen Klarheit fehlen, ſie muͤſſen fuͤr ſich in der Vor-
ſtellung noch nicht apperceptibel ſeyn. Denn laͤgen ſie
ſchon ſo ausgearbeitet und abgeſondert da, ſo wuͤrde es
ja nur darauf ankommen, daß wir die Aufmerkſamkeit
gehoͤrig auf ſie verwendeten. Da wir ſie nicht ſehen,
auch wenn wir ſie ſuchen, iſt es nicht wahrſcheinlich, daß
ſie auch in dieſer ſichtbaren Geſtalt noch nicht vorhanden
geweſen ſind, und iſt es nicht wahrſcheinlich, daß ſie
alsdenn erſt ſichtbar werden, wenn wir ſie wirklich ſehen?
Aber nun betrachte man die Sache auch von der andern
Seite. Nehmen wir nicht wirklich ſo manches an den
Gegenſtaͤnden gewahr, wenn wir die Jdeen, die bey der
Empfindung von ihnen entſtanden ſind, nun mit voller
Aufmerkſamkeit betrachten, da ſie ſelbſt nicht mehr vor
uns ſind? und nehmen wir nicht ſolche Beſchaffenheiten
an ihnen gewahr, wovon wir es uns nicht erinnern, we-
nigſtens nicht deutlich erinnern, es in der Empfindung
bemerkt zu haben? Sind denn dieß nicht die Beobach-
tungen, welche es beweiſen, daß doch manche voͤllig ap-
perceptible Zuͤge in dem Bilde geweſen ſind, ob es an
ihrer wirklichen Apperception noch gefehlet habe?
Es laͤßt ſich hierauf antworten. Sind es Verhaͤlt-
niſſe und Beziehungen, die wir gewahrwerden, in-
dem wir die jetzige Vorſtellung des Abweſenden mit an-
dern Vorſtellungen in uns vergleichen, ſo kann dieß eine
gegenwaͤrtige neue Wirkung unſerer Reflexion ſeyn, die
ſich auf die gegenwaͤrtigen Vorſtellungen verwendet. Da
ſind es keine abſolute Beſchaffenheiten in dem Gegen-
ſtande, keine ſolche, die wir durchaus nicht in ihm er-
kennen koͤnnten, ohne einen ihnen entſprechenden und ab-
ſtechenden Zug in der Vorſtellung gewahrzunehmen; es
ſind Gedanken von Verhaͤltniſſen, welche die Denkkraft
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 268. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/328>, abgerufen am 22.12.2024.
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