und durch seinen darstellenden Vortrag faßlich und bekannter gemacht zu haben. Sie scheint immer mehr Beyfall zu finden, und vielleicht mehr, als sie nach meiner Ueberzeugung sollte, da sie, wie ich meine dargethan zu haben, nicht ganz hinreichet, die Beobachtungen zu erklä- ren, und aufs höchste nur Eine Seite unserer Seelennatur richtig darstellet. So viel räu- me ich ihr aber gerne ein, daß ihre Schwäche nicht so offenbar auffallend ist, als einige ihrer Gegner sich überreden. Es wird oft wieder- holet, das Gehirn sey als ein weicher, oder gar flüßiger Körper unfähig, bleibende Spu- ren von den Eindrücken der Dinge zu erhalten, und können so wenig materielle Jdeen nach bonnetischer Vorstellung in sich haben, als das Wasser die Figur eines Petschafts be- halten kann, das man seiner Oberfläche auf- drückt. Wenn dieß schon genug ist, die Un- möglichkeit der materiellen Jdeen zu zeigen, so hat Hr. Bonnet freilich eine große Absurdi- tät behauptet, wie man von einem Philoso- phen, der mit einer starken Beurtheilungskraft die ausgebreitetste Kenntniß der Natur verbin- det, nicht so leicht vermuthen sollte. So ver- hält sichs aber wohl nicht. Hr. Bonnet wuß- te, was diese seine Widerleger nicht wissen, oder woran sie nicht denken, daß es weiche, gallertige und breyartige Körper gebe, und sogar solche, die dem Anschein nach flüßig sind, worinn sich nicht die mindeste Spur von Or- ganisation auch mit dem bewaffneten Auge
entde-
Vorrede.
und durch ſeinen darſtellenden Vortrag faßlich und bekannter gemacht zu haben. Sie ſcheint immer mehr Beyfall zu finden, und vielleicht mehr, als ſie nach meiner Ueberzeugung ſollte, da ſie, wie ich meine dargethan zu haben, nicht ganz hinreichet, die Beobachtungen zu erklaͤ- ren, und aufs hoͤchſte nur Eine Seite unſerer Seelennatur richtig darſtellet. So viel raͤu- me ich ihr aber gerne ein, daß ihre Schwaͤche nicht ſo offenbar auffallend iſt, als einige ihrer Gegner ſich uͤberreden. Es wird oft wieder- holet, das Gehirn ſey als ein weicher, oder gar fluͤßiger Koͤrper unfaͤhig, bleibende Spu- ren von den Eindruͤcken der Dinge zu erhalten, und koͤnnen ſo wenig materielle Jdeen nach bonnetiſcher Vorſtellung in ſich haben, als das Waſſer die Figur eines Petſchafts be- halten kann, das man ſeiner Oberflaͤche auf- druͤckt. Wenn dieß ſchon genug iſt, die Un- moͤglichkeit der materiellen Jdeen zu zeigen, ſo hat Hr. Bonnet freilich eine große Abſurdi- taͤt behauptet, wie man von einem Philoſo- phen, der mit einer ſtarken Beurtheilungskraft die ausgebreitetſte Kenntniß der Natur verbin- det, nicht ſo leicht vermuthen ſollte. So ver- haͤlt ſichs aber wohl nicht. Hr. Bonnet wuß- te, was dieſe ſeine Widerleger nicht wiſſen, oder woran ſie nicht denken, daß es weiche, gallertige und breyartige Koͤrper gebe, und ſogar ſolche, die dem Anſchein nach fluͤßig ſind, worinn ſich nicht die mindeſte Spur von Or- ganiſation auch mit dem bewaffneten Auge
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[XXXII/0036]
Vorrede.
und durch ſeinen darſtellenden Vortrag faßlich
und bekannter gemacht zu haben. Sie ſcheint
immer mehr Beyfall zu finden, und vielleicht
mehr, als ſie nach meiner Ueberzeugung ſollte,
da ſie, wie ich meine dargethan zu haben, nicht
ganz hinreichet, die Beobachtungen zu erklaͤ-
ren, und aufs hoͤchſte nur Eine Seite unſerer
Seelennatur richtig darſtellet. So viel raͤu-
me ich ihr aber gerne ein, daß ihre Schwaͤche
nicht ſo offenbar auffallend iſt, als einige ihrer
Gegner ſich uͤberreden. Es wird oft wieder-
holet, das Gehirn ſey als ein weicher, oder
gar fluͤßiger Koͤrper unfaͤhig, bleibende Spu-
ren von den Eindruͤcken der Dinge zu erhalten,
und koͤnnen ſo wenig materielle Jdeen nach
bonnetiſcher Vorſtellung in ſich haben, als
das Waſſer die Figur eines Petſchafts be-
halten kann, das man ſeiner Oberflaͤche auf-
druͤckt. Wenn dieß ſchon genug iſt, die Un-
moͤglichkeit der materiellen Jdeen zu zeigen, ſo
hat Hr. Bonnet freilich eine große Abſurdi-
taͤt behauptet, wie man von einem Philoſo-
phen, der mit einer ſtarken Beurtheilungskraft
die ausgebreitetſte Kenntniß der Natur verbin-
det, nicht ſo leicht vermuthen ſollte. So ver-
haͤlt ſichs aber wohl nicht. Hr. Bonnet wuß-
te, was dieſe ſeine Widerleger nicht wiſſen,
oder woran ſie nicht denken, daß es weiche,
gallertige und breyartige Koͤrper gebe, und
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worinn ſich nicht die mindeſte Spur von Or-
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. XXXII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/36>, abgerufen am 22.12.2024.
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