Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777.

Bild:
<< vorherige Seite

Vorrede.
und durch seinen darstellenden Vortrag faßlich
und bekannter gemacht zu haben. Sie scheint
immer mehr Beyfall zu finden, und vielleicht
mehr, als sie nach meiner Ueberzeugung sollte,
da sie, wie ich meine dargethan zu haben, nicht
ganz hinreichet, die Beobachtungen zu erklä-
ren, und aufs höchste nur Eine Seite unserer
Seelennatur richtig darstellet. So viel räu-
me ich ihr aber gerne ein, daß ihre Schwäche
nicht so offenbar auffallend ist, als einige ihrer
Gegner sich überreden. Es wird oft wieder-
holet, das Gehirn sey als ein weicher, oder
gar flüßiger Körper unfähig, bleibende Spu-
ren von den Eindrücken der Dinge zu erhalten,
und können so wenig materielle Jdeen nach
bonnetischer Vorstellung in sich haben, als
das Wasser die Figur eines Petschafts be-
halten kann, das man seiner Oberfläche auf-
drückt. Wenn dieß schon genug ist, die Un-
möglichkeit der materiellen Jdeen zu zeigen, so
hat Hr. Bonnet freilich eine große Absurdi-
tät behauptet, wie man von einem Philoso-
phen, der mit einer starken Beurtheilungskraft
die ausgebreitetste Kenntniß der Natur verbin-
det, nicht so leicht vermuthen sollte. So ver-
hält sichs aber wohl nicht. Hr. Bonnet wuß-
te, was diese seine Widerleger nicht wissen,
oder woran sie nicht denken, daß es weiche,
gallertige und breyartige Körper gebe, und
sogar solche, die dem Anschein nach flüßig sind,
worinn sich nicht die mindeste Spur von Or-
ganisation auch mit dem bewaffneten Auge

entde-

Vorrede.
und durch ſeinen darſtellenden Vortrag faßlich
und bekannter gemacht zu haben. Sie ſcheint
immer mehr Beyfall zu finden, und vielleicht
mehr, als ſie nach meiner Ueberzeugung ſollte,
da ſie, wie ich meine dargethan zu haben, nicht
ganz hinreichet, die Beobachtungen zu erklaͤ-
ren, und aufs hoͤchſte nur Eine Seite unſerer
Seelennatur richtig darſtellet. So viel raͤu-
me ich ihr aber gerne ein, daß ihre Schwaͤche
nicht ſo offenbar auffallend iſt, als einige ihrer
Gegner ſich uͤberreden. Es wird oft wieder-
holet, das Gehirn ſey als ein weicher, oder
gar fluͤßiger Koͤrper unfaͤhig, bleibende Spu-
ren von den Eindruͤcken der Dinge zu erhalten,
und koͤnnen ſo wenig materielle Jdeen nach
bonnetiſcher Vorſtellung in ſich haben, als
das Waſſer die Figur eines Petſchafts be-
halten kann, das man ſeiner Oberflaͤche auf-
druͤckt. Wenn dieß ſchon genug iſt, die Un-
moͤglichkeit der materiellen Jdeen zu zeigen, ſo
hat Hr. Bonnet freilich eine große Abſurdi-
taͤt behauptet, wie man von einem Philoſo-
phen, der mit einer ſtarken Beurtheilungskraft
die ausgebreitetſte Kenntniß der Natur verbin-
det, nicht ſo leicht vermuthen ſollte. So ver-
haͤlt ſichs aber wohl nicht. Hr. Bonnet wuß-
te, was dieſe ſeine Widerleger nicht wiſſen,
oder woran ſie nicht denken, daß es weiche,
gallertige und breyartige Koͤrper gebe, und
ſogar ſolche, die dem Anſchein nach fluͤßig ſind,
worinn ſich nicht die mindeſte Spur von Or-
ganiſation auch mit dem bewaffneten Auge

entde-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0036" n="XXXII"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Vorrede</hi>.</hi></fw><lb/>
und durch &#x017F;einen dar&#x017F;tellenden Vortrag faßlich<lb/>
und bekannter gemacht zu haben. Sie &#x017F;cheint<lb/>
immer mehr Beyfall zu finden, und vielleicht<lb/>
mehr, als &#x017F;ie nach meiner Ueberzeugung &#x017F;ollte,<lb/>
da &#x017F;ie, wie ich meine dargethan zu haben, nicht<lb/>
ganz hinreichet, die Beobachtungen zu erkla&#x0364;-<lb/>
ren, und aufs ho&#x0364;ch&#x017F;te nur Eine Seite un&#x017F;erer<lb/>
Seelennatur richtig dar&#x017F;tellet. So viel ra&#x0364;u-<lb/>
me ich ihr aber gerne ein, daß ihre Schwa&#x0364;che<lb/>
nicht &#x017F;o offenbar auffallend i&#x017F;t, als einige ihrer<lb/>
Gegner &#x017F;ich u&#x0364;berreden. Es wird oft wieder-<lb/>
holet, das Gehirn &#x017F;ey als ein weicher, oder<lb/>
gar flu&#x0364;ßiger Ko&#x0364;rper unfa&#x0364;hig, bleibende Spu-<lb/>
ren von den Eindru&#x0364;cken der Dinge zu erhalten,<lb/>
und ko&#x0364;nnen &#x017F;o wenig materielle Jdeen nach<lb/><hi rendition="#fr">bonneti&#x017F;cher</hi> Vor&#x017F;tellung in &#x017F;ich haben, als<lb/>
das Wa&#x017F;&#x017F;er die Figur eines Pet&#x017F;chafts be-<lb/>
halten kann, das man &#x017F;einer Oberfla&#x0364;che auf-<lb/>
dru&#x0364;ckt. Wenn dieß &#x017F;chon genug i&#x017F;t, die Un-<lb/>
mo&#x0364;glichkeit der materiellen Jdeen zu zeigen, &#x017F;o<lb/>
hat Hr. <hi rendition="#fr">Bonnet</hi> freilich eine große Ab&#x017F;urdi-<lb/>
ta&#x0364;t behauptet, wie man von einem Philo&#x017F;o-<lb/>
phen, der mit einer &#x017F;tarken Beurtheilungskraft<lb/>
die ausgebreitet&#x017F;te Kenntniß der Natur verbin-<lb/>
det, nicht &#x017F;o leicht vermuthen &#x017F;ollte. So ver-<lb/>
ha&#x0364;lt &#x017F;ichs aber wohl nicht. Hr. <hi rendition="#fr">Bonnet</hi> wuß-<lb/>
te, was die&#x017F;e &#x017F;eine Widerleger nicht wi&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
oder woran &#x017F;ie nicht denken, daß es weiche,<lb/>
gallertige und breyartige Ko&#x0364;rper gebe, und<lb/>
&#x017F;ogar &#x017F;olche, die dem An&#x017F;chein nach flu&#x0364;ßig &#x017F;ind,<lb/>
worinn &#x017F;ich nicht die minde&#x017F;te Spur von Or-<lb/>
gani&#x017F;ation auch mit dem bewaffneten Auge<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">entde-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[XXXII/0036] Vorrede. und durch ſeinen darſtellenden Vortrag faßlich und bekannter gemacht zu haben. Sie ſcheint immer mehr Beyfall zu finden, und vielleicht mehr, als ſie nach meiner Ueberzeugung ſollte, da ſie, wie ich meine dargethan zu haben, nicht ganz hinreichet, die Beobachtungen zu erklaͤ- ren, und aufs hoͤchſte nur Eine Seite unſerer Seelennatur richtig darſtellet. So viel raͤu- me ich ihr aber gerne ein, daß ihre Schwaͤche nicht ſo offenbar auffallend iſt, als einige ihrer Gegner ſich uͤberreden. Es wird oft wieder- holet, das Gehirn ſey als ein weicher, oder gar fluͤßiger Koͤrper unfaͤhig, bleibende Spu- ren von den Eindruͤcken der Dinge zu erhalten, und koͤnnen ſo wenig materielle Jdeen nach bonnetiſcher Vorſtellung in ſich haben, als das Waſſer die Figur eines Petſchafts be- halten kann, das man ſeiner Oberflaͤche auf- druͤckt. Wenn dieß ſchon genug iſt, die Un- moͤglichkeit der materiellen Jdeen zu zeigen, ſo hat Hr. Bonnet freilich eine große Abſurdi- taͤt behauptet, wie man von einem Philoſo- phen, der mit einer ſtarken Beurtheilungskraft die ausgebreitetſte Kenntniß der Natur verbin- det, nicht ſo leicht vermuthen ſollte. So ver- haͤlt ſichs aber wohl nicht. Hr. Bonnet wuß- te, was dieſe ſeine Widerleger nicht wiſſen, oder woran ſie nicht denken, daß es weiche, gallertige und breyartige Koͤrper gebe, und ſogar ſolche, die dem Anſchein nach fluͤßig ſind, worinn ſich nicht die mindeſte Spur von Or- ganiſation auch mit dem bewaffneten Auge entde-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/36
Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. XXXII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/36>, abgerufen am 02.05.2024.