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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777.

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und über das Denken.
ziehungen der Dinge, die sich nicht in Einerleyheit
und Verschiedenheit auflösen lassen, so ist diese ange-
führte gewöhnliche Erklärung der Urtheile von dem all-
gemeinen Umfange nicht, den sie haben müßte, um die
ganze Mannigfaltigkeit dieser Denkarten zu umfassen.

Sollten wohl alle Verhältnisse auf Jdentität und
Diversität, oder wie einige sich ausgedrucket haben,
auf Einstimmung und Widerspruch zurückgeführet
werden können; und also alle Urtheile in Gedanken die-
ser einzigen Gattung von Verhältnissen bestehen?

Die gewöhnliche Methode der Vernunftlehrer, in
dem Kapitel von den Urtheilen, gefällt mir nicht recht.
Sie bedienen sich eines gewissen Kunstgriffes, die erste
Erklärung eines Urtheils, "daß es ein Gedanke von
dem Verhältniß der Dinge sey," in eine andere umzu-
ändern, nach der Urtheilen so viel seyn soll, als Dinge
wie einerley oder verschieden sich gedenken,
in-
dem sie alle Verhältnisse zwischen den Gegenständen in
die sogenannten Prädikate der Sätze werfen, und am
Ende für die Verbindung der Jdeen nichts mehr übrig
behalten, als den Gedanken, daß ein Verhältniß entwe-
der statt finde, oder nicht statt finde; und alsdenn
dieß Stattfinden oder das Nichtstattfinden eines Ver-
hältnisses ein Seyn oder Nichtseyn, ein logisches
Verhältniß
nennen. Dadurch wird die Lehre von den
Urtheilen einfacher, aber sie wird auch zugleich magerer,
und anstatt einer reichhaltigen Theorie über die Verstan-
desthätigkeiten, worauf die Entwickelung der ersten
fruchtbaren Erklärung führen könnte, erhält man eine
eingeschränkte und wenig aufklärende Rubrik. Zuwei-
len geht man wieder zu der ersten Grunderklärung zurück;
z. B. in der Lehre von den zusammengesetzten Ur-
theilen,
wobey der letzte Begriff von dem Urtheil un-
anpassend ist, die erstere aber alles in Deutlichkeit setzet.
Man mag die Bestimmtheit und Genauigkeit in der

Methode,
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und uͤber das Denken.
ziehungen der Dinge, die ſich nicht in Einerleyheit
und Verſchiedenheit aufloͤſen laſſen, ſo iſt dieſe ange-
fuͤhrte gewoͤhnliche Erklaͤrung der Urtheile von dem all-
gemeinen Umfange nicht, den ſie haben muͤßte, um die
ganze Mannigfaltigkeit dieſer Denkarten zu umfaſſen.

Sollten wohl alle Verhaͤltniſſe auf Jdentitaͤt und
Diverſitaͤt, oder wie einige ſich ausgedrucket haben,
auf Einſtimmung und Widerſpruch zuruͤckgefuͤhret
werden koͤnnen; und alſo alle Urtheile in Gedanken die-
ſer einzigen Gattung von Verhaͤltniſſen beſtehen?

Die gewoͤhnliche Methode der Vernunftlehrer, in
dem Kapitel von den Urtheilen, gefaͤllt mir nicht recht.
Sie bedienen ſich eines gewiſſen Kunſtgriffes, die erſte
Erklaͤrung eines Urtheils, „daß es ein Gedanke von
dem Verhaͤltniß der Dinge ſey,‟ in eine andere umzu-
aͤndern, nach der Urtheilen ſo viel ſeyn ſoll, als Dinge
wie einerley oder verſchieden ſich gedenken,
in-
dem ſie alle Verhaͤltniſſe zwiſchen den Gegenſtaͤnden in
die ſogenannten Praͤdikate der Saͤtze werfen, und am
Ende fuͤr die Verbindung der Jdeen nichts mehr uͤbrig
behalten, als den Gedanken, daß ein Verhaͤltniß entwe-
der ſtatt finde, oder nicht ſtatt finde; und alsdenn
dieß Stattfinden oder das Nichtſtattfinden eines Ver-
haͤltniſſes ein Seyn oder Nichtſeyn, ein logiſches
Verhaͤltniß
nennen. Dadurch wird die Lehre von den
Urtheilen einfacher, aber ſie wird auch zugleich magerer,
und anſtatt einer reichhaltigen Theorie uͤber die Verſtan-
desthaͤtigkeiten, worauf die Entwickelung der erſten
fruchtbaren Erklaͤrung fuͤhren koͤnnte, erhaͤlt man eine
eingeſchraͤnkte und wenig aufklaͤrende Rubrik. Zuwei-
len geht man wieder zu der erſten Grunderklaͤrung zuruͤck;
z. B. in der Lehre von den zuſammengeſetzten Ur-
theilen,
wobey der letzte Begriff von dem Urtheil un-
anpaſſend iſt, die erſtere aber alles in Deutlichkeit ſetzet.
Man mag die Beſtimmtheit und Genauigkeit in der

Methode,
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[329/0389] und uͤber das Denken. ziehungen der Dinge, die ſich nicht in Einerleyheit und Verſchiedenheit aufloͤſen laſſen, ſo iſt dieſe ange- fuͤhrte gewoͤhnliche Erklaͤrung der Urtheile von dem all- gemeinen Umfange nicht, den ſie haben muͤßte, um die ganze Mannigfaltigkeit dieſer Denkarten zu umfaſſen. Sollten wohl alle Verhaͤltniſſe auf Jdentitaͤt und Diverſitaͤt, oder wie einige ſich ausgedrucket haben, auf Einſtimmung und Widerſpruch zuruͤckgefuͤhret werden koͤnnen; und alſo alle Urtheile in Gedanken die- ſer einzigen Gattung von Verhaͤltniſſen beſtehen? Die gewoͤhnliche Methode der Vernunftlehrer, in dem Kapitel von den Urtheilen, gefaͤllt mir nicht recht. Sie bedienen ſich eines gewiſſen Kunſtgriffes, die erſte Erklaͤrung eines Urtheils, „daß es ein Gedanke von dem Verhaͤltniß der Dinge ſey,‟ in eine andere umzu- aͤndern, nach der Urtheilen ſo viel ſeyn ſoll, als Dinge wie einerley oder verſchieden ſich gedenken, in- dem ſie alle Verhaͤltniſſe zwiſchen den Gegenſtaͤnden in die ſogenannten Praͤdikate der Saͤtze werfen, und am Ende fuͤr die Verbindung der Jdeen nichts mehr uͤbrig behalten, als den Gedanken, daß ein Verhaͤltniß entwe- der ſtatt finde, oder nicht ſtatt finde; und alsdenn dieß Stattfinden oder das Nichtſtattfinden eines Ver- haͤltniſſes ein Seyn oder Nichtſeyn, ein logiſches Verhaͤltniß nennen. Dadurch wird die Lehre von den Urtheilen einfacher, aber ſie wird auch zugleich magerer, und anſtatt einer reichhaltigen Theorie uͤber die Verſtan- desthaͤtigkeiten, worauf die Entwickelung der erſten fruchtbaren Erklaͤrung fuͤhren koͤnnte, erhaͤlt man eine eingeſchraͤnkte und wenig aufklaͤrende Rubrik. Zuwei- len geht man wieder zu der erſten Grunderklaͤrung zuruͤck; z. B. in der Lehre von den zuſammengeſetzten Ur- theilen, wobey der letzte Begriff von dem Urtheil un- anpaſſend iſt, die erſtere aber alles in Deutlichkeit ſetzet. Man mag die Beſtimmtheit und Genauigkeit in der Methode, X 5

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 329. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/389>, abgerufen am 22.12.2024.