Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777.

Bild:
<< vorherige Seite

und über das Denken.
womit die Vorstellung der Sache bearbeitet war. Die
gewahrgenommene Vorstellung war andern gegenüber
gestellet und auf andere bezogen worden.

2) Wenn die Vorstellung durch diese Bearbeitun-
gen und Beziehungen die gehörige Stärke und Stellung,
die objektivische Klarheit empfangen hatte, so erfolgten
der Gedanke selbst, das eigentliche Gewahrnehmen,
der Beziehungsgedanke; oder das, was da ist, wenn
ich sage: Siehe! Die Sache ward dadurch als eine be-
sondere Sache vorgestellet.

Ob dieß letztere, und wie ferne es an jenes vorher-
gehende Gefühl und an die Zurichtung oder Absonderung
und Beachtung der Vorstellung gebunden, und mit ihm
einerley sey, oder ob und in wie ferne es durch eine eige-
ne nachfolgende Aktion der Seele hinzukomme, ist in
dem vorhergehenden als unentschieden dahingestellet.
Aber der letztere dieser beiden Aktus, wodurch die sub-
jektivische Relation
oder der Gedanke mit der vorzüg-
lich abstechenden und abgesonderten Vorstellung verbun-
den wird, und dessen Wirkung dieser Gedanke ist, machet
den eigentlichen Aktus des Gewahrnehmens aus, und
in diesem besteht hier das Wesentliche des Denkens.

Das Gewahrnehmen erfodert eine Beziehung der
gewahrgenommenen Sache auf andere, die von einigen
für eine Vergleichung angesehen wird. Wenn ich ei-
nen einzelnen Menschen unter einem Haufen auskenne,
so kann eine andere vorhergehende Jdee da seyn, welche
durch die Einbildungskraft wieder dargestellet, und mit
der gegenwärtigen Empfindung verbunden wird, und
dadurch diese letztere lebhafter und ausgezeichneter in mir
abdruckt; es kann mir zum Exempel einfallen, daß der
Mensch, den ich jetzo sehe, ein Bekannter von mir sey,
oder einem Bekannten sehr änlich sehe. Dieß ist Ein
Fall. Es kann aber auch die Ursache, warum sein Bild
so vorzüglich lebhaft mir auffällt, in dem Bilde selbst lie-

gen,

und uͤber das Denken.
womit die Vorſtellung der Sache bearbeitet war. Die
gewahrgenommene Vorſtellung war andern gegenuͤber
geſtellet und auf andere bezogen worden.

2) Wenn die Vorſtellung durch dieſe Bearbeitun-
gen und Beziehungen die gehoͤrige Staͤrke und Stellung,
die objektiviſche Klarheit empfangen hatte, ſo erfolgten
der Gedanke ſelbſt, das eigentliche Gewahrnehmen,
der Beziehungsgedanke; oder das, was da iſt, wenn
ich ſage: Siehe! Die Sache ward dadurch als eine be-
ſondere Sache vorgeſtellet.

Ob dieß letztere, und wie ferne es an jenes vorher-
gehende Gefuͤhl und an die Zurichtung oder Abſonderung
und Beachtung der Vorſtellung gebunden, und mit ihm
einerley ſey, oder ob und in wie ferne es durch eine eige-
ne nachfolgende Aktion der Seele hinzukomme, iſt in
dem vorhergehenden als unentſchieden dahingeſtellet.
Aber der letztere dieſer beiden Aktus, wodurch die ſub-
jektiviſche Relation
oder der Gedanke mit der vorzuͤg-
lich abſtechenden und abgeſonderten Vorſtellung verbun-
den wird, und deſſen Wirkung dieſer Gedanke iſt, machet
den eigentlichen Aktus des Gewahrnehmens aus, und
in dieſem beſteht hier das Weſentliche des Denkens.

Das Gewahrnehmen erfodert eine Beziehung der
gewahrgenommenen Sache auf andere, die von einigen
fuͤr eine Vergleichung angeſehen wird. Wenn ich ei-
nen einzelnen Menſchen unter einem Haufen auskenne,
ſo kann eine andere vorhergehende Jdee da ſeyn, welche
durch die Einbildungskraft wieder dargeſtellet, und mit
der gegenwaͤrtigen Empfindung verbunden wird, und
dadurch dieſe letztere lebhafter und ausgezeichneter in mir
abdruckt; es kann mir zum Exempel einfallen, daß der
Menſch, den ich jetzo ſehe, ein Bekannter von mir ſey,
oder einem Bekannten ſehr aͤnlich ſehe. Dieß iſt Ein
Fall. Es kann aber auch die Urſache, warum ſein Bild
ſo vorzuͤglich lebhaft mir auffaͤllt, in dem Bilde ſelbſt lie-

gen,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0409" n="349"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">und u&#x0364;ber das Denken.</hi></fw><lb/>
womit die Vor&#x017F;tellung der Sache bearbeitet war. Die<lb/>
gewahrgenommene Vor&#x017F;tellung war andern gegenu&#x0364;ber<lb/>
ge&#x017F;tellet und auf andere <hi rendition="#fr">bezogen</hi> worden.</p><lb/>
            <p>2) Wenn die Vor&#x017F;tellung durch die&#x017F;e Bearbeitun-<lb/>
gen und Beziehungen die geho&#x0364;rige Sta&#x0364;rke und Stellung,<lb/>
die objektivi&#x017F;che Klarheit empfangen hatte, &#x017F;o erfolgten<lb/>
der <hi rendition="#fr">Gedanke</hi> &#x017F;elb&#x017F;t, das eigentliche Gewahrnehmen,<lb/>
der <hi rendition="#fr">Beziehungsgedanke;</hi> oder das, was da i&#x017F;t, wenn<lb/>
ich &#x017F;age: <hi rendition="#fr">Siehe!</hi> Die Sache ward dadurch als eine be-<lb/>
&#x017F;ondere Sache vorge&#x017F;tellet.</p><lb/>
            <p>Ob dieß letztere, und wie ferne es an jenes vorher-<lb/>
gehende Gefu&#x0364;hl und an die Zurichtung oder Ab&#x017F;onderung<lb/>
und Beachtung der Vor&#x017F;tellung gebunden, und mit ihm<lb/>
einerley &#x017F;ey, oder ob und in wie ferne es durch eine eige-<lb/>
ne nachfolgende Aktion der Seele hinzukomme, i&#x017F;t in<lb/>
dem vorhergehenden als unent&#x017F;chieden dahinge&#x017F;tellet.<lb/>
Aber der letztere die&#x017F;er beiden Aktus, wodurch die <hi rendition="#fr">&#x017F;ub-<lb/>
jektivi&#x017F;che Relation</hi> oder der Gedanke mit der vorzu&#x0364;g-<lb/>
lich ab&#x017F;techenden und abge&#x017F;onderten Vor&#x017F;tellung verbun-<lb/>
den wird, und de&#x017F;&#x017F;en Wirkung die&#x017F;er Gedanke i&#x017F;t, machet<lb/>
den eigentlichen Aktus des Gewahrnehmens aus, und<lb/>
in die&#x017F;em be&#x017F;teht hier das <hi rendition="#fr">We&#x017F;entliche</hi> des Denkens.</p><lb/>
            <p>Das Gewahrnehmen erfodert eine <hi rendition="#fr">Beziehung</hi> der<lb/>
gewahrgenommenen Sache auf andere, die von einigen<lb/>
fu&#x0364;r eine <hi rendition="#fr">Vergleichung</hi> ange&#x017F;ehen wird. Wenn ich ei-<lb/>
nen einzelnen Men&#x017F;chen unter einem Haufen auskenne,<lb/>
&#x017F;o kann eine andere vorhergehende Jdee da &#x017F;eyn, welche<lb/>
durch die Einbildungskraft wieder darge&#x017F;tellet, und mit<lb/>
der gegenwa&#x0364;rtigen Empfindung verbunden wird, und<lb/>
dadurch die&#x017F;e letztere lebhafter und ausgezeichneter in mir<lb/>
abdruckt; es kann mir zum Exempel einfallen, daß der<lb/>
Men&#x017F;ch, den ich jetzo &#x017F;ehe, ein Bekannter von mir &#x017F;ey,<lb/>
oder einem Bekannten &#x017F;ehr a&#x0364;nlich &#x017F;ehe. Dieß i&#x017F;t Ein<lb/>
Fall. Es kann aber auch die Ur&#x017F;ache, warum &#x017F;ein Bild<lb/>
&#x017F;o vorzu&#x0364;glich lebhaft mir auffa&#x0364;llt, in dem Bilde &#x017F;elb&#x017F;t lie-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">gen,</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[349/0409] und uͤber das Denken. womit die Vorſtellung der Sache bearbeitet war. Die gewahrgenommene Vorſtellung war andern gegenuͤber geſtellet und auf andere bezogen worden. 2) Wenn die Vorſtellung durch dieſe Bearbeitun- gen und Beziehungen die gehoͤrige Staͤrke und Stellung, die objektiviſche Klarheit empfangen hatte, ſo erfolgten der Gedanke ſelbſt, das eigentliche Gewahrnehmen, der Beziehungsgedanke; oder das, was da iſt, wenn ich ſage: Siehe! Die Sache ward dadurch als eine be- ſondere Sache vorgeſtellet. Ob dieß letztere, und wie ferne es an jenes vorher- gehende Gefuͤhl und an die Zurichtung oder Abſonderung und Beachtung der Vorſtellung gebunden, und mit ihm einerley ſey, oder ob und in wie ferne es durch eine eige- ne nachfolgende Aktion der Seele hinzukomme, iſt in dem vorhergehenden als unentſchieden dahingeſtellet. Aber der letztere dieſer beiden Aktus, wodurch die ſub- jektiviſche Relation oder der Gedanke mit der vorzuͤg- lich abſtechenden und abgeſonderten Vorſtellung verbun- den wird, und deſſen Wirkung dieſer Gedanke iſt, machet den eigentlichen Aktus des Gewahrnehmens aus, und in dieſem beſteht hier das Weſentliche des Denkens. Das Gewahrnehmen erfodert eine Beziehung der gewahrgenommenen Sache auf andere, die von einigen fuͤr eine Vergleichung angeſehen wird. Wenn ich ei- nen einzelnen Menſchen unter einem Haufen auskenne, ſo kann eine andere vorhergehende Jdee da ſeyn, welche durch die Einbildungskraft wieder dargeſtellet, und mit der gegenwaͤrtigen Empfindung verbunden wird, und dadurch dieſe letztere lebhafter und ausgezeichneter in mir abdruckt; es kann mir zum Exempel einfallen, daß der Menſch, den ich jetzo ſehe, ein Bekannter von mir ſey, oder einem Bekannten ſehr aͤnlich ſehe. Dieß iſt Ein Fall. Es kann aber auch die Urſache, warum ſein Bild ſo vorzuͤglich lebhaft mir auffaͤllt, in dem Bilde ſelbſt lie- gen,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/409
Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 349. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/409>, abgerufen am 22.12.2024.