Ferner, wenn die Jdee eine allgemeine Vorstel- lung ist, die gewahrgenommen wird, so hat das allge- meine Bild seinen Grund darinn, daß das Aehnliche in mehrere besondere Vorstellungen abgesondert und in Eine Vorstellung gebracht ist. Will man auch dieß als ein Vergleichen ansehen, und so nennen, so habe ich nichts dagegen.
Und noch mehr. Wenn wir uns eine Jdee von ei- nem empfundenen Objekte machen, zu der Zeit, da schon allgemeine Abstraktionen in uns sind, so verbinden wir mit der gegenwärtigen Empfindung des Objekts die Gemeinbilder, denen die Empfindungsvorstellung ähn- lich ist, und setzen also das Bild von dem Objekt aus der Empfindungsvorstellung und aus den schon vorhan- denen Gemeinbildern zusammen. Das heißt, wir stel- len uns die Sache und ihre Beschaffenheiten durch schon vorhandene Gemeinbilder vor. Man sieht den Polyp, und macht sich von ihm die Jdee, er sey eine Pflanze; man betrachtet ihn genauer, und sieht ihn für ein Thier an. Beides auf gleiche Art. Wir empfunden, das er Sprößlinge und Zweige treibt, wie eine Pflanze, und hernach, daß er Nahrung zu sich nimmt, wie ein Thier. Wie viel tausend Beobachtungsfehler haben nicht hierinn ihren Grund, da die Gemeinbilder oft ein gefärbtes Glas sind, das unsere Empfindung täuschet. Wenn Hr. Bonnet so oft daran erinnert, daß wir unsere Jdeen nach der Vergleichung bilden, so will er für diesen Feh- ler warnen.
Ob in uns überhaupt irgend Jdeen von einzelnen Gegenständen seyn können, ehe nicht allgemeine Bil- der vorhanden sind, ist eine Frage, die zwar nicht mit Gewißheit entschieden werden kann, aber gewiß doch in Hinsicht der mehresten Jdeen verneinet werden muß. Warum sollte der Mensch an sich nicht den starken Ein- druck von dem Feuer gewahrnehmen können, ehe die
Verbin-
IV. Verſuch. Ueber die Denkkraft
Ferner, wenn die Jdee eine allgemeine Vorſtel- lung iſt, die gewahrgenommen wird, ſo hat das allge- meine Bild ſeinen Grund darinn, daß das Aehnliche in mehrere beſondere Vorſtellungen abgeſondert und in Eine Vorſtellung gebracht iſt. Will man auch dieß als ein Vergleichen anſehen, und ſo nennen, ſo habe ich nichts dagegen.
Und noch mehr. Wenn wir uns eine Jdee von ei- nem empfundenen Objekte machen, zu der Zeit, da ſchon allgemeine Abſtraktionen in uns ſind, ſo verbinden wir mit der gegenwaͤrtigen Empfindung des Objekts die Gemeinbilder, denen die Empfindungsvorſtellung aͤhn- lich iſt, und ſetzen alſo das Bild von dem Objekt aus der Empfindungsvorſtellung und aus den ſchon vorhan- denen Gemeinbildern zuſammen. Das heißt, wir ſtel- len uns die Sache und ihre Beſchaffenheiten durch ſchon vorhandene Gemeinbilder vor. Man ſieht den Polyp, und macht ſich von ihm die Jdee, er ſey eine Pflanze; man betrachtet ihn genauer, und ſieht ihn fuͤr ein Thier an. Beides auf gleiche Art. Wir empfunden, das er Sproͤßlinge und Zweige treibt, wie eine Pflanze, und hernach, daß er Nahrung zu ſich nimmt, wie ein Thier. Wie viel tauſend Beobachtungsfehler haben nicht hierinn ihren Grund, da die Gemeinbilder oft ein gefaͤrbtes Glas ſind, das unſere Empfindung taͤuſchet. Wenn Hr. Bonnet ſo oft daran erinnert, daß wir unſere Jdeen nach der Vergleichung bilden, ſo will er fuͤr dieſen Feh- ler warnen.
Ob in uns uͤberhaupt irgend Jdeen von einzelnen Gegenſtaͤnden ſeyn koͤnnen, ehe nicht allgemeine Bil- der vorhanden ſind, iſt eine Frage, die zwar nicht mit Gewißheit entſchieden werden kann, aber gewiß doch in Hinſicht der mehreſten Jdeen verneinet werden muß. Warum ſollte der Menſch an ſich nicht den ſtarken Ein- druck von dem Feuer gewahrnehmen koͤnnen, ehe die
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IV. Verſuch. Ueber die Denkkraft
Ferner, wenn die Jdee eine allgemeine Vorſtel-
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meine Bild ſeinen Grund darinn, daß das Aehnliche
in mehrere beſondere Vorſtellungen abgeſondert und in
Eine Vorſtellung gebracht iſt. Will man auch dieß als
ein Vergleichen anſehen, und ſo nennen, ſo habe ich
nichts dagegen.
Und noch mehr. Wenn wir uns eine Jdee von ei-
nem empfundenen Objekte machen, zu der Zeit, da ſchon
allgemeine Abſtraktionen in uns ſind, ſo verbinden
wir mit der gegenwaͤrtigen Empfindung des Objekts die
Gemeinbilder, denen die Empfindungsvorſtellung aͤhn-
lich iſt, und ſetzen alſo das Bild von dem Objekt aus
der Empfindungsvorſtellung und aus den ſchon vorhan-
denen Gemeinbildern zuſammen. Das heißt, wir ſtel-
len uns die Sache und ihre Beſchaffenheiten durch ſchon
vorhandene Gemeinbilder vor. Man ſieht den Polyp,
und macht ſich von ihm die Jdee, er ſey eine Pflanze;
man betrachtet ihn genauer, und ſieht ihn fuͤr ein Thier
an. Beides auf gleiche Art. Wir empfunden, das er
Sproͤßlinge und Zweige treibt, wie eine Pflanze, und
hernach, daß er Nahrung zu ſich nimmt, wie ein Thier.
Wie viel tauſend Beobachtungsfehler haben nicht hierinn
ihren Grund, da die Gemeinbilder oft ein gefaͤrbtes Glas
ſind, das unſere Empfindung taͤuſchet. Wenn Hr.
Bonnet ſo oft daran erinnert, daß wir unſere Jdeen
nach der Vergleichung bilden, ſo will er fuͤr dieſen Feh-
ler warnen.
Ob in uns uͤberhaupt irgend Jdeen von einzelnen
Gegenſtaͤnden ſeyn koͤnnen, ehe nicht allgemeine Bil-
der vorhanden ſind, iſt eine Frage, die zwar nicht mit
Gewißheit entſchieden werden kann, aber gewiß doch in
Hinſicht der mehreſten Jdeen verneinet werden muß.
Warum ſollte der Menſch an ſich nicht den ſtarken Ein-
druck von dem Feuer gewahrnehmen koͤnnen, ehe die
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 362. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/422>, abgerufen am 22.12.2024.
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