Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777.

Bild:
<< vorherige Seite

Kenntn. v. d. objektiv. Existenz d. Dinge.
die vereiniget ein vollständiges Ding vorstellen können.
Daher erscheinet jedwede Gesichtsempfindung entweder
selbst als eine völlige Substanz, die außer uns und un-
serm Körper ist, das heißt, die von beiden reell ver-
schieden ist; oder als eine Beschaffenheit von einer sol-
chen.

Ob die Gesichtsempfindungen einer Sache allein
genommen, eine solche Vorstellung geben können, als
die ist von einem wirklichen Objekt, und vollständigen
Dinge oder von einer Substanz, wie Hr. Home meinet,
das scheinet an sich nicht unmöglich zu seyn; aber es ist
auch gewiß, daß die unsrigen diese Beschaffenheit den
mit ihnen verbundenen Empfindungen des Gefühls zum
Theil zu verdanken haben. Die gleichzeitigen Empfin-
dungen durch beide Sinne vereinigten sich, und die Ein-
drücke des Gesichts konnten, da sie am klärsten und leich-
testen zu reproduciren sind, auch am bequemsten, als die
hervorstechende Merkmale des ganzen Jnbegriffs, das ist,
des ganzen Dinges gebrauchet werden, wie es wirklich
geschicht. Der Gedanke, daß die Gesichtsempfindun-
gen weder zu unserm Jch gehören, noch zu unserm Kör-
per, konnte allein aus ihrer Vergleichung mit andern
entstehen; aber der Gedanke: "sie sind vollständige
Dinge,
in eben dem Sinn, wie unser Jch ein Ding ist."
Dieser Gedanke ist wahrscheinlich nur entstanden, weil
sie die wesentlichen Merkmale von einer ganzen Vorstel-
lung sind, die aus dem, was man sahe und was man
fühlte, zusammen bestehet.

Endlich, -- denn ich eile zum Schluß, -- setzen
wir die Eindrücke auf die Nerven, welche wir zum äußer-
lichen
körperlichen Gefühl hinrechnen, allemal in das
Organ hin, sobald die Bewegungen so heftig sind, daß
sie das Organ lebhaft erschüttern, hingegen außer uns,
wenn wir nur sanft berühret werden, und die Empfin-
dung deutlich ist. Der Schmerz, der Kizel, Frost und

Hitze
D d 3

Kenntn. v. d. objektiv. Exiſtenz d. Dinge.
die vereiniget ein vollſtaͤndiges Ding vorſtellen koͤnnen.
Daher erſcheinet jedwede Geſichtsempfindung entweder
ſelbſt als eine voͤllige Subſtanz, die außer uns und un-
ſerm Koͤrper iſt, das heißt, die von beiden reell ver-
ſchieden iſt; oder als eine Beſchaffenheit von einer ſol-
chen.

Ob die Geſichtsempfindungen einer Sache allein
genommen, eine ſolche Vorſtellung geben koͤnnen, als
die iſt von einem wirklichen Objekt, und vollſtaͤndigen
Dinge oder von einer Subſtanz, wie Hr. Home meinet,
das ſcheinet an ſich nicht unmoͤglich zu ſeyn; aber es iſt
auch gewiß, daß die unſrigen dieſe Beſchaffenheit den
mit ihnen verbundenen Empfindungen des Gefuͤhls zum
Theil zu verdanken haben. Die gleichzeitigen Empfin-
dungen durch beide Sinne vereinigten ſich, und die Ein-
druͤcke des Geſichts konnten, da ſie am klaͤrſten und leich-
teſten zu reproduciren ſind, auch am bequemſten, als die
hervorſtechende Merkmale des ganzen Jnbegriffs, das iſt,
des ganzen Dinges gebrauchet werden, wie es wirklich
geſchicht. Der Gedanke, daß die Geſichtsempfindun-
gen weder zu unſerm Jch gehoͤren, noch zu unſerm Koͤr-
per, konnte allein aus ihrer Vergleichung mit andern
entſtehen; aber der Gedanke: „ſie ſind vollſtaͤndige
Dinge,
in eben dem Sinn, wie unſer Jch ein Ding iſt.“
Dieſer Gedanke iſt wahrſcheinlich nur entſtanden, weil
ſie die weſentlichen Merkmale von einer ganzen Vorſtel-
lung ſind, die aus dem, was man ſahe und was man
fuͤhlte, zuſammen beſtehet.

Endlich, — denn ich eile zum Schluß, — ſetzen
wir die Eindruͤcke auf die Nerven, welche wir zum aͤußer-
lichen
koͤrperlichen Gefuͤhl hinrechnen, allemal in das
Organ hin, ſobald die Bewegungen ſo heftig ſind, daß
ſie das Organ lebhaft erſchuͤttern, hingegen außer uns,
wenn wir nur ſanft beruͤhret werden, und die Empfin-
dung deutlich iſt. Der Schmerz, der Kizel, Froſt und

Hitze
D d 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0481" n="421"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Kenntn. v. d. objektiv. Exi&#x017F;tenz d. Dinge.</hi></fw><lb/>
die vereiniget ein voll&#x017F;ta&#x0364;ndiges Ding vor&#x017F;tellen ko&#x0364;nnen.<lb/>
Daher er&#x017F;cheinet jedwede Ge&#x017F;ichtsempfindung entweder<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t als eine vo&#x0364;llige Sub&#x017F;tanz, die außer uns und un-<lb/>
&#x017F;erm Ko&#x0364;rper i&#x017F;t, das heißt, die von beiden reell ver-<lb/>
&#x017F;chieden i&#x017F;t; oder als eine Be&#x017F;chaffenheit von einer &#x017F;ol-<lb/>
chen.</p><lb/>
          <p>Ob die Ge&#x017F;ichtsempfindungen einer Sache <hi rendition="#fr">allein</hi><lb/>
genommen, eine &#x017F;olche Vor&#x017F;tellung geben ko&#x0364;nnen, als<lb/>
die i&#x017F;t von einem wirklichen Objekt, und voll&#x017F;ta&#x0364;ndigen<lb/>
Dinge oder von einer Sub&#x017F;tanz, wie Hr. <hi rendition="#fr">Home</hi> meinet,<lb/>
das &#x017F;cheinet an &#x017F;ich nicht unmo&#x0364;glich zu &#x017F;eyn; aber es i&#x017F;t<lb/>
auch gewiß, daß die un&#x017F;rigen die&#x017F;e Be&#x017F;chaffenheit den<lb/>
mit ihnen verbundenen Empfindungen des Gefu&#x0364;hls zum<lb/>
Theil zu verdanken haben. Die gleichzeitigen Empfin-<lb/>
dungen durch beide Sinne vereinigten &#x017F;ich, und die Ein-<lb/>
dru&#x0364;cke des Ge&#x017F;ichts konnten, da &#x017F;ie am kla&#x0364;r&#x017F;ten und leich-<lb/>
te&#x017F;ten zu reproduciren &#x017F;ind, auch am bequem&#x017F;ten, als die<lb/>
hervor&#x017F;techende Merkmale des ganzen Jnbegriffs, das i&#x017F;t,<lb/>
des ganzen Dinges gebrauchet werden, wie es wirklich<lb/>
ge&#x017F;chicht. Der Gedanke, daß die Ge&#x017F;ichtsempfindun-<lb/>
gen weder zu un&#x017F;erm Jch geho&#x0364;ren, noch zu un&#x017F;erm Ko&#x0364;r-<lb/>
per, konnte allein aus ihrer Vergleichung mit andern<lb/>
ent&#x017F;tehen; aber der Gedanke: &#x201E;&#x017F;ie &#x017F;ind <hi rendition="#fr">voll&#x017F;ta&#x0364;ndige<lb/>
Dinge,</hi> in eben dem Sinn, wie un&#x017F;er Jch ein Ding i&#x017F;t.&#x201C;<lb/>
Die&#x017F;er Gedanke i&#x017F;t wahr&#x017F;cheinlich nur ent&#x017F;tanden, weil<lb/>
&#x017F;ie die we&#x017F;entlichen Merkmale von einer ganzen Vor&#x017F;tel-<lb/>
lung &#x017F;ind, die aus dem, was man &#x017F;ahe und was man<lb/>
fu&#x0364;hlte, zu&#x017F;ammen be&#x017F;tehet.</p><lb/>
          <p>Endlich, &#x2014; denn ich eile zum Schluß, &#x2014; &#x017F;etzen<lb/>
wir die Eindru&#x0364;cke auf die Nerven, welche wir zum <hi rendition="#fr">a&#x0364;ußer-<lb/>
lichen</hi> ko&#x0364;rperlichen <hi rendition="#fr">Gefu&#x0364;hl</hi> hinrechnen, allemal in das<lb/>
Organ hin, &#x017F;obald die Bewegungen &#x017F;o heftig &#x017F;ind, daß<lb/>
&#x017F;ie das Organ lebhaft er&#x017F;chu&#x0364;ttern, hingegen außer uns,<lb/>
wenn wir nur &#x017F;anft beru&#x0364;hret werden, und die Empfin-<lb/>
dung deutlich i&#x017F;t. Der Schmerz, der Kizel, Fro&#x017F;t und<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">D d 3</fw><fw place="bottom" type="catch">Hitze</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[421/0481] Kenntn. v. d. objektiv. Exiſtenz d. Dinge. die vereiniget ein vollſtaͤndiges Ding vorſtellen koͤnnen. Daher erſcheinet jedwede Geſichtsempfindung entweder ſelbſt als eine voͤllige Subſtanz, die außer uns und un- ſerm Koͤrper iſt, das heißt, die von beiden reell ver- ſchieden iſt; oder als eine Beſchaffenheit von einer ſol- chen. Ob die Geſichtsempfindungen einer Sache allein genommen, eine ſolche Vorſtellung geben koͤnnen, als die iſt von einem wirklichen Objekt, und vollſtaͤndigen Dinge oder von einer Subſtanz, wie Hr. Home meinet, das ſcheinet an ſich nicht unmoͤglich zu ſeyn; aber es iſt auch gewiß, daß die unſrigen dieſe Beſchaffenheit den mit ihnen verbundenen Empfindungen des Gefuͤhls zum Theil zu verdanken haben. Die gleichzeitigen Empfin- dungen durch beide Sinne vereinigten ſich, und die Ein- druͤcke des Geſichts konnten, da ſie am klaͤrſten und leich- teſten zu reproduciren ſind, auch am bequemſten, als die hervorſtechende Merkmale des ganzen Jnbegriffs, das iſt, des ganzen Dinges gebrauchet werden, wie es wirklich geſchicht. Der Gedanke, daß die Geſichtsempfindun- gen weder zu unſerm Jch gehoͤren, noch zu unſerm Koͤr- per, konnte allein aus ihrer Vergleichung mit andern entſtehen; aber der Gedanke: „ſie ſind vollſtaͤndige Dinge, in eben dem Sinn, wie unſer Jch ein Ding iſt.“ Dieſer Gedanke iſt wahrſcheinlich nur entſtanden, weil ſie die weſentlichen Merkmale von einer ganzen Vorſtel- lung ſind, die aus dem, was man ſahe und was man fuͤhlte, zuſammen beſtehet. Endlich, — denn ich eile zum Schluß, — ſetzen wir die Eindruͤcke auf die Nerven, welche wir zum aͤußer- lichen koͤrperlichen Gefuͤhl hinrechnen, allemal in das Organ hin, ſobald die Bewegungen ſo heftig ſind, daß ſie das Organ lebhaft erſchuͤttern, hingegen außer uns, wenn wir nur ſanft beruͤhret werden, und die Empfin- dung deutlich iſt. Der Schmerz, der Kizel, Froſt und Hitze D d 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/481
Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 421. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/481>, abgerufen am 22.12.2024.