Hier ist also kein Raisonnement, noch eine Jdeen- Association. Nur eine Abstraktion von der sichtlichen Größe ist vorhanden, welche Vergleichungen erfodert haben mag, ehe sie zu Stande gekommen ist. Aber in der gegenwärtigen Jmpression ist etwas, was mit die- sem Gemeinbilde einerley ist, und mit ihm, ohne daß eine Vergleichung angestellet oder raisonniret wird, nach dem Gesetz der Association zusammenfällt, wie in jedwe- der andern Beobachtung, die man in Worten angiebet. Es ist ein unmittelbares Empfindungsurtheil da.
Wenn die gegenwärtige Jmpression das Bild aus einer andern vorhergehenden erweckte, in der das Objekt unter einem größern Winkel gesehen ward, und dann der Schein aus dieser letztern, mit der Jmpression unter dem kleinerm Winkel vereiniget würde, so wäre es ein falscher Ausspruch, daß wir den Thurm so groß sehen, und es wäre nur ein mittelbares Urtheil, wenn wir uns ihn so groß vorstellten, als wir wirklich thun. Man bildete sich ihn wirklich nur so ein, obgleich diese Einbil- dung wohl eine richtige Vorstellung seyn könnte. Aber so ist es nicht. Die Jdee von der sichtlichen Größe aus einer vorhergegangenen Empfindung ist jetzo gar nicht vorhanden, da man sie nur lebhaft reproduciren darf, um es deutlich gewahr zu werden, daß sie das nicht ist, was die gegenwärtige Jmpression zu seyn scheinet. Die gegenwärtige Jdee von der sichtlichen Größe hat also ih- re nähern Bestimmungen und Eigenheiten, auf die man aber selten Acht hat.
Will man sagen, die Abstraktion von der sichtlichen Größe habe mit der Jmpression bey einer größern Ent- fernung und einem kleinern Winkel nicht associiret wer- den können, als nur vermittelst gewisser anderer Mittel- ideen; aber sie sey unmittelbar aus der Jmpression mit einem größern Bilde auf der Netzhaut gezogen worden, so läßt sich aus der Natur unserer Gemeinbilder darauf
leicht
VI. Verſuch. Ueber den Unterſchied
Hier iſt alſo kein Raiſonnement, noch eine Jdeen- Aſſociation. Nur eine Abſtraktion von der ſichtlichen Groͤße iſt vorhanden, welche Vergleichungen erfodert haben mag, ehe ſie zu Stande gekommen iſt. Aber in der gegenwaͤrtigen Jmpreſſion iſt etwas, was mit die- ſem Gemeinbilde einerley iſt, und mit ihm, ohne daß eine Vergleichung angeſtellet oder raiſonniret wird, nach dem Geſetz der Aſſociation zuſammenfaͤllt, wie in jedwe- der andern Beobachtung, die man in Worten angiebet. Es iſt ein unmittelbares Empfindungsurtheil da.
Wenn die gegenwaͤrtige Jmpreſſion das Bild aus einer andern vorhergehenden erweckte, in der das Objekt unter einem groͤßern Winkel geſehen ward, und dann der Schein aus dieſer letztern, mit der Jmpreſſion unter dem kleinerm Winkel vereiniget wuͤrde, ſo waͤre es ein falſcher Ausſpruch, daß wir den Thurm ſo groß ſehen, und es waͤre nur ein mittelbares Urtheil, wenn wir uns ihn ſo groß vorſtellten, als wir wirklich thun. Man bildete ſich ihn wirklich nur ſo ein, obgleich dieſe Einbil- dung wohl eine richtige Vorſtellung ſeyn koͤnnte. Aber ſo iſt es nicht. Die Jdee von der ſichtlichen Groͤße aus einer vorhergegangenen Empfindung iſt jetzo gar nicht vorhanden, da man ſie nur lebhaft reproduciren darf, um es deutlich gewahr zu werden, daß ſie das nicht iſt, was die gegenwaͤrtige Jmpreſſion zu ſeyn ſcheinet. Die gegenwaͤrtige Jdee von der ſichtlichen Groͤße hat alſo ih- re naͤhern Beſtimmungen und Eigenheiten, auf die man aber ſelten Acht hat.
Will man ſagen, die Abſtraktion von der ſichtlichen Groͤße habe mit der Jmpreſſion bey einer groͤßern Ent- fernung und einem kleinern Winkel nicht aſſociiret wer- den koͤnnen, als nur vermittelſt gewiſſer anderer Mittel- ideen; aber ſie ſey unmittelbar aus der Jmpreſſion mit einem groͤßern Bilde auf der Netzhaut gezogen worden, ſo laͤßt ſich aus der Natur unſerer Gemeinbilder darauf
leicht
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VI. Verſuch. Ueber den Unterſchied
Hier iſt alſo kein Raiſonnement, noch eine Jdeen-
Aſſociation. Nur eine Abſtraktion von der ſichtlichen
Groͤße iſt vorhanden, welche Vergleichungen erfodert
haben mag, ehe ſie zu Stande gekommen iſt. Aber in
der gegenwaͤrtigen Jmpreſſion iſt etwas, was mit die-
ſem Gemeinbilde einerley iſt, und mit ihm, ohne daß
eine Vergleichung angeſtellet oder raiſonniret wird, nach
dem Geſetz der Aſſociation zuſammenfaͤllt, wie in jedwe-
der andern Beobachtung, die man in Worten angiebet.
Es iſt ein unmittelbares Empfindungsurtheil da.
Wenn die gegenwaͤrtige Jmpreſſion das Bild aus
einer andern vorhergehenden erweckte, in der das Objekt
unter einem groͤßern Winkel geſehen ward, und dann
der Schein aus dieſer letztern, mit der Jmpreſſion unter
dem kleinerm Winkel vereiniget wuͤrde, ſo waͤre es ein
falſcher Ausſpruch, daß wir den Thurm ſo groß ſehen,
und es waͤre nur ein mittelbares Urtheil, wenn wir uns
ihn ſo groß vorſtellten, als wir wirklich thun. Man
bildete ſich ihn wirklich nur ſo ein, obgleich dieſe Einbil-
dung wohl eine richtige Vorſtellung ſeyn koͤnnte. Aber
ſo iſt es nicht. Die Jdee von der ſichtlichen Groͤße aus
einer vorhergegangenen Empfindung iſt jetzo gar nicht
vorhanden, da man ſie nur lebhaft reproduciren darf,
um es deutlich gewahr zu werden, daß ſie das nicht iſt,
was die gegenwaͤrtige Jmpreſſion zu ſeyn ſcheinet. Die
gegenwaͤrtige Jdee von der ſichtlichen Groͤße hat alſo ih-
re naͤhern Beſtimmungen und Eigenheiten, auf die man
aber ſelten Acht hat.
Will man ſagen, die Abſtraktion von der ſichtlichen
Groͤße habe mit der Jmpreſſion bey einer groͤßern Ent-
fernung und einem kleinern Winkel nicht aſſociiret wer-
den koͤnnen, als nur vermittelſt gewiſſer anderer Mittel-
ideen; aber ſie ſey unmittelbar aus der Jmpreſſion mit
einem groͤßern Bilde auf der Netzhaut gezogen worden,
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 448. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/508>, abgerufen am 22.12.2024.
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