Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777.

Bild:
<< vorherige Seite

VI. Versuch. Ueber den Unterschied
keiten hervorgebracht sind. Der Unterschied zwischen den
allgemeinen Urtheilen und zwischen den einzelnen Sätzen
ist dieser; in jenen sind es allgemeine Vorstellungen,
womit die Denkkraft zu thun hat; in dem letztern sind
es Jdeen von einzelnen Dingen, die sie bearbeitet.

Man kann nicht einwenden, daß doch die Gemein-
begriffe,
die in den Gemeingrundsätzen vorkom-
men, Abstrakta aus einzelnen Empfindungen, und aus
der Aehnlichkeit der Empfindungen genommen sind, und
daß folglich auch die Verhältnißgedanken dieser Begriffe
von der Uebereinstimmung der Empfindungen abhangen.
Die Antwort hierauf ist nicht schwer.

Es ist nur Eine Klasse von Gemeinbegriffen,
die man für Abstrakta von Empfindungen ansehen
kann. Der größte Theil derselben ist nur dem Stoff
nach, aus den Empfindungen, sonsten aber ein Werk
der selbstbildenden Dichtkraft; und auch bey solchen,
die eigentlich abstrahirte Begriffe sind, und wirkliche
Aehnlichkeiten wirklicher Dinge enthalten, hat es doch
keiner vollständigen Vergleichung aller Arten von Din-
gen bedorft, um sie zu erlangen. Aus sehr wenigen
Beyspielen, kann eine Abstraktion gezogen werden, wie
es bekannt ist.

Ferner bedarf es nur einer mäßigen Beobachtung
auf sich selbst, um gewahr zu werden, daß alsdenn, wenn
wir die nothwendigen Beziehungen und Verhältnisse der
Gemeinbegriffe denken, diese auf dieselbige Art in uns
gegenwärtig sind, wie die Jdeen von einzelnen Dingen
bey den sinnlichen Urtheilen. Jene sind selbst die Ge-
genstände unserer urtheilenden Thätigkeit. Wir finden
die Verhältnisse und Beziehungen in ihnen, ohne Rück-
sicht darauf, ob sie Jdeen wirklicher Dinge sind, oder
nicht? und ob sie durch die Abstraktion, oder durch einen
andern Weg uns zugekommen sind? Die Richtigkeit der
Gemeinsätze beruhet also auf die allgemeinen Begriffe

und

VI. Verſuch. Ueber den Unterſchied
keiten hervorgebracht ſind. Der Unterſchied zwiſchen den
allgemeinen Urtheilen und zwiſchen den einzelnen Saͤtzen
iſt dieſer; in jenen ſind es allgemeine Vorſtellungen,
womit die Denkkraft zu thun hat; in dem letztern ſind
es Jdeen von einzelnen Dingen, die ſie bearbeitet.

Man kann nicht einwenden, daß doch die Gemein-
begriffe,
die in den Gemeingrundſaͤtzen vorkom-
men, Abſtrakta aus einzelnen Empfindungen, und aus
der Aehnlichkeit der Empfindungen genommen ſind, und
daß folglich auch die Verhaͤltnißgedanken dieſer Begriffe
von der Uebereinſtimmung der Empfindungen abhangen.
Die Antwort hierauf iſt nicht ſchwer.

Es iſt nur Eine Klaſſe von Gemeinbegriffen,
die man fuͤr Abſtrakta von Empfindungen anſehen
kann. Der groͤßte Theil derſelben iſt nur dem Stoff
nach, aus den Empfindungen, ſonſten aber ein Werk
der ſelbſtbildenden Dichtkraft; und auch bey ſolchen,
die eigentlich abſtrahirte Begriffe ſind, und wirkliche
Aehnlichkeiten wirklicher Dinge enthalten, hat es doch
keiner vollſtaͤndigen Vergleichung aller Arten von Din-
gen bedorft, um ſie zu erlangen. Aus ſehr wenigen
Beyſpielen, kann eine Abſtraktion gezogen werden, wie
es bekannt iſt.

Ferner bedarf es nur einer maͤßigen Beobachtung
auf ſich ſelbſt, um gewahr zu werden, daß alsdenn, wenn
wir die nothwendigen Beziehungen und Verhaͤltniſſe der
Gemeinbegriffe denken, dieſe auf dieſelbige Art in uns
gegenwaͤrtig ſind, wie die Jdeen von einzelnen Dingen
bey den ſinnlichen Urtheilen. Jene ſind ſelbſt die Ge-
genſtaͤnde unſerer urtheilenden Thaͤtigkeit. Wir finden
die Verhaͤltniſſe und Beziehungen in ihnen, ohne Ruͤck-
ſicht darauf, ob ſie Jdeen wirklicher Dinge ſind, oder
nicht? und ob ſie durch die Abſtraktion, oder durch einen
andern Weg uns zugekommen ſind? Die Richtigkeit der
Gemeinſaͤtze beruhet alſo auf die allgemeinen Begriffe

und
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0528" n="468"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">VI.</hi> Ver&#x017F;uch. Ueber den Unter&#x017F;chied</hi></fw><lb/>
keiten hervorgebracht &#x017F;ind. Der Unter&#x017F;chied zwi&#x017F;chen den<lb/>
allgemeinen Urtheilen und zwi&#x017F;chen den einzelnen Sa&#x0364;tzen<lb/>
i&#x017F;t die&#x017F;er; in jenen &#x017F;ind es <hi rendition="#fr">allgemeine</hi> Vor&#x017F;tellungen,<lb/>
womit die Denkkraft zu thun hat; in dem letztern &#x017F;ind<lb/>
es Jdeen von <hi rendition="#fr">einzelnen</hi> Dingen, die &#x017F;ie bearbeitet.</p><lb/>
            <p>Man kann nicht einwenden, daß doch die <hi rendition="#fr">Gemein-<lb/>
begriffe,</hi> die in den <hi rendition="#fr">Gemeingrund&#x017F;a&#x0364;tzen</hi> vorkom-<lb/>
men, Ab&#x017F;trakta aus einzelnen Empfindungen, und aus<lb/>
der Aehnlichkeit der Empfindungen genommen &#x017F;ind, und<lb/>
daß folglich auch die Verha&#x0364;ltnißgedanken die&#x017F;er Begriffe<lb/>
von der Ueberein&#x017F;timmung der Empfindungen abhangen.<lb/>
Die Antwort hierauf i&#x017F;t nicht &#x017F;chwer.</p><lb/>
            <p>Es i&#x017F;t nur <hi rendition="#fr">Eine Kla&#x017F;&#x017F;e</hi> von <hi rendition="#fr">Gemeinbegriffen,</hi><lb/>
die man fu&#x0364;r <hi rendition="#fr">Ab&#x017F;trakta</hi> von Empfindungen an&#x017F;ehen<lb/>
kann. Der gro&#x0364;ßte Theil der&#x017F;elben i&#x017F;t nur dem Stoff<lb/>
nach, aus den Empfindungen, &#x017F;on&#x017F;ten aber ein Werk<lb/>
der &#x017F;elb&#x017F;tbildenden Dichtkraft; und auch bey &#x017F;olchen,<lb/>
die eigentlich ab&#x017F;trahirte Begriffe &#x017F;ind, und wirkliche<lb/>
Aehnlichkeiten wirklicher Dinge enthalten, hat es doch<lb/>
keiner voll&#x017F;ta&#x0364;ndigen Vergleichung aller Arten von Din-<lb/>
gen bedorft, um &#x017F;ie zu erlangen. Aus &#x017F;ehr wenigen<lb/>
Bey&#x017F;pielen, kann eine Ab&#x017F;traktion gezogen werden, wie<lb/>
es bekannt i&#x017F;t.</p><lb/>
            <p>Ferner bedarf es nur einer ma&#x0364;ßigen Beobachtung<lb/>
auf &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t, um gewahr zu werden, daß alsdenn, wenn<lb/>
wir die nothwendigen Beziehungen und Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e der<lb/>
Gemeinbegriffe denken, die&#x017F;e auf die&#x017F;elbige Art in uns<lb/>
gegenwa&#x0364;rtig &#x017F;ind, wie die Jdeen von einzelnen Dingen<lb/>
bey den &#x017F;innlichen Urtheilen. Jene &#x017F;ind &#x017F;elb&#x017F;t die Ge-<lb/>
gen&#x017F;ta&#x0364;nde un&#x017F;erer urtheilenden Tha&#x0364;tigkeit. Wir finden<lb/>
die Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e und Beziehungen in ihnen, ohne Ru&#x0364;ck-<lb/>
&#x017F;icht darauf, ob &#x017F;ie Jdeen wirklicher Dinge &#x017F;ind, oder<lb/>
nicht? und ob &#x017F;ie durch die Ab&#x017F;traktion, oder durch einen<lb/>
andern Weg uns zugekommen &#x017F;ind? Die Richtigkeit der<lb/>
Gemein&#x017F;a&#x0364;tze beruhet al&#x017F;o auf die allgemeinen Begriffe<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">und</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[468/0528] VI. Verſuch. Ueber den Unterſchied keiten hervorgebracht ſind. Der Unterſchied zwiſchen den allgemeinen Urtheilen und zwiſchen den einzelnen Saͤtzen iſt dieſer; in jenen ſind es allgemeine Vorſtellungen, womit die Denkkraft zu thun hat; in dem letztern ſind es Jdeen von einzelnen Dingen, die ſie bearbeitet. Man kann nicht einwenden, daß doch die Gemein- begriffe, die in den Gemeingrundſaͤtzen vorkom- men, Abſtrakta aus einzelnen Empfindungen, und aus der Aehnlichkeit der Empfindungen genommen ſind, und daß folglich auch die Verhaͤltnißgedanken dieſer Begriffe von der Uebereinſtimmung der Empfindungen abhangen. Die Antwort hierauf iſt nicht ſchwer. Es iſt nur Eine Klaſſe von Gemeinbegriffen, die man fuͤr Abſtrakta von Empfindungen anſehen kann. Der groͤßte Theil derſelben iſt nur dem Stoff nach, aus den Empfindungen, ſonſten aber ein Werk der ſelbſtbildenden Dichtkraft; und auch bey ſolchen, die eigentlich abſtrahirte Begriffe ſind, und wirkliche Aehnlichkeiten wirklicher Dinge enthalten, hat es doch keiner vollſtaͤndigen Vergleichung aller Arten von Din- gen bedorft, um ſie zu erlangen. Aus ſehr wenigen Beyſpielen, kann eine Abſtraktion gezogen werden, wie es bekannt iſt. Ferner bedarf es nur einer maͤßigen Beobachtung auf ſich ſelbſt, um gewahr zu werden, daß alsdenn, wenn wir die nothwendigen Beziehungen und Verhaͤltniſſe der Gemeinbegriffe denken, dieſe auf dieſelbige Art in uns gegenwaͤrtig ſind, wie die Jdeen von einzelnen Dingen bey den ſinnlichen Urtheilen. Jene ſind ſelbſt die Ge- genſtaͤnde unſerer urtheilenden Thaͤtigkeit. Wir finden die Verhaͤltniſſe und Beziehungen in ihnen, ohne Ruͤck- ſicht darauf, ob ſie Jdeen wirklicher Dinge ſind, oder nicht? und ob ſie durch die Abſtraktion, oder durch einen andern Weg uns zugekommen ſind? Die Richtigkeit der Gemeinſaͤtze beruhet alſo auf die allgemeinen Begriffe und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/528
Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 468. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/528>, abgerufen am 22.12.2024.