denes Ding ist ein abhangendes Ding," ein nothwen- diger Satz ist, in so ferne wir in unserm Begriff vom Entstehen den Begriff von Abhängigkeit einschließen, so sey doch die Verbindung dieser beiden Merkmale zu Einem Begriff nirgends anders, als aus ihrem Bey- sammenseyn in den Empfindungen her, in wel- chem ihre Vereinigung in der Phantasie seinen Grund habe.
Dieser angegebene Grund scheint mir nicht hinrei- chend zu seyn, diese Nothwendigkeit zu erklären. Ver- gleichet man die Menge der Fälle, in denen wir nichts mehr als entstehende Wirkungen, ohne ihre Ursache, empfinden, mit den entgegengesetzten, wo beides zusam- men ist; so sehe ich nicht, warum nicht eben so wohl der Hang, Etwas ohne Ursache zu gedenken, sich in uns festsetzen könnte, als der entgegengesetzte, den wir ha- ben. Ueberdieß haben auch die aus Gewohnheit entstan- dene und allein auf eine Koexistenz in den Empfindungen beruhende Denkarten einen Charakter an sich, wovon ich nachher sagen will, der noch einen nähern Grund an die Hand giebt, diese, von welcher hier die Rede ist, aus ihrer Klasse auszuschließen.
Mich deucht, die Ursache von der Verbindung der Abhängigkeit mit dem Begrif des Entstehens, lie- ge tiefer in der Natur unserer Denkkraft. Es ist ein Gesetz des Beyfalls -- wie es von einigen genennet worden -- "wenn die Reflexion bey der Betrachtung "und Vergleichung zweyer Jdeen nichts in ihnen antrift, "warum sie bejahend oder verneinend über sie urtheilen "sollte; so entstehet gar kein Urtheil, oder kein Verhält- "nißgedanke, ohne daß ein anderer Grund hinzu komme, "und die Reflexion bestimme." Wo beide kontradikto- risch entgegenstehende Fälle vorliegen, da entscheidet die Denkkraft nicht und kann nicht entscheiden, ohne einen hinzukommenden Grund, der nun in Hinsicht der ver-
glichenen
VII. Verſuch. Von der Nothwendigkeit
denes Ding iſt ein abhangendes Ding,‟ ein nothwen- diger Satz iſt, in ſo ferne wir in unſerm Begriff vom Entſtehen den Begriff von Abhaͤngigkeit einſchließen, ſo ſey doch die Verbindung dieſer beiden Merkmale zu Einem Begriff nirgends anders, als aus ihrem Bey- ſammenſeyn in den Empfindungen her, in wel- chem ihre Vereinigung in der Phantaſie ſeinen Grund habe.
Dieſer angegebene Grund ſcheint mir nicht hinrei- chend zu ſeyn, dieſe Nothwendigkeit zu erklaͤren. Ver- gleichet man die Menge der Faͤlle, in denen wir nichts mehr als entſtehende Wirkungen, ohne ihre Urſache, empfinden, mit den entgegengeſetzten, wo beides zuſam- men iſt; ſo ſehe ich nicht, warum nicht eben ſo wohl der Hang, Etwas ohne Urſache zu gedenken, ſich in uns feſtſetzen koͤnnte, als der entgegengeſetzte, den wir ha- ben. Ueberdieß haben auch die aus Gewohnheit entſtan- dene und allein auf eine Koexiſtenz in den Empfindungen beruhende Denkarten einen Charakter an ſich, wovon ich nachher ſagen will, der noch einen naͤhern Grund an die Hand giebt, dieſe, von welcher hier die Rede iſt, aus ihrer Klaſſe auszuſchließen.
Mich deucht, die Urſache von der Verbindung der Abhaͤngigkeit mit dem Begrif des Entſtehens, lie- ge tiefer in der Natur unſerer Denkkraft. Es iſt ein Geſetz des Beyfalls — wie es von einigen genennet worden — „wenn die Reflexion bey der Betrachtung „und Vergleichung zweyer Jdeen nichts in ihnen antrift, „warum ſie bejahend oder verneinend uͤber ſie urtheilen „ſollte; ſo entſtehet gar kein Urtheil, oder kein Verhaͤlt- „nißgedanke, ohne daß ein anderer Grund hinzu komme, „und die Reflexion beſtimme.‟ Wo beide kontradikto- riſch entgegenſtehende Faͤlle vorliegen, da entſcheidet die Denkkraft nicht und kann nicht entſcheiden, ohne einen hinzukommenden Grund, der nun in Hinſicht der ver-
glichenen
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VII. Verſuch. Von der Nothwendigkeit
denes Ding iſt ein abhangendes Ding,‟ ein nothwen-
diger Satz iſt, in ſo ferne wir in unſerm Begriff vom
Entſtehen den Begriff von Abhaͤngigkeit einſchließen,
ſo ſey doch die Verbindung dieſer beiden Merkmale zu
Einem Begriff nirgends anders, als aus ihrem Bey-
ſammenſeyn in den Empfindungen her, in wel-
chem ihre Vereinigung in der Phantaſie ſeinen Grund
habe.
Dieſer angegebene Grund ſcheint mir nicht hinrei-
chend zu ſeyn, dieſe Nothwendigkeit zu erklaͤren. Ver-
gleichet man die Menge der Faͤlle, in denen wir nichts
mehr als entſtehende Wirkungen, ohne ihre Urſache,
empfinden, mit den entgegengeſetzten, wo beides zuſam-
men iſt; ſo ſehe ich nicht, warum nicht eben ſo wohl der
Hang, Etwas ohne Urſache zu gedenken, ſich in uns
feſtſetzen koͤnnte, als der entgegengeſetzte, den wir ha-
ben. Ueberdieß haben auch die aus Gewohnheit entſtan-
dene und allein auf eine Koexiſtenz in den Empfindungen
beruhende Denkarten einen Charakter an ſich, wovon ich
nachher ſagen will, der noch einen naͤhern Grund an die
Hand giebt, dieſe, von welcher hier die Rede iſt, aus
ihrer Klaſſe auszuſchließen.
Mich deucht, die Urſache von der Verbindung der
Abhaͤngigkeit mit dem Begrif des Entſtehens, lie-
ge tiefer in der Natur unſerer Denkkraft. Es iſt ein
Geſetz des Beyfalls — wie es von einigen genennet
worden — „wenn die Reflexion bey der Betrachtung
„und Vergleichung zweyer Jdeen nichts in ihnen antrift,
„warum ſie bejahend oder verneinend uͤber ſie urtheilen
„ſollte; ſo entſtehet gar kein Urtheil, oder kein Verhaͤlt-
„nißgedanke, ohne daß ein anderer Grund hinzu komme,
„und die Reflexion beſtimme.‟ Wo beide kontradikto-
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 504. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/564>, abgerufen am 22.12.2024.
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