Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777.VII. Versuch. Von der Nothwendigkeit "an sich unterschieden, sondern daß sie auch von ein-"ander trennbar sind, und daß kein anders noth- "wendiges Denkgesetz da sey, nach welchem der Ver- "stand von der Einen zur andern übergehe, und ihre "Beziehung denke, als nur das Gesetz der Association "in der Einbildungskraft." Sobald aber dieses Merk- mal entdeckt ist, so entsteht das Urtheil in dem Verstan- de; und dieß ist wiederum ein nothwendiges Urtheil: "daß die beurtheilte Verbindung zufällig sey." Es offenbaret sich alsdenn der Charakter ihrer Zufällig- keit. So verhält es sich in dem Satz: "Die Körper sind schwer." Dem gemeinen Verstande mag dieser eben so nothwendig wahr vorkommen, als daß zweymal zwey viere machen; aber sobald man ihn deutlich aus- einander setzet, und die Jdee von der Schwere, von der Jdee vom Körper absondert, so hat man zwey unterschie- dene Jdeen vor sich, und nimmt keine andere innere Be- ziehung zwischen ihnen gewahr, als nur diese, daß sie mit einander in unserer Vorstellungskraft verbunden sind. Es ist alsdenn auch keine Nothwendigkeit im Verstande mehr da, jedem Körper die Schwere beyzulegen, keine andere nemlich, als die darinn ihren Grund hat, weil die Jdee von Schwere und Druck nach unten, der Vor- stellung von einem Körper gleichsam auswärts anhänget. Mag auch der Gedanke, daß die Schwere nur zufällig mit der Materie und dem Körper verbunden ist, falsch seyn, wie einige Newtonianer behauptet haben; so ist doch das allgemeine Princip unumstöslich: "daß eine "jede Beschaffenheit, die einer Sache zukommt, nur "eine zufällige Beschaffenheit von ihr sey, wenn die Jdee "von der Beschaffenheit auf die Jdee von der Sache "selbst keine andere innere Beziehung hat, als die bloße "Verbindung mit ihr, aus den Empfindungen her." Wir urtheilen über diese Zufälligkeit nach unsern Jdeen, und setzen voraus, daß die Jdeen den Objekten gemäß sind.
VII. Verſuch. Von der Nothwendigkeit „an ſich unterſchieden, ſondern daß ſie auch von ein-„ander trennbar ſind, und daß kein anders noth- „wendiges Denkgeſetz da ſey, nach welchem der Ver- „ſtand von der Einen zur andern uͤbergehe, und ihre „Beziehung denke, als nur das Geſetz der Aſſociation „in der Einbildungskraft.‟ Sobald aber dieſes Merk- mal entdeckt iſt, ſo entſteht das Urtheil in dem Verſtan- de; und dieß iſt wiederum ein nothwendiges Urtheil: „daß die beurtheilte Verbindung zufaͤllig ſey.‟ Es offenbaret ſich alsdenn der Charakter ihrer Zufaͤllig- keit. So verhaͤlt es ſich in dem Satz: „Die Koͤrper ſind ſchwer.‟ Dem gemeinen Verſtande mag dieſer eben ſo nothwendig wahr vorkommen, als daß zweymal zwey viere machen; aber ſobald man ihn deutlich aus- einander ſetzet, und die Jdee von der Schwere, von der Jdee vom Koͤrper abſondert, ſo hat man zwey unterſchie- dene Jdeen vor ſich, und nimmt keine andere innere Be- ziehung zwiſchen ihnen gewahr, als nur dieſe, daß ſie mit einander in unſerer Vorſtellungskraft verbunden ſind. Es iſt alsdenn auch keine Nothwendigkeit im Verſtande mehr da, jedem Koͤrper die Schwere beyzulegen, keine andere nemlich, als die darinn ihren Grund hat, weil die Jdee von Schwere und Druck nach unten, der Vor- ſtellung von einem Koͤrper gleichſam auswaͤrts anhaͤnget. Mag auch der Gedanke, daß die Schwere nur zufaͤllig mit der Materie und dem Koͤrper verbunden iſt, falſch ſeyn, wie einige Newtonianer behauptet haben; ſo iſt doch das allgemeine Princip unumſtoͤslich: „daß eine „jede Beſchaffenheit, die einer Sache zukommt, nur „eine zufaͤllige Beſchaffenheit von ihr ſey, wenn die Jdee „von der Beſchaffenheit auf die Jdee von der Sache „ſelbſt keine andere innere Beziehung hat, als die bloße „Verbindung mit ihr, aus den Empfindungen her.‟ Wir urtheilen uͤber dieſe Zufaͤlligkeit nach unſern Jdeen, und ſetzen voraus, daß die Jdeen den Objekten gemaͤß ſind.
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VII. Verſuch. Von der Nothwendigkeit
„an ſich unterſchieden, ſondern daß ſie auch von ein-
„ander trennbar ſind, und daß kein anders noth-
„wendiges Denkgeſetz da ſey, nach welchem der Ver-
„ſtand von der Einen zur andern uͤbergehe, und ihre
„Beziehung denke, als nur das Geſetz der Aſſociation
„in der Einbildungskraft.‟ Sobald aber dieſes Merk-
mal entdeckt iſt, ſo entſteht das Urtheil in dem Verſtan-
de; und dieß iſt wiederum ein nothwendiges Urtheil:
„daß die beurtheilte Verbindung zufaͤllig ſey.‟ Es
offenbaret ſich alsdenn der Charakter ihrer Zufaͤllig-
keit. So verhaͤlt es ſich in dem Satz: „Die Koͤrper
ſind ſchwer.‟ Dem gemeinen Verſtande mag dieſer
eben ſo nothwendig wahr vorkommen, als daß zweymal
zwey viere machen; aber ſobald man ihn deutlich aus-
einander ſetzet, und die Jdee von der Schwere, von der
Jdee vom Koͤrper abſondert, ſo hat man zwey unterſchie-
dene Jdeen vor ſich, und nimmt keine andere innere Be-
ziehung zwiſchen ihnen gewahr, als nur dieſe, daß ſie mit
einander in unſerer Vorſtellungskraft verbunden ſind.
Es iſt alsdenn auch keine Nothwendigkeit im Verſtande
mehr da, jedem Koͤrper die Schwere beyzulegen, keine
andere nemlich, als die darinn ihren Grund hat, weil
die Jdee von Schwere und Druck nach unten, der Vor-
ſtellung von einem Koͤrper gleichſam auswaͤrts anhaͤnget.
Mag auch der Gedanke, daß die Schwere nur zufaͤllig
mit der Materie und dem Koͤrper verbunden iſt, falſch
ſeyn, wie einige Newtonianer behauptet haben; ſo iſt
doch das allgemeine Princip unumſtoͤslich: „daß eine
„jede Beſchaffenheit, die einer Sache zukommt, nur
„eine zufaͤllige Beſchaffenheit von ihr ſey, wenn die Jdee
„von der Beſchaffenheit auf die Jdee von der Sache
„ſelbſt keine andere innere Beziehung hat, als die bloße
„Verbindung mit ihr, aus den Empfindungen her.‟
Wir urtheilen uͤber dieſe Zufaͤlligkeit nach unſern Jdeen,
und ſetzen voraus, daß die Jdeen den Objekten gemaͤß
ſind.
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