Vorausgesetzt also, daß man die Vorstellungen von Sachen und Substanzen, von denen unterscheide, die nur Vorstellungen von Beschaffenheiten, oder von den Objekten von gewissen Seiten betrachtet, sind; und daß man nun die in den Jdeen gewahrgenommene Verhältnisse nicht weiter ausdehne, als es die Natur dieser Jdeen erlaube; so kann man nun folgenden Satz als den allgemeinen Grundsatz von der Zuverläs- sigkeit der sinnlichen Erkenntniß ansehen.
Dritter Satz. "Wenn wir von mehreren Objek- "ten Jmpressionen haben; wenn wir auf dieselbige Art "modificiret alle diese Jmpressionen empfangen haben, "und wenn die übrigen Erfodernisse bey ihnen allen die- "selbigen gewesen sind, so sind auch die Verhältnisse, die "wir alsdenn in unsern Vorstellungen gewahrwerden, die- "selbigen, welche in den Jmpressionen anderer vorstel- "lenden Wesen vorhanden sind, unter der Bedingung, "daß auch diese letztere Wesen auf einerley Art modifi- "cirt, und unter gleichen Umständen alle ihre Jmpres- "sionen empfangen haben."
Dieß ist ein Grundsatz der Vernunft, der selbst mit zu den nothwendigen und objektivischen Allgemeinsätzen gehört. Laß das Katzenauge anders gebildet seyn als das menschliche, und die Katzenseele andere Eindrücke be- kommen als die unsrige. Aber laß sie ein Viereck und ein Eyform unter gleichen Umständen ansehen, so werden diese Jmpressionen unter sich verschieden seyn müssen, wie es unsere Jmpressionen von diesen Objekten sind.
Die Eindrücke hangen ab von der Ursache, welche wirket, von der Beschaffenheit des leidenden Subjekts, welches sie annimmt, und von den übrigen Umständen. Sind nun zwey Eindrücke verschieden, wo die Umstän- de dieselbigen und auch das Subjekt, welches sie em-
pfängt,
M m 4
der allgem. Vernunftwahrheiten, ⁊c.
6.
Vorausgeſetzt alſo, daß man die Vorſtellungen von Sachen und Subſtanzen, von denen unterſcheide, die nur Vorſtellungen von Beſchaffenheiten, oder von den Objekten von gewiſſen Seiten betrachtet, ſind; und daß man nun die in den Jdeen gewahrgenommene Verhaͤltniſſe nicht weiter ausdehne, als es die Natur dieſer Jdeen erlaube; ſo kann man nun folgenden Satz als den allgemeinen Grundſatz von der Zuverlaͤſ- ſigkeit der ſinnlichen Erkenntniß anſehen.
Dritter Satz. „Wenn wir von mehreren Objek- „ten Jmpreſſionen haben; wenn wir auf dieſelbige Art „modificiret alle dieſe Jmpreſſionen empfangen haben, „und wenn die uͤbrigen Erfoderniſſe bey ihnen allen die- „ſelbigen geweſen ſind, ſo ſind auch die Verhaͤltniſſe, die „wir alsdenn in unſern Vorſtellungen gewahrwerden, die- „ſelbigen, welche in den Jmpreſſionen anderer vorſtel- „lenden Weſen vorhanden ſind, unter der Bedingung, „daß auch dieſe letztere Weſen auf einerley Art modifi- „cirt, und unter gleichen Umſtaͤnden alle ihre Jmpreſ- „ſionen empfangen haben.‟
Dieß iſt ein Grundſatz der Vernunft, der ſelbſt mit zu den nothwendigen und objektiviſchen Allgemeinſaͤtzen gehoͤrt. Laß das Katzenauge anders gebildet ſeyn als das menſchliche, und die Katzenſeele andere Eindruͤcke be- kommen als die unſrige. Aber laß ſie ein Viereck und ein Eyform unter gleichen Umſtaͤnden anſehen, ſo werden dieſe Jmpreſſionen unter ſich verſchieden ſeyn muͤſſen, wie es unſere Jmpreſſionen von dieſen Objekten ſind.
Die Eindruͤcke hangen ab von der Urſache, welche wirket, von der Beſchaffenheit des leidenden Subjekts, welches ſie annimmt, und von den uͤbrigen Umſtaͤnden. Sind nun zwey Eindruͤcke verſchieden, wo die Umſtaͤn- de dieſelbigen und auch das Subjekt, welches ſie em-
pfaͤngt,
M m 4
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0611"n="551"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">der allgem. Vernunftwahrheiten, ⁊c.</hi></fw><lb/><divn="3"><head>6.</head><lb/><p>Vorausgeſetzt alſo, daß man die Vorſtellungen von<lb/><hirendition="#fr">Sachen</hi> und <hirendition="#fr">Subſtanzen,</hi> von denen unterſcheide, die<lb/>
nur <hirendition="#fr">Vorſtellungen von Beſchaffenheiten,</hi> oder<lb/>
von den Objekten von gewiſſen Seiten betrachtet, ſind;<lb/>
und daß man nun die in den Jdeen gewahrgenommene<lb/>
Verhaͤltniſſe nicht weiter ausdehne, als es die Natur<lb/>
dieſer Jdeen erlaube; ſo kann man nun folgenden Satz<lb/>
als den <hirendition="#fr">allgemeinen Grundſatz von der Zuverlaͤſ-<lb/>ſigkeit der ſinnlichen Erkenntniß</hi> anſehen.</p><lb/><p><hirendition="#fr">Dritter Satz.</hi>„Wenn wir von mehreren Objek-<lb/>„ten Jmpreſſionen haben; wenn wir auf dieſelbige Art<lb/>„modificiret alle dieſe Jmpreſſionen empfangen haben,<lb/>„und wenn die uͤbrigen Erfoderniſſe bey ihnen allen die-<lb/>„ſelbigen geweſen ſind, ſo ſind auch die Verhaͤltniſſe, die<lb/>„wir alsdenn in unſern Vorſtellungen gewahrwerden, die-<lb/>„ſelbigen, welche in den Jmpreſſionen anderer vorſtel-<lb/>„lenden Weſen vorhanden ſind, unter der Bedingung,<lb/>„daß auch dieſe letztere Weſen auf einerley Art modifi-<lb/>„cirt, und unter gleichen Umſtaͤnden alle ihre Jmpreſ-<lb/>„ſionen empfangen haben.‟</p><lb/><p>Dieß iſt ein Grundſatz der Vernunft, der ſelbſt mit<lb/>
zu den nothwendigen und objektiviſchen Allgemeinſaͤtzen<lb/>
gehoͤrt. Laß das Katzenauge anders gebildet ſeyn als<lb/>
das menſchliche, und die Katzenſeele andere Eindruͤcke be-<lb/>
kommen als die unſrige. Aber laß ſie ein Viereck und<lb/>
ein Eyform unter <hirendition="#fr">gleichen Umſtaͤnden</hi> anſehen, ſo<lb/>
werden dieſe Jmpreſſionen unter ſich verſchieden ſeyn<lb/>
muͤſſen, wie es unſere Jmpreſſionen von dieſen Objekten<lb/>ſind.</p><lb/><p>Die Eindruͤcke hangen ab von der Urſache, welche<lb/>
wirket, von der Beſchaffenheit des leidenden Subjekts,<lb/>
welches ſie annimmt, und von den uͤbrigen Umſtaͤnden.<lb/>
Sind nun zwey Eindruͤcke verſchieden, wo die Umſtaͤn-<lb/>
de dieſelbigen und auch das Subjekt, welches ſie em-<lb/><fwplace="bottom"type="sig">M m 4</fw><fwplace="bottom"type="catch">pfaͤngt,</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[551/0611]
der allgem. Vernunftwahrheiten, ⁊c.
6.
Vorausgeſetzt alſo, daß man die Vorſtellungen von
Sachen und Subſtanzen, von denen unterſcheide, die
nur Vorſtellungen von Beſchaffenheiten, oder
von den Objekten von gewiſſen Seiten betrachtet, ſind;
und daß man nun die in den Jdeen gewahrgenommene
Verhaͤltniſſe nicht weiter ausdehne, als es die Natur
dieſer Jdeen erlaube; ſo kann man nun folgenden Satz
als den allgemeinen Grundſatz von der Zuverlaͤſ-
ſigkeit der ſinnlichen Erkenntniß anſehen.
Dritter Satz. „Wenn wir von mehreren Objek-
„ten Jmpreſſionen haben; wenn wir auf dieſelbige Art
„modificiret alle dieſe Jmpreſſionen empfangen haben,
„und wenn die uͤbrigen Erfoderniſſe bey ihnen allen die-
„ſelbigen geweſen ſind, ſo ſind auch die Verhaͤltniſſe, die
„wir alsdenn in unſern Vorſtellungen gewahrwerden, die-
„ſelbigen, welche in den Jmpreſſionen anderer vorſtel-
„lenden Weſen vorhanden ſind, unter der Bedingung,
„daß auch dieſe letztere Weſen auf einerley Art modifi-
„cirt, und unter gleichen Umſtaͤnden alle ihre Jmpreſ-
„ſionen empfangen haben.‟
Dieß iſt ein Grundſatz der Vernunft, der ſelbſt mit
zu den nothwendigen und objektiviſchen Allgemeinſaͤtzen
gehoͤrt. Laß das Katzenauge anders gebildet ſeyn als
das menſchliche, und die Katzenſeele andere Eindruͤcke be-
kommen als die unſrige. Aber laß ſie ein Viereck und
ein Eyform unter gleichen Umſtaͤnden anſehen, ſo
werden dieſe Jmpreſſionen unter ſich verſchieden ſeyn
muͤſſen, wie es unſere Jmpreſſionen von dieſen Objekten
ſind.
Die Eindruͤcke hangen ab von der Urſache, welche
wirket, von der Beſchaffenheit des leidenden Subjekts,
welches ſie annimmt, und von den uͤbrigen Umſtaͤnden.
Sind nun zwey Eindruͤcke verſchieden, wo die Umſtaͤn-
de dieſelbigen und auch das Subjekt, welches ſie em-
pfaͤngt,
M m 4
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 551. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/611>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.