wendig denke u. s. f. Die Sätze, als Gedanken von Gegenständen betrachtet, sind zufällige Wahrheiten, Diese Unterscheidung kann in der Betrachtung des Ver- standes nicht übergangen werden. Der Grund dazu ist schon in dem Vorhergehenden gezeiget worden, und ich will nur mit wenig Worten auf ihn zurück weisen.
Nemlich, wenn man die objektivisch nothwen- digen und zufälligen Wahrheiten unterscheidet, so sieht man nicht allein auf die natürliche Nothwendigkeit des Beyfalls, sondern auf die Nothwendigkeit oder Zufäl- ligkeit in der erkannten Sache selbst, oder in der Vor- stellung von ihr, für sich betrachtet. Jst das Objekt un- serer Vorstellung auch alsdenn, wenn wir nothwendig uns vorstellen, daß es wirklich ist, und so ist, wie wir es finden; -- ist es dann an sich nur zufällig so, oder muß es nothwendig so seyn? Jst etwas eine nothwen- dige Folge der Jdeen von den Dingen, und unzertrenn- bar von diesen, oder ist es nur etwas mit ihnen verbun- denes, das von ihnen abgesondert werden kann?
Die Begriffe von Nothwendigkeit und Zufäl- ligkeit nehmen wir aus uns selbst und aus unsern Em- pfindungen, also aus dem, was wir subjektivisch noth- wendig oder zufällig bey uns antreffen. Bey der Frage: ob etwas nothwendig oder zufällig sey, setzen wir schon voraus, daß es etwas wirkliches ist, und so ist, wie es ist; und fragen, ob es auch statt dessen, nicht seyn oder anders seyn, oder anders werden könne?
Die Empfindungen zeigen uns die Sachen mit den Beschaffenheiten, die sie wirklich an sich haben. Um also zu wissen, was nothwendig in ihnen ist, und wel- che Verhältnisse und Beziehungen bey ihnen nothwen- dig sind, müssen wir sie, so zu sagen, aus ihrer Wirk- lichkeit herausnehmen, und sie blos nach den Jdeen von ihnen beurtheilen, wie wir den Gedanken abgesondert haben, daß sie wirklich vorhanden sind. Nothwen-
dige
N n 3
der allgem. Vernunftwahrheiten, ⁊c.
wendig denke u. ſ. f. Die Saͤtze, als Gedanken von Gegenſtaͤnden betrachtet, ſind zufaͤllige Wahrheiten, Dieſe Unterſcheidung kann in der Betrachtung des Ver- ſtandes nicht uͤbergangen werden. Der Grund dazu iſt ſchon in dem Vorhergehenden gezeiget worden, und ich will nur mit wenig Worten auf ihn zuruͤck weiſen.
Nemlich, wenn man die objektiviſch nothwen- digen und zufaͤlligen Wahrheiten unterſcheidet, ſo ſieht man nicht allein auf die natuͤrliche Nothwendigkeit des Beyfalls, ſondern auf die Nothwendigkeit oder Zufaͤl- ligkeit in der erkannten Sache ſelbſt, oder in der Vor- ſtellung von ihr, fuͤr ſich betrachtet. Jſt das Objekt un- ſerer Vorſtellung auch alsdenn, wenn wir nothwendig uns vorſtellen, daß es wirklich iſt, und ſo iſt, wie wir es finden; — iſt es dann an ſich nur zufaͤllig ſo, oder muß es nothwendig ſo ſeyn? Jſt etwas eine nothwen- dige Folge der Jdeen von den Dingen, und unzertrenn- bar von dieſen, oder iſt es nur etwas mit ihnen verbun- denes, das von ihnen abgeſondert werden kann?
Die Begriffe von Nothwendigkeit und Zufaͤl- ligkeit nehmen wir aus uns ſelbſt und aus unſern Em- pfindungen, alſo aus dem, was wir ſubjektiviſch noth- wendig oder zufaͤllig bey uns antreffen. Bey der Frage: ob etwas nothwendig oder zufaͤllig ſey, ſetzen wir ſchon voraus, daß es etwas wirkliches iſt, und ſo iſt, wie es iſt; und fragen, ob es auch ſtatt deſſen, nicht ſeyn oder anders ſeyn, oder anders werden koͤnne?
Die Empfindungen zeigen uns die Sachen mit den Beſchaffenheiten, die ſie wirklich an ſich haben. Um alſo zu wiſſen, was nothwendig in ihnen iſt, und wel- che Verhaͤltniſſe und Beziehungen bey ihnen nothwen- dig ſind, muͤſſen wir ſie, ſo zu ſagen, aus ihrer Wirk- lichkeit herausnehmen, und ſie blos nach den Jdeen von ihnen beurtheilen, wie wir den Gedanken abgeſondert haben, daß ſie wirklich vorhanden ſind. Nothwen-
dige
N n 3
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0625"n="565"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">der allgem. Vernunftwahrheiten, ⁊c.</hi></fw><lb/>
wendig denke u. ſ. f. Die Saͤtze, als Gedanken von<lb/>
Gegenſtaͤnden betrachtet, ſind <hirendition="#fr">zufaͤllige Wahrheiten,</hi><lb/>
Dieſe Unterſcheidung kann in der Betrachtung des Ver-<lb/>ſtandes nicht uͤbergangen werden. Der Grund dazu iſt<lb/>ſchon in dem Vorhergehenden gezeiget worden, und ich<lb/>
will nur mit wenig Worten auf ihn zuruͤck weiſen.</p><lb/><p>Nemlich, wenn man die <hirendition="#fr">objektiviſch nothwen-<lb/>
digen</hi> und <hirendition="#fr">zufaͤlligen</hi> Wahrheiten unterſcheidet, ſo ſieht<lb/>
man nicht allein auf die natuͤrliche Nothwendigkeit des<lb/>
Beyfalls, ſondern auf die Nothwendigkeit oder Zufaͤl-<lb/>
ligkeit in der erkannten <hirendition="#fr">Sache</hi>ſelbſt, oder in der Vor-<lb/>ſtellung von ihr, fuͤr ſich betrachtet. Jſt das Objekt un-<lb/>ſerer Vorſtellung auch alsdenn, wenn wir nothwendig<lb/>
uns vorſtellen, daß es wirklich iſt, und ſo iſt, wie wir<lb/>
es finden; — iſt es dann an ſich nur <hirendition="#fr">zufaͤllig</hi>ſo, oder<lb/><hirendition="#fr">muß</hi> es nothwendig ſo ſeyn? Jſt etwas eine nothwen-<lb/>
dige Folge der Jdeen von den Dingen, und unzertrenn-<lb/>
bar von dieſen, oder iſt es nur etwas mit ihnen verbun-<lb/>
denes, das von ihnen abgeſondert werden kann?</p><lb/><p>Die Begriffe von <hirendition="#fr">Nothwendigkeit</hi> und <hirendition="#fr">Zufaͤl-<lb/>
ligkeit</hi> nehmen wir aus uns ſelbſt und aus unſern Em-<lb/>
pfindungen, alſo aus dem, was wir <hirendition="#fr">ſubjektiviſch noth-<lb/>
wendig</hi> oder <hirendition="#fr">zufaͤllig</hi> bey uns antreffen. Bey der<lb/>
Frage: ob etwas <hirendition="#fr">nothwendig</hi> oder <hirendition="#fr">zufaͤllig</hi>ſey, ſetzen<lb/>
wir ſchon voraus, daß es etwas wirkliches iſt, und ſo iſt,<lb/>
wie es iſt; und fragen, ob es auch ſtatt deſſen, <hirendition="#fr">nicht<lb/>ſeyn</hi> oder <hirendition="#fr">anders ſeyn,</hi> oder <hirendition="#fr">anders werden</hi> koͤnne?</p><lb/><p>Die Empfindungen zeigen uns die Sachen mit den<lb/>
Beſchaffenheiten, die ſie wirklich an ſich haben. Um<lb/>
alſo zu wiſſen, was <hirendition="#fr">nothwendig</hi> in ihnen iſt, und wel-<lb/>
che Verhaͤltniſſe und Beziehungen bey ihnen <hirendition="#fr">nothwen-<lb/>
dig</hi>ſind, muͤſſen wir ſie, ſo zu ſagen, aus ihrer Wirk-<lb/>
lichkeit herausnehmen, und ſie blos nach den Jdeen von<lb/>
ihnen beurtheilen, wie wir den Gedanken abgeſondert<lb/>
haben, daß ſie wirklich vorhanden ſind. <hirendition="#fr">Nothwen-</hi><lb/><fwplace="bottom"type="sig">N n 3</fw><fwplace="bottom"type="catch"><hirendition="#fr">dige</hi></fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[565/0625]
der allgem. Vernunftwahrheiten, ⁊c.
wendig denke u. ſ. f. Die Saͤtze, als Gedanken von
Gegenſtaͤnden betrachtet, ſind zufaͤllige Wahrheiten,
Dieſe Unterſcheidung kann in der Betrachtung des Ver-
ſtandes nicht uͤbergangen werden. Der Grund dazu iſt
ſchon in dem Vorhergehenden gezeiget worden, und ich
will nur mit wenig Worten auf ihn zuruͤck weiſen.
Nemlich, wenn man die objektiviſch nothwen-
digen und zufaͤlligen Wahrheiten unterſcheidet, ſo ſieht
man nicht allein auf die natuͤrliche Nothwendigkeit des
Beyfalls, ſondern auf die Nothwendigkeit oder Zufaͤl-
ligkeit in der erkannten Sache ſelbſt, oder in der Vor-
ſtellung von ihr, fuͤr ſich betrachtet. Jſt das Objekt un-
ſerer Vorſtellung auch alsdenn, wenn wir nothwendig
uns vorſtellen, daß es wirklich iſt, und ſo iſt, wie wir
es finden; — iſt es dann an ſich nur zufaͤllig ſo, oder
muß es nothwendig ſo ſeyn? Jſt etwas eine nothwen-
dige Folge der Jdeen von den Dingen, und unzertrenn-
bar von dieſen, oder iſt es nur etwas mit ihnen verbun-
denes, das von ihnen abgeſondert werden kann?
Die Begriffe von Nothwendigkeit und Zufaͤl-
ligkeit nehmen wir aus uns ſelbſt und aus unſern Em-
pfindungen, alſo aus dem, was wir ſubjektiviſch noth-
wendig oder zufaͤllig bey uns antreffen. Bey der
Frage: ob etwas nothwendig oder zufaͤllig ſey, ſetzen
wir ſchon voraus, daß es etwas wirkliches iſt, und ſo iſt,
wie es iſt; und fragen, ob es auch ſtatt deſſen, nicht
ſeyn oder anders ſeyn, oder anders werden koͤnne?
Die Empfindungen zeigen uns die Sachen mit den
Beſchaffenheiten, die ſie wirklich an ſich haben. Um
alſo zu wiſſen, was nothwendig in ihnen iſt, und wel-
che Verhaͤltniſſe und Beziehungen bey ihnen nothwen-
dig ſind, muͤſſen wir ſie, ſo zu ſagen, aus ihrer Wirk-
lichkeit herausnehmen, und ſie blos nach den Jdeen von
ihnen beurtheilen, wie wir den Gedanken abgeſondert
haben, daß ſie wirklich vorhanden ſind. Nothwen-
dige
N n 3
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 565. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/625>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.