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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777.

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IX. Versuch. Ueber das Grundprincip
der Phantasie in einer nothwendigen Verbindung stehen.
Die Bewegung wird für eine Beschaffenheit eines
Subjekts erkannt, indem sie als eine Beschaffenheit vor-
handen ist, aber es ist offenbar, daß die vorstellende
Kraft die Jdee von der Bewegung nicht anders in sich
stellen kann, als nur in der Verbindung mit der Jdee
eines andern Dinges, und zwar so, daß jene als ein
Theil einer ganzen Vorstellung, welche die von dem Sub-
jekt ist, vorkommt, und in dieser letztern begriffen ist.
"Das Gesetz der Denkkraft richtet sich also nach dem
Gesetz der Vorstellungskraft."

Das Widersprechende ist ungedenkbar; aber eben
so unvorstellbar. Wo ist die schöpferische Dichtkraft,
die sich das Bild von einem viereckten Zirkel schaffen
könne?

Die Denkkraft urtheilet nach dem Gesetz der Sub-
stitution
der Dinge, die Einerley sind, und verneinet
das Unterschiedene von einander. Jn der Vorstellungs-
kraft fallen die Aehnlichkeiten und das Einerley über-
haupt zusammen in Eins. Unterschiedene Bilder blei-
ben, so zu sagen, immer außer einander.

Die Reflexion denket nach dem Gesetze des Grun-
des.
Wie wirket die Phantasie? Eine Vorstellung,
die nicht in ihr vorhanden ist, kann ohne eine Ursache
nicht in ihr entstehen; eine Verbindung von Vorstellun-
gen kann es eben so wenig.

Die Verbindung der Vorstellungen in der Phantasie
hänget entweder von ihren innern Beziehungen auf ein-
ander ab, zum Beyspiel, wenn die Aehnlichen zusam-
menfallen; oder von einer zufälligen Vergesellschaftung.
Da die Phantasie die durch lange und ununterbrochene
Gewohnheit associirte Jdeen nicht trennen kann, die
Reflexion aber doch ihre Verbindung für zufällig erklä-
ret, so scheint sich in diesem Fall das Gesetz des Denkens
am meisten von dem Gesetz des Vorstellens zu entfernen.

Jn

IX. Verſuch. Ueber das Grundprincip
der Phantaſie in einer nothwendigen Verbindung ſtehen.
Die Bewegung wird fuͤr eine Beſchaffenheit eines
Subjekts erkannt, indem ſie als eine Beſchaffenheit vor-
handen iſt, aber es iſt offenbar, daß die vorſtellende
Kraft die Jdee von der Bewegung nicht anders in ſich
ſtellen kann, als nur in der Verbindung mit der Jdee
eines andern Dinges, und zwar ſo, daß jene als ein
Theil einer ganzen Vorſtellung, welche die von dem Sub-
jekt iſt, vorkommt, und in dieſer letztern begriffen iſt.
„Das Geſetz der Denkkraft richtet ſich alſo nach dem
Geſetz der Vorſtellungskraft.‟

Das Widerſprechende iſt ungedenkbar; aber eben
ſo unvorſtellbar. Wo iſt die ſchoͤpferiſche Dichtkraft,
die ſich das Bild von einem viereckten Zirkel ſchaffen
koͤnne?

Die Denkkraft urtheilet nach dem Geſetz der Sub-
ſtitution
der Dinge, die Einerley ſind, und verneinet
das Unterſchiedene von einander. Jn der Vorſtellungs-
kraft fallen die Aehnlichkeiten und das Einerley uͤber-
haupt zuſammen in Eins. Unterſchiedene Bilder blei-
ben, ſo zu ſagen, immer außer einander.

Die Reflexion denket nach dem Geſetze des Grun-
des.
Wie wirket die Phantaſie? Eine Vorſtellung,
die nicht in ihr vorhanden iſt, kann ohne eine Urſache
nicht in ihr entſtehen; eine Verbindung von Vorſtellun-
gen kann es eben ſo wenig.

Die Verbindung der Vorſtellungen in der Phantaſie
haͤnget entweder von ihren innern Beziehungen auf ein-
ander ab, zum Beyſpiel, wenn die Aehnlichen zuſam-
menfallen; oder von einer zufaͤlligen Vergeſellſchaftung.
Da die Phantaſie die durch lange und ununterbrochene
Gewohnheit aſſociirte Jdeen nicht trennen kann, die
Reflexion aber doch ihre Verbindung fuͤr zufaͤllig erklaͤ-
ret, ſo ſcheint ſich in dieſem Fall das Geſetz des Denkens
am meiſten von dem Geſetz des Vorſtellens zu entfernen.

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[596/0656] IX. Verſuch. Ueber das Grundprincip der Phantaſie in einer nothwendigen Verbindung ſtehen. Die Bewegung wird fuͤr eine Beſchaffenheit eines Subjekts erkannt, indem ſie als eine Beſchaffenheit vor- handen iſt, aber es iſt offenbar, daß die vorſtellende Kraft die Jdee von der Bewegung nicht anders in ſich ſtellen kann, als nur in der Verbindung mit der Jdee eines andern Dinges, und zwar ſo, daß jene als ein Theil einer ganzen Vorſtellung, welche die von dem Sub- jekt iſt, vorkommt, und in dieſer letztern begriffen iſt. „Das Geſetz der Denkkraft richtet ſich alſo nach dem Geſetz der Vorſtellungskraft.‟ Das Widerſprechende iſt ungedenkbar; aber eben ſo unvorſtellbar. Wo iſt die ſchoͤpferiſche Dichtkraft, die ſich das Bild von einem viereckten Zirkel ſchaffen koͤnne? Die Denkkraft urtheilet nach dem Geſetz der Sub- ſtitution der Dinge, die Einerley ſind, und verneinet das Unterſchiedene von einander. Jn der Vorſtellungs- kraft fallen die Aehnlichkeiten und das Einerley uͤber- haupt zuſammen in Eins. Unterſchiedene Bilder blei- ben, ſo zu ſagen, immer außer einander. Die Reflexion denket nach dem Geſetze des Grun- des. Wie wirket die Phantaſie? Eine Vorſtellung, die nicht in ihr vorhanden iſt, kann ohne eine Urſache nicht in ihr entſtehen; eine Verbindung von Vorſtellun- gen kann es eben ſo wenig. Die Verbindung der Vorſtellungen in der Phantaſie haͤnget entweder von ihren innern Beziehungen auf ein- ander ab, zum Beyſpiel, wenn die Aehnlichen zuſam- menfallen; oder von einer zufaͤlligen Vergeſellſchaftung. Da die Phantaſie die durch lange und ununterbrochene Gewohnheit aſſociirte Jdeen nicht trennen kann, die Reflexion aber doch ihre Verbindung fuͤr zufaͤllig erklaͤ- ret, ſo ſcheint ſich in dieſem Fall das Geſetz des Denkens am meiſten von dem Geſetz des Vorſtellens zu entfernen. Jn

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 596. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/656>, abgerufen am 22.12.2024.