und dieses Allgemeine, worunter Denken, Empfinden und Vorstellen, nebst allen übrigen als besondere Arten, unter einen generischen Begrif gebracht worden sind, für das einfache Princip anzusehen, worinn der Keim von ihnen liege, aus dem sie sich entwickeln. Jede besonde- re Art der Seelen-Veränderungen, in welche sie bey ei- ner künstlichen Klassification vertheilet werden, hat doch ihr Eigenes und Charakterisches. Und da ist immer die Frage: ob eben dieses Eigene nur in einer bestimmten Vergrößerung, in einer Aufhäufung oder Verlänge- rung des Gemeinschaftlichen bestehe? ob es gar nur von der Verschiedenheit äußerer Umstände abhange? oder ob es nicht vielmehr eine innere Verschiedenheit in dem thä- tigen Wesen, und in der Art und Weise, wie es thätig ist, vorausseze? die Kraft sich zu entwickeln und zu wach- sen, die in den Pflanzen, in den Thieren, wirket, ist überhaupt eine Entwickelungskraft. Aber dadurch ist es in Wahrheit nicht entschieden, daß diese Grundkraft in einer Art dieser Körper innerlich einerleyartig mit der in der andern sey, und daß nur ein Grad mehr oder we- niger, oder ihre verschiedene Einhüllung in dem Samen, oder die Verschiedenheit des Orts und der Nahrungssäf- te sie in dem einen Fall zu einer Urkraft der organischen empfindungslosen Pflanzen, in dem andern zu der Grund- kraft der beseelten Thiere mache.
Eine Auflösung der Kräfte auf eine solche Art kann unmöglich den Nachdenkenden befriedigen. Aber sie soll es| auch wohl nicht nach der Meinung der angeführten Philosophen. Hr. Bonnet, Leibnitz und Wolf ha- ben etwas mehr zu erweisen gesuchet, und ich würde für mein Theil nichts mehr verlangen, als wozu sie Hofnung gemacht haben, wenn sie wirklich geleistet hätten, was sie haben leisten wollen. Nichts mehr -- um nur allein bey den Wirkungen des Erkenntniß-Vermögens stehen zu bleiben, -- als dieses, daß aus der Beobachtung
und
I. Verſuch. Ueber die Natur
und dieſes Allgemeine, worunter Denken, Empfinden und Vorſtellen, nebſt allen uͤbrigen als beſondere Arten, unter einen generiſchen Begrif gebracht worden ſind, fuͤr das einfache Princip anzuſehen, worinn der Keim von ihnen liege, aus dem ſie ſich entwickeln. Jede beſonde- re Art der Seelen-Veraͤnderungen, in welche ſie bey ei- ner kuͤnſtlichen Klaſſification vertheilet werden, hat doch ihr Eigenes und Charakteriſches. Und da iſt immer die Frage: ob eben dieſes Eigene nur in einer beſtimmten Vergroͤßerung, in einer Aufhaͤufung oder Verlaͤnge- rung des Gemeinſchaftlichen beſtehe? ob es gar nur von der Verſchiedenheit aͤußerer Umſtaͤnde abhange? oder ob es nicht vielmehr eine innere Verſchiedenheit in dem thaͤ- tigen Weſen, und in der Art und Weiſe, wie es thaͤtig iſt, vorausſeze? die Kraft ſich zu entwickeln und zu wach- ſen, die in den Pflanzen, in den Thieren, wirket, iſt uͤberhaupt eine Entwickelungskraft. Aber dadurch iſt es in Wahrheit nicht entſchieden, daß dieſe Grundkraft in einer Art dieſer Koͤrper innerlich einerleyartig mit der in der andern ſey, und daß nur ein Grad mehr oder we- niger, oder ihre verſchiedene Einhuͤllung in dem Samen, oder die Verſchiedenheit des Orts und der Nahrungsſaͤf- te ſie in dem einen Fall zu einer Urkraft der organiſchen empfindungsloſen Pflanzen, in dem andern zu der Grund- kraft der beſeelten Thiere mache.
Eine Aufloͤſung der Kraͤfte auf eine ſolche Art kann unmoͤglich den Nachdenkenden befriedigen. Aber ſie ſoll es| auch wohl nicht nach der Meinung der angefuͤhrten Philoſophen. Hr. Bonnet, Leibnitz und Wolf ha- ben etwas mehr zu erweiſen geſuchet, und ich wuͤrde fuͤr mein Theil nichts mehr verlangen, als wozu ſie Hofnung gemacht haben, wenn ſie wirklich geleiſtet haͤtten, was ſie haben leiſten wollen. Nichts mehr — um nur allein bey den Wirkungen des Erkenntniß-Vermoͤgens ſtehen zu bleiben, — als dieſes, daß aus der Beobachtung
und
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I. Verſuch. Ueber die Natur
und dieſes Allgemeine, worunter Denken, Empfinden
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unter einen generiſchen Begrif gebracht worden ſind, fuͤr
das einfache Princip anzuſehen, worinn der Keim von
ihnen liege, aus dem ſie ſich entwickeln. Jede beſonde-
re Art der Seelen-Veraͤnderungen, in welche ſie bey ei-
ner kuͤnſtlichen Klaſſification vertheilet werden, hat doch
ihr Eigenes und Charakteriſches. Und da iſt immer
die Frage: ob eben dieſes Eigene nur in einer beſtimmten
Vergroͤßerung, in einer Aufhaͤufung oder Verlaͤnge-
rung des Gemeinſchaftlichen beſtehe? ob es gar nur von
der Verſchiedenheit aͤußerer Umſtaͤnde abhange? oder ob
es nicht vielmehr eine innere Verſchiedenheit in dem thaͤ-
tigen Weſen, und in der Art und Weiſe, wie es thaͤtig
iſt, vorausſeze? die Kraft ſich zu entwickeln und zu wach-
ſen, die in den Pflanzen, in den Thieren, wirket, iſt
uͤberhaupt eine Entwickelungskraft. Aber dadurch iſt es
in Wahrheit nicht entſchieden, daß dieſe Grundkraft in
einer Art dieſer Koͤrper innerlich einerleyartig mit der
in der andern ſey, und daß nur ein Grad mehr oder we-
niger, oder ihre verſchiedene Einhuͤllung in dem Samen,
oder die Verſchiedenheit des Orts und der Nahrungsſaͤf-
te ſie in dem einen Fall zu einer Urkraft der organiſchen
empfindungsloſen Pflanzen, in dem andern zu der Grund-
kraft der beſeelten Thiere mache.
Eine Aufloͤſung der Kraͤfte auf eine ſolche Art kann
unmoͤglich den Nachdenkenden befriedigen. Aber ſie ſoll
es| auch wohl nicht nach der Meinung der angefuͤhrten
Philoſophen. Hr. Bonnet, Leibnitz und Wolf ha-
ben etwas mehr zu erweiſen geſuchet, und ich wuͤrde fuͤr
mein Theil nichts mehr verlangen, als wozu ſie Hofnung
gemacht haben, wenn ſie wirklich geleiſtet haͤtten, was ſie
haben leiſten wollen. Nichts mehr — um nur allein
bey den Wirkungen des Erkenntniß-Vermoͤgens ſtehen
zu bleiben, — als dieſes, daß aus der Beobachtung
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/66>, abgerufen am 22.12.2024.
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