Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777.

Bild:
<< vorherige Seite
des Empfindens, des Vorstellens etc.

An die Stelle des weichen Wachses setze man eine
elastische Feder, und lasse jene beiden Körper mit glei-
cher Geschwindigkeit auf sie zufahren. Die Feder lässet
sich zusammendrücken, mehr oder minder; die Körper
kommen um ihre Bewegung, wie vorher. Bis dahin
beweiset die Feder Receptivität, und bloße Reaktions-
kraft. Aber das ist es nicht alles. Sobald die Körper
in Ruhe sind, dehnet sich die gepreßte Feder wiederum
aus, stößt zurück, giebt ihnen ihre Bewegung wieder,
und treibet sie von sich ab. Da hat sie bewiesen, daß sie
ein Vermögen besitze, thätig zu seyn. Dieß ist eine
Aeußerung eines innerlich wirksamen Vermögens, oder
einer selbstthätigen Kraft.

Und diese letztere Kraft ist Eine und dieselbige, wel-
che Receptivität und bloßes Reaktionsvermögen bewies.
Alle drey Wirkungen entspringen aus derselbigen Elasti-
cität, die von der Kraft, welche in dem weichen Wachs
war, nur allein an Selbstthätigkeit unterschieden ist.
Wenn jede dieser Wirkungen einem eigenen Vermögen
zugeschrieben wird, so ist es offenbar, daß die nämliche
Kraft nur von drey verschiedenen Seiten, oder in drey
unterschiedenen Hinsichten betrachtet wird; aber sie selbst
ist innerlich dieselbige. Man wird nicht leicht auf den
Einfall kommen, zu glauben, daß das Vermögen, wo-
mit die elastische Feder die an sie stoßenden Körper von
sich abtreibet, eine eigene Grundkraft erfodere, die nur
dann erst sich ausläßt, wenn ihre Receptivität und ihre
bloße Reaktion schon ihre Wirkung gehabt, und die auf
sie zufahrende Körper ihre Bewegungen verlohren haben.
Denn indem die Feder den Druck aufnahm, sich zusam-
menpressen ließ, und die Körper zu Ruhe brachte, nahm
sie an, und reagirte mit eben der Elasticität, die nach-
her den Rückstoß bewirkte. Die letztere Wirkung er-
folgte auf jene, ohne daß nun erst eine eigene vorher un-
gebrauchte Kraft zur Thätigkeit gekommen sey. Die

Aktion
I. Band. Q q
des Empfindens, des Vorſtellens ⁊c.

An die Stelle des weichen Wachſes ſetze man eine
elaſtiſche Feder, und laſſe jene beiden Koͤrper mit glei-
cher Geſchwindigkeit auf ſie zufahren. Die Feder laͤſſet
ſich zuſammendruͤcken, mehr oder minder; die Koͤrper
kommen um ihre Bewegung, wie vorher. Bis dahin
beweiſet die Feder Receptivitaͤt, und bloße Reaktions-
kraft. Aber das iſt es nicht alles. Sobald die Koͤrper
in Ruhe ſind, dehnet ſich die gepreßte Feder wiederum
aus, ſtoͤßt zuruͤck, giebt ihnen ihre Bewegung wieder,
und treibet ſie von ſich ab. Da hat ſie bewieſen, daß ſie
ein Vermoͤgen beſitze, thaͤtig zu ſeyn. Dieß iſt eine
Aeußerung eines innerlich wirkſamen Vermoͤgens, oder
einer ſelbſtthaͤtigen Kraft.

Und dieſe letztere Kraft iſt Eine und dieſelbige, wel-
che Receptivitaͤt und bloßes Reaktionsvermoͤgen bewies.
Alle drey Wirkungen entſpringen aus derſelbigen Elaſti-
citaͤt, die von der Kraft, welche in dem weichen Wachs
war, nur allein an Selbſtthaͤtigkeit unterſchieden iſt.
Wenn jede dieſer Wirkungen einem eigenen Vermoͤgen
zugeſchrieben wird, ſo iſt es offenbar, daß die naͤmliche
Kraft nur von drey verſchiedenen Seiten, oder in drey
unterſchiedenen Hinſichten betrachtet wird; aber ſie ſelbſt
iſt innerlich dieſelbige. Man wird nicht leicht auf den
Einfall kommen, zu glauben, daß das Vermoͤgen, wo-
mit die elaſtiſche Feder die an ſie ſtoßenden Koͤrper von
ſich abtreibet, eine eigene Grundkraft erfodere, die nur
dann erſt ſich auslaͤßt, wenn ihre Receptivitaͤt und ihre
bloße Reaktion ſchon ihre Wirkung gehabt, und die auf
ſie zufahrende Koͤrper ihre Bewegungen verlohren haben.
Denn indem die Feder den Druck aufnahm, ſich zuſam-
menpreſſen ließ, und die Koͤrper zu Ruhe brachte, nahm
ſie an, und reagirte mit eben der Elaſticitaͤt, die nach-
her den Ruͤckſtoß bewirkte. Die letztere Wirkung er-
folgte auf jene, ohne daß nun erſt eine eigene vorher un-
gebrauchte Kraft zur Thaͤtigkeit gekommen ſey. Die

Aktion
I. Band. Q q
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0669" n="609"/>
            <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">des Empfindens, des Vor&#x017F;tellens &#x204A;c.</hi> </fw><lb/>
            <p>An die Stelle des weichen Wach&#x017F;es &#x017F;etze man eine<lb/>
ela&#x017F;ti&#x017F;che Feder, und la&#x017F;&#x017F;e jene beiden Ko&#x0364;rper mit glei-<lb/>
cher Ge&#x017F;chwindigkeit auf &#x017F;ie zufahren. Die Feder la&#x0364;&#x017F;&#x017F;et<lb/>
&#x017F;ich zu&#x017F;ammendru&#x0364;cken, mehr oder minder; die Ko&#x0364;rper<lb/>
kommen um ihre Bewegung, wie vorher. Bis dahin<lb/>
bewei&#x017F;et die Feder Receptivita&#x0364;t, und bloße Reaktions-<lb/>
kraft. Aber das i&#x017F;t es nicht alles. Sobald die Ko&#x0364;rper<lb/>
in Ruhe &#x017F;ind, dehnet &#x017F;ich die gepreßte Feder wiederum<lb/>
aus, &#x017F;to&#x0364;ßt zuru&#x0364;ck, giebt ihnen ihre Bewegung wieder,<lb/>
und treibet &#x017F;ie von &#x017F;ich ab. Da hat &#x017F;ie bewie&#x017F;en, daß &#x017F;ie<lb/>
ein Vermo&#x0364;gen be&#x017F;itze, tha&#x0364;tig zu &#x017F;eyn. Dieß i&#x017F;t eine<lb/>
Aeußerung eines innerlich wirk&#x017F;amen Vermo&#x0364;gens, oder<lb/>
einer <hi rendition="#fr">&#x017F;elb&#x017F;ttha&#x0364;tigen Kraft.</hi></p><lb/>
            <p>Und die&#x017F;e <hi rendition="#fr">letztere Kraft</hi> i&#x017F;t Eine und die&#x017F;elbige, wel-<lb/>
che Receptivita&#x0364;t und bloßes Reaktionsvermo&#x0364;gen bewies.<lb/>
Alle drey Wirkungen ent&#x017F;pringen aus der&#x017F;elbigen Ela&#x017F;ti-<lb/>
cita&#x0364;t, die von der Kraft, welche in dem weichen Wachs<lb/>
war, nur allein an Selb&#x017F;ttha&#x0364;tigkeit unter&#x017F;chieden i&#x017F;t.<lb/>
Wenn jede die&#x017F;er Wirkungen einem eigenen Vermo&#x0364;gen<lb/>
zuge&#x017F;chrieben wird, &#x017F;o i&#x017F;t es offenbar, daß die na&#x0364;mliche<lb/>
Kraft nur von drey ver&#x017F;chiedenen Seiten, oder in drey<lb/>
unter&#x017F;chiedenen Hin&#x017F;ichten betrachtet wird; aber &#x017F;ie &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
i&#x017F;t innerlich die&#x017F;elbige. Man wird nicht leicht auf den<lb/>
Einfall kommen, zu glauben, daß das Vermo&#x0364;gen, wo-<lb/>
mit die ela&#x017F;ti&#x017F;che Feder die an &#x017F;ie &#x017F;toßenden Ko&#x0364;rper von<lb/>
&#x017F;ich abtreibet, eine eigene Grundkraft erfodere, die nur<lb/>
dann er&#x017F;t &#x017F;ich ausla&#x0364;ßt, wenn ihre Receptivita&#x0364;t und ihre<lb/>
bloße Reaktion &#x017F;chon ihre Wirkung gehabt, und die auf<lb/>
&#x017F;ie zufahrende Ko&#x0364;rper ihre Bewegungen verlohren haben.<lb/>
Denn indem die Feder den Druck aufnahm, &#x017F;ich zu&#x017F;am-<lb/>
menpre&#x017F;&#x017F;en ließ, und die Ko&#x0364;rper zu Ruhe brachte, nahm<lb/>
&#x017F;ie an, und reagirte mit eben der Ela&#x017F;ticita&#x0364;t, die nach-<lb/>
her den Ru&#x0364;ck&#x017F;toß bewirkte. Die letztere Wirkung er-<lb/>
folgte auf jene, ohne daß nun er&#x017F;t eine eigene vorher un-<lb/>
gebrauchte Kraft zur Tha&#x0364;tigkeit gekommen &#x017F;ey. Die<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#aq">I.</hi><hi rendition="#fr">Band.</hi> Q q</fw><fw place="bottom" type="catch">Aktion</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[609/0669] des Empfindens, des Vorſtellens ⁊c. An die Stelle des weichen Wachſes ſetze man eine elaſtiſche Feder, und laſſe jene beiden Koͤrper mit glei- cher Geſchwindigkeit auf ſie zufahren. Die Feder laͤſſet ſich zuſammendruͤcken, mehr oder minder; die Koͤrper kommen um ihre Bewegung, wie vorher. Bis dahin beweiſet die Feder Receptivitaͤt, und bloße Reaktions- kraft. Aber das iſt es nicht alles. Sobald die Koͤrper in Ruhe ſind, dehnet ſich die gepreßte Feder wiederum aus, ſtoͤßt zuruͤck, giebt ihnen ihre Bewegung wieder, und treibet ſie von ſich ab. Da hat ſie bewieſen, daß ſie ein Vermoͤgen beſitze, thaͤtig zu ſeyn. Dieß iſt eine Aeußerung eines innerlich wirkſamen Vermoͤgens, oder einer ſelbſtthaͤtigen Kraft. Und dieſe letztere Kraft iſt Eine und dieſelbige, wel- che Receptivitaͤt und bloßes Reaktionsvermoͤgen bewies. Alle drey Wirkungen entſpringen aus derſelbigen Elaſti- citaͤt, die von der Kraft, welche in dem weichen Wachs war, nur allein an Selbſtthaͤtigkeit unterſchieden iſt. Wenn jede dieſer Wirkungen einem eigenen Vermoͤgen zugeſchrieben wird, ſo iſt es offenbar, daß die naͤmliche Kraft nur von drey verſchiedenen Seiten, oder in drey unterſchiedenen Hinſichten betrachtet wird; aber ſie ſelbſt iſt innerlich dieſelbige. Man wird nicht leicht auf den Einfall kommen, zu glauben, daß das Vermoͤgen, wo- mit die elaſtiſche Feder die an ſie ſtoßenden Koͤrper von ſich abtreibet, eine eigene Grundkraft erfodere, die nur dann erſt ſich auslaͤßt, wenn ihre Receptivitaͤt und ihre bloße Reaktion ſchon ihre Wirkung gehabt, und die auf ſie zufahrende Koͤrper ihre Bewegungen verlohren haben. Denn indem die Feder den Druck aufnahm, ſich zuſam- menpreſſen ließ, und die Koͤrper zu Ruhe brachte, nahm ſie an, und reagirte mit eben der Elaſticitaͤt, die nach- her den Ruͤckſtoß bewirkte. Die letztere Wirkung er- folgte auf jene, ohne daß nun erſt eine eigene vorher un- gebrauchte Kraft zur Thaͤtigkeit gekommen ſey. Die Aktion I. Band. Q q

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/669
Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 609. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/669>, abgerufen am 22.12.2024.