Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777.

Bild:
<< vorherige Seite

X. Versuch. Ueber die Beziehung
Seele wirket in den Körper; alsdenn bestimmt sie sich
selbst, bringet einen Ansatz und ein Bestreben in sich selbst
hervor, und von diesem Bestreben entstehen Bewegun-
gen in dem Körper, die bis auf die äußern sichtbaren
Theile herausgehen. Dieß ist eine herausgehende
Aktion. Aber was liegt nun in einer immanenten,
wenn die Seele auf sich selbst wirket, wenn sie z. B. ei-
nen Vorsatz fasset, eine Jdee unterdrückt, die Aufmerk-
samkeit auf etwas wendet, oder sich zerstreut, u. d. gl.
So eine Modifikation wird niemals bewirket, ohne daß
auch zugleich Bewegungen im Gehirn entstehen, die sich,
wo die Wirkung nur etwas ist, so gleich auswärts bis
auf die äußere Fläche ergießen und hier bemerket werden
können. Jn beiden Fällen, die Seele wirke in sich selbst
oder außer sich, fängt die Kraft bey sich selbst an, be-
stimmet, und verändert sich, und dann zugleich den
Körper. Alle Verschiedenheit, die dabey in dem Jn-
nern der Aktion vorkommen kann, bestehet darinn, daß
ihre Richtung in diesen Fällen verschieden ist. Aber die
Effekte sind in so weit dieselbigen, daß nämlich eine in-
nere Modifikation in der Seele, und eine Bewegung in
dem Körper zugleich erfolget.

Von den Bewegungen in dem Körper, die sonsten
der Seele unterworfen sind, giebt es viele, die allein
durch körperliche Nervenkräfte bewirket werden können,
wenn diese von außen gereizet werden, ohne daß sie See-
lenwirkungen sind, wie z. B. das Zusammenziehen der
Muskeln, woran ein Krampf Schuld ist, und die
Sprünge der Kranken in dem Veitstanz. Dieß gilt
nicht blos von ungewöhnlichen Bewegungen, sondern
auch von gewöhnlichen. Es ist vielleicht ein allgemeines
Gesetz unserer Natur, "daß jedwede willkührliche Be-
"wegung, ehe sie der Kraft der Seele unterworfen wor-
"den ist, von Nervenkräften bewirket worden sey, we-
"nigstens zum Theil, wenn auch nicht in ihrem völligen

"Um-

X. Verſuch. Ueber die Beziehung
Seele wirket in den Koͤrper; alsdenn beſtimmt ſie ſich
ſelbſt, bringet einen Anſatz und ein Beſtreben in ſich ſelbſt
hervor, und von dieſem Beſtreben entſtehen Bewegun-
gen in dem Koͤrper, die bis auf die aͤußern ſichtbaren
Theile herausgehen. Dieß iſt eine herausgehende
Aktion. Aber was liegt nun in einer immanenten,
wenn die Seele auf ſich ſelbſt wirket, wenn ſie z. B. ei-
nen Vorſatz faſſet, eine Jdee unterdruͤckt, die Aufmerk-
ſamkeit auf etwas wendet, oder ſich zerſtreut, u. d. gl.
So eine Modifikation wird niemals bewirket, ohne daß
auch zugleich Bewegungen im Gehirn entſtehen, die ſich,
wo die Wirkung nur etwas iſt, ſo gleich auswaͤrts bis
auf die aͤußere Flaͤche ergießen und hier bemerket werden
koͤnnen. Jn beiden Faͤllen, die Seele wirke in ſich ſelbſt
oder außer ſich, faͤngt die Kraft bey ſich ſelbſt an, be-
ſtimmet, und veraͤndert ſich, und dann zugleich den
Koͤrper. Alle Verſchiedenheit, die dabey in dem Jn-
nern der Aktion vorkommen kann, beſtehet darinn, daß
ihre Richtung in dieſen Faͤllen verſchieden iſt. Aber die
Effekte ſind in ſo weit dieſelbigen, daß naͤmlich eine in-
nere Modifikation in der Seele, und eine Bewegung in
dem Koͤrper zugleich erfolget.

Von den Bewegungen in dem Koͤrper, die ſonſten
der Seele unterworfen ſind, giebt es viele, die allein
durch koͤrperliche Nervenkraͤfte bewirket werden koͤnnen,
wenn dieſe von außen gereizet werden, ohne daß ſie See-
lenwirkungen ſind, wie z. B. das Zuſammenziehen der
Muskeln, woran ein Krampf Schuld iſt, und die
Spruͤnge der Kranken in dem Veitstanz. Dieß gilt
nicht blos von ungewoͤhnlichen Bewegungen, ſondern
auch von gewoͤhnlichen. Es iſt vielleicht ein allgemeines
Geſetz unſerer Natur, „daß jedwede willkuͤhrliche Be-
„wegung, ehe ſie der Kraft der Seele unterworfen wor-
„den iſt, von Nervenkraͤften bewirket worden ſey, we-
„nigſtens zum Theil, wenn auch nicht in ihrem voͤlligen

„Um-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0694" n="634"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">X.</hi> Ver&#x017F;uch. Ueber die Beziehung</fw><lb/>
Seele wirket in den Ko&#x0364;rper; alsdenn be&#x017F;timmt &#x017F;ie &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t, bringet einen An&#x017F;atz und ein Be&#x017F;treben in &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
hervor, und von die&#x017F;em Be&#x017F;treben ent&#x017F;tehen Bewegun-<lb/>
gen in dem Ko&#x0364;rper, die bis auf die a&#x0364;ußern &#x017F;ichtbaren<lb/>
Theile herausgehen. Dieß i&#x017F;t eine <hi rendition="#fr">herausgehende</hi><lb/>
Aktion. Aber was liegt nun in einer <hi rendition="#fr">immanenten,</hi><lb/>
wenn die Seele auf &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t wirket, wenn &#x017F;ie z. B. ei-<lb/>
nen Vor&#x017F;atz fa&#x017F;&#x017F;et, eine Jdee unterdru&#x0364;ckt, die Aufmerk-<lb/>
&#x017F;amkeit auf etwas wendet, oder &#x017F;ich zer&#x017F;treut, u. d. gl.<lb/>
So eine Modifikation wird niemals bewirket, ohne daß<lb/>
auch zugleich Bewegungen im Gehirn ent&#x017F;tehen, die &#x017F;ich,<lb/>
wo die Wirkung nur etwas i&#x017F;t, &#x017F;o gleich auswa&#x0364;rts bis<lb/>
auf die a&#x0364;ußere Fla&#x0364;che ergießen und hier bemerket werden<lb/>
ko&#x0364;nnen. Jn beiden Fa&#x0364;llen, die Seele wirke in &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
oder außer &#x017F;ich, fa&#x0364;ngt die Kraft bey &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t an, be-<lb/>
&#x017F;timmet, und vera&#x0364;ndert &#x017F;ich, und dann zugleich den<lb/>
Ko&#x0364;rper. Alle Ver&#x017F;chiedenheit, die dabey in dem Jn-<lb/>
nern der Aktion vorkommen kann, be&#x017F;tehet darinn, daß<lb/>
ihre Richtung in die&#x017F;en Fa&#x0364;llen ver&#x017F;chieden i&#x017F;t. Aber die<lb/>
Effekte &#x017F;ind in &#x017F;o weit die&#x017F;elbigen, daß na&#x0364;mlich eine in-<lb/>
nere Modifikation in der Seele, und eine Bewegung in<lb/>
dem Ko&#x0364;rper zugleich erfolget.</p><lb/>
            <p>Von den Bewegungen in dem Ko&#x0364;rper, die &#x017F;on&#x017F;ten<lb/>
der Seele unterworfen &#x017F;ind, giebt es viele, die allein<lb/>
durch ko&#x0364;rperliche Nervenkra&#x0364;fte bewirket werden ko&#x0364;nnen,<lb/>
wenn die&#x017F;e von außen gereizet werden, ohne daß &#x017F;ie See-<lb/>
lenwirkungen &#x017F;ind, wie z. B. das Zu&#x017F;ammenziehen der<lb/>
Muskeln, woran ein Krampf Schuld i&#x017F;t, und die<lb/>
Spru&#x0364;nge der Kranken in dem Veitstanz. Dieß gilt<lb/>
nicht blos von ungewo&#x0364;hnlichen Bewegungen, &#x017F;ondern<lb/>
auch von gewo&#x0364;hnlichen. Es i&#x017F;t vielleicht ein allgemeines<lb/>
Ge&#x017F;etz un&#x017F;erer Natur, &#x201E;daß jedwede willku&#x0364;hrliche Be-<lb/>
&#x201E;wegung, ehe &#x017F;ie der Kraft der Seele unterworfen wor-<lb/>
&#x201E;den i&#x017F;t, von Nervenkra&#x0364;ften bewirket worden &#x017F;ey, we-<lb/>
&#x201E;nig&#x017F;tens zum Theil, wenn auch nicht in ihrem vo&#x0364;lligen<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x201E;Um-</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[634/0694] X. Verſuch. Ueber die Beziehung Seele wirket in den Koͤrper; alsdenn beſtimmt ſie ſich ſelbſt, bringet einen Anſatz und ein Beſtreben in ſich ſelbſt hervor, und von dieſem Beſtreben entſtehen Bewegun- gen in dem Koͤrper, die bis auf die aͤußern ſichtbaren Theile herausgehen. Dieß iſt eine herausgehende Aktion. Aber was liegt nun in einer immanenten, wenn die Seele auf ſich ſelbſt wirket, wenn ſie z. B. ei- nen Vorſatz faſſet, eine Jdee unterdruͤckt, die Aufmerk- ſamkeit auf etwas wendet, oder ſich zerſtreut, u. d. gl. So eine Modifikation wird niemals bewirket, ohne daß auch zugleich Bewegungen im Gehirn entſtehen, die ſich, wo die Wirkung nur etwas iſt, ſo gleich auswaͤrts bis auf die aͤußere Flaͤche ergießen und hier bemerket werden koͤnnen. Jn beiden Faͤllen, die Seele wirke in ſich ſelbſt oder außer ſich, faͤngt die Kraft bey ſich ſelbſt an, be- ſtimmet, und veraͤndert ſich, und dann zugleich den Koͤrper. Alle Verſchiedenheit, die dabey in dem Jn- nern der Aktion vorkommen kann, beſtehet darinn, daß ihre Richtung in dieſen Faͤllen verſchieden iſt. Aber die Effekte ſind in ſo weit dieſelbigen, daß naͤmlich eine in- nere Modifikation in der Seele, und eine Bewegung in dem Koͤrper zugleich erfolget. Von den Bewegungen in dem Koͤrper, die ſonſten der Seele unterworfen ſind, giebt es viele, die allein durch koͤrperliche Nervenkraͤfte bewirket werden koͤnnen, wenn dieſe von außen gereizet werden, ohne daß ſie See- lenwirkungen ſind, wie z. B. das Zuſammenziehen der Muskeln, woran ein Krampf Schuld iſt, und die Spruͤnge der Kranken in dem Veitstanz. Dieß gilt nicht blos von ungewoͤhnlichen Bewegungen, ſondern auch von gewoͤhnlichen. Es iſt vielleicht ein allgemeines Geſetz unſerer Natur, „daß jedwede willkuͤhrliche Be- „wegung, ehe ſie der Kraft der Seele unterworfen wor- „den iſt, von Nervenkraͤften bewirket worden ſey, we- „nigſtens zum Theil, wenn auch nicht in ihrem voͤlligen „Um-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/694
Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 634. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/694>, abgerufen am 22.12.2024.