lich sinnliche Sachen und Beschaffenheiten sind? kann man daran zweifeln, daß es nicht mehrere Beschaffen- heiten, Wirkungsarten und Effekte der Körper gebe, zu denen uns der Sinn fehlet, und die uns vielleicht künf- tig ein sechster Sinn lehren wird? Worinn bestehet denn jener ihre Fühlbarkeit?
Auf diese Frage kann man wenig oder nichts antwor- ten. Wer kennet die Modifikabilität der Seele so von Grund aus? Man hat keine Begriffe von Einwirkun- gen auf sie, davon sie so wenig verändert wird, und die sie so wenig empfindet, als die Ohren das Licht.
Aber wenn man Schlüsse mit Erfahrungen verbin- det, so wird es doch sehr wahrscheinlich, daß die Augen zum Exempel nicht so wohl Werkzeuge sind, wodurch das Licht auf die Seele wirket, und sie verändert, son- dern vielmehr Werkzeuge, wodurch diese Lichtseindrücke allein und abgesondert von den Eindrücken anderer Körper und anderer Kräfte uns zugeführet werden. Dieß ist der wesentlichste und charakteristische Dienst der unterschiedenen Sinnglieder, und dahin geht das Ei- gene in ihrer Einrichtung. Sie wirken wie Absonde- rungsgefäße, die aus der ganzen vermischten Masse al- ler auf die Seele fallenden Eindrücke von außen, diese oder jene besondere Art absondern, oder sie doch abge- sondert und unvermischt mit den übrigen der Seele vor- legen. Die Augen geben der Seele keine neue Em- pfänglichkeit, die sie vorher nicht hatte; und bringen ihr eben so wenig neue Eindrücke von eigenen Körpern oder besondern Kräften zu, die ihr nicht schon durch ihre übri- gen Sinne zugesühret waren. Die Wirkungen des Lichts, und seine Eindrücke, welche es als Licht, hervor- bringet, sind auch in den Empfindungen des körperli- chen Gefühls begriffen, wie außer Zweifel ist. Aber es fehlte noch, daß diese Art von Eindrücken abgesondert und unterscheidbar von der Seele erhalten würde. Und
das
X. Verſuch. Ueber die Beziehung
lich ſinnliche Sachen und Beſchaffenheiten ſind? kann man daran zweifeln, daß es nicht mehrere Beſchaffen- heiten, Wirkungsarten und Effekte der Koͤrper gebe, zu denen uns der Sinn fehlet, und die uns vielleicht kuͤnf- tig ein ſechſter Sinn lehren wird? Worinn beſtehet denn jener ihre Fuͤhlbarkeit?
Auf dieſe Frage kann man wenig oder nichts antwor- ten. Wer kennet die Modifikabilitaͤt der Seele ſo von Grund aus? Man hat keine Begriffe von Einwirkun- gen auf ſie, davon ſie ſo wenig veraͤndert wird, und die ſie ſo wenig empfindet, als die Ohren das Licht.
Aber wenn man Schluͤſſe mit Erfahrungen verbin- det, ſo wird es doch ſehr wahrſcheinlich, daß die Augen zum Exempel nicht ſo wohl Werkzeuge ſind, wodurch das Licht auf die Seele wirket, und ſie veraͤndert, ſon- dern vielmehr Werkzeuge, wodurch dieſe Lichtseindruͤcke allein und abgeſondert von den Eindruͤcken anderer Koͤrper und anderer Kraͤfte uns zugefuͤhret werden. Dieß iſt der weſentlichſte und charakteriſtiſche Dienſt der unterſchiedenen Sinnglieder, und dahin geht das Ei- gene in ihrer Einrichtung. Sie wirken wie Abſonde- rungsgefaͤße, die aus der ganzen vermiſchten Maſſe al- ler auf die Seele fallenden Eindruͤcke von außen, dieſe oder jene beſondere Art abſondern, oder ſie doch abge- ſondert und unvermiſcht mit den uͤbrigen der Seele vor- legen. Die Augen geben der Seele keine neue Em- pfaͤnglichkeit, die ſie vorher nicht hatte; und bringen ihr eben ſo wenig neue Eindruͤcke von eigenen Koͤrpern oder beſondern Kraͤften zu, die ihr nicht ſchon durch ihre uͤbri- gen Sinne zugeſuͤhret waren. Die Wirkungen des Lichts, und ſeine Eindruͤcke, welche es als Licht, hervor- bringet, ſind auch in den Empfindungen des koͤrperli- chen Gefuͤhls begriffen, wie außer Zweifel iſt. Aber es fehlte noch, daß dieſe Art von Eindruͤcken abgeſondert und unterſcheidbar von der Seele erhalten wuͤrde. Und
das
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X. Verſuch. Ueber die Beziehung
lich ſinnliche Sachen und Beſchaffenheiten ſind? kann
man daran zweifeln, daß es nicht mehrere Beſchaffen-
heiten, Wirkungsarten und Effekte der Koͤrper gebe, zu
denen uns der Sinn fehlet, und die uns vielleicht kuͤnf-
tig ein ſechſter Sinn lehren wird? Worinn beſtehet
denn jener ihre Fuͤhlbarkeit?
Auf dieſe Frage kann man wenig oder nichts antwor-
ten. Wer kennet die Modifikabilitaͤt der Seele ſo von
Grund aus? Man hat keine Begriffe von Einwirkun-
gen auf ſie, davon ſie ſo wenig veraͤndert wird, und die
ſie ſo wenig empfindet, als die Ohren das Licht.
Aber wenn man Schluͤſſe mit Erfahrungen verbin-
det, ſo wird es doch ſehr wahrſcheinlich, daß die Augen
zum Exempel nicht ſo wohl Werkzeuge ſind, wodurch
das Licht auf die Seele wirket, und ſie veraͤndert, ſon-
dern vielmehr Werkzeuge, wodurch dieſe Lichtseindruͤcke
allein und abgeſondert von den Eindruͤcken anderer
Koͤrper und anderer Kraͤfte uns zugefuͤhret werden.
Dieß iſt der weſentlichſte und charakteriſtiſche Dienſt der
unterſchiedenen Sinnglieder, und dahin geht das Ei-
gene in ihrer Einrichtung. Sie wirken wie Abſonde-
rungsgefaͤße, die aus der ganzen vermiſchten Maſſe al-
ler auf die Seele fallenden Eindruͤcke von außen, dieſe
oder jene beſondere Art abſondern, oder ſie doch abge-
ſondert und unvermiſcht mit den uͤbrigen der Seele vor-
legen. Die Augen geben der Seele keine neue Em-
pfaͤnglichkeit, die ſie vorher nicht hatte; und bringen ihr
eben ſo wenig neue Eindruͤcke von eigenen Koͤrpern oder
beſondern Kraͤften zu, die ihr nicht ſchon durch ihre uͤbri-
gen Sinne zugeſuͤhret waren. Die Wirkungen des
Lichts, und ſeine Eindruͤcke, welche es als Licht, hervor-
bringet, ſind auch in den Empfindungen des koͤrperli-
chen Gefuͤhls begriffen, wie außer Zweifel iſt. Aber es
fehlte noch, daß dieſe Art von Eindruͤcken abgeſondert
und unterſcheidbar von der Seele erhalten wuͤrde. Und
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 708. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/768>, abgerufen am 22.12.2024.
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