sen seyn. Allein dieß ist es nicht, worauf es hier eigentlich ankommt. Die Empfindung kann deswegen, als ein gefühlter gegenwärtiger Zustand, für sich ganz geschmack- los seyn. Dem Geometer machet der Anblick seiner Fi- guren kein solches Vergnügen, wie dem Kenner der An- blick schöner Gemälde; aber jene setzen seine Vernunft in Arbeit, und diese Arbeit ist es, welche ihn ergötzet, und als eine afficirende Empfindung seinen thätigen Wil- len beweget, und ihn daher bestimmet, sich dieß Ver- gnügen länger und mehrmalen zu verschaffen. Wenn die afficirenden Empfindungen von solchen unterschieden werden, die auf die Erkenntnißkraft wirken, so setzet man das Charakteristische von ihnen darinn, daß jene als gegenwärtige Beschaffenheiten angenehm oder wie- drig sind, und daher die Kraft der Seele bestimmen, solche zu unterhalten, oder zu verändern; dagegen dieje- nigen, welche nur die Vorstellungskraft reizen, für sich weder gefallen noch mißfallen, sondern nur aufgenom- men, und abgebildet werden, welche Beschäfftigung selbst angenehm oder unangenehm seyn kann, und andere dergleichen Folgen veranlassen. Diese Erinnerung ist vielleicht überflüßig, aber in mikroskopischen Untersuchun- gen kann man nicht leicht allzuscharf und allzu genau zu- sehen.
6.
Die empfindsamen Veränderungen, und die be- wegenden haben den gemeinschaftlichen Charakter, daß sie stärker und verwirrter sind, als diejenigen, auf welche sich die Vorstellungskraft verwendet. Aber wenn nun von neuen die Frage ist, welche unter diesen denn vorzüglich die Empfindsamkeit unterhalten, und wel- che mehr die Triebfedern für die handelnde Thätigkeits- kraft sind, so deucht mich, die Beobachtungen führen dahin, das erstere sey eine Folge des Angenehmen;
das
X. Verſuch. Ueber die Beziehung
ſen ſeyn. Allein dieß iſt es nicht, worauf es hier eigentlich ankommt. Die Empfindung kann deswegen, als ein gefuͤhlter gegenwaͤrtiger Zuſtand, fuͤr ſich ganz geſchmack- los ſeyn. Dem Geometer machet der Anblick ſeiner Fi- guren kein ſolches Vergnuͤgen, wie dem Kenner der An- blick ſchoͤner Gemaͤlde; aber jene ſetzen ſeine Vernunft in Arbeit, und dieſe Arbeit iſt es, welche ihn ergoͤtzet, und als eine afficirende Empfindung ſeinen thaͤtigen Wil- len beweget, und ihn daher beſtimmet, ſich dieß Ver- gnuͤgen laͤnger und mehrmalen zu verſchaffen. Wenn die afficirenden Empfindungen von ſolchen unterſchieden werden, die auf die Erkenntnißkraft wirken, ſo ſetzet man das Charakteriſtiſche von ihnen darinn, daß jene als gegenwaͤrtige Beſchaffenheiten angenehm oder wie- drig ſind, und daher die Kraft der Seele beſtimmen, ſolche zu unterhalten, oder zu veraͤndern; dagegen dieje- nigen, welche nur die Vorſtellungskraft reizen, fuͤr ſich weder gefallen noch mißfallen, ſondern nur aufgenom- men, und abgebildet werden, welche Beſchaͤfftigung ſelbſt angenehm oder unangenehm ſeyn kann, und andere dergleichen Folgen veranlaſſen. Dieſe Erinnerung iſt vielleicht uͤberfluͤßig, aber in mikroſkopiſchen Unterſuchun- gen kann man nicht leicht allzuſcharf und allzu genau zu- ſehen.
6.
Die empfindſamen Veraͤnderungen, und die be- wegenden haben den gemeinſchaftlichen Charakter, daß ſie ſtaͤrker und verwirrter ſind, als diejenigen, auf welche ſich die Vorſtellungskraft verwendet. Aber wenn nun von neuen die Frage iſt, welche unter dieſen denn vorzuͤglich die Empfindſamkeit unterhalten, und wel- che mehr die Triebfedern fuͤr die handelnde Thaͤtigkeits- kraft ſind, ſo deucht mich, die Beobachtungen fuͤhren dahin, das erſtere ſey eine Folge des Angenehmen;
das
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0780"n="720"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b"><hirendition="#aq">X.</hi> Verſuch. Ueber die Beziehung</hi></fw><lb/>ſen ſeyn. Allein dieß iſt es nicht, worauf es hier eigentlich<lb/>
ankommt. Die Empfindung kann deswegen, als ein<lb/>
gefuͤhlter gegenwaͤrtiger Zuſtand, fuͤr ſich ganz geſchmack-<lb/>
los ſeyn. Dem Geometer machet der Anblick ſeiner Fi-<lb/>
guren kein ſolches Vergnuͤgen, wie dem Kenner der An-<lb/>
blick ſchoͤner Gemaͤlde; aber jene ſetzen ſeine Vernunft<lb/>
in Arbeit, und dieſe Arbeit iſt es, welche ihn ergoͤtzet,<lb/>
und als eine afficirende Empfindung ſeinen thaͤtigen Wil-<lb/>
len beweget, und ihn daher beſtimmet, ſich dieß Ver-<lb/>
gnuͤgen laͤnger und mehrmalen zu verſchaffen. Wenn<lb/>
die afficirenden Empfindungen von ſolchen unterſchieden<lb/>
werden, die auf die Erkenntnißkraft wirken, ſo ſetzet<lb/>
man das Charakteriſtiſche von ihnen darinn, daß jene<lb/>
als gegenwaͤrtige Beſchaffenheiten angenehm oder wie-<lb/>
drig ſind, und daher die Kraft der Seele beſtimmen,<lb/>ſolche zu unterhalten, oder zu veraͤndern; dagegen dieje-<lb/>
nigen, welche nur die Vorſtellungskraft reizen, fuͤr ſich<lb/>
weder gefallen noch mißfallen, ſondern nur aufgenom-<lb/>
men, und abgebildet werden, welche Beſchaͤfftigung<lb/>ſelbſt angenehm oder unangenehm ſeyn kann, und andere<lb/>
dergleichen Folgen veranlaſſen. Dieſe Erinnerung iſt<lb/>
vielleicht uͤberfluͤßig, aber in mikroſkopiſchen Unterſuchun-<lb/>
gen kann man nicht leicht allzuſcharf und allzu genau zu-<lb/>ſehen.</p></div><lb/><divn="3"><head>6.</head><lb/><p>Die <hirendition="#fr">empfindſamen</hi> Veraͤnderungen, und die <hirendition="#fr">be-<lb/>
wegenden</hi> haben den gemeinſchaftlichen Charakter, daß<lb/>ſie <hirendition="#fr">ſtaͤrker</hi> und <hirendition="#fr">verwirrter</hi>ſind, als diejenigen, auf<lb/>
welche ſich die Vorſtellungskraft verwendet. Aber wenn<lb/>
nun von neuen die Frage iſt, welche unter dieſen denn<lb/>
vorzuͤglich die <hirendition="#fr">Empfindſamkeit</hi> unterhalten, und wel-<lb/>
che mehr die Triebfedern fuͤr die handelnde Thaͤtigkeits-<lb/>
kraft ſind, ſo deucht mich, die Beobachtungen fuͤhren<lb/>
dahin, das erſtere ſey eine Folge des <hirendition="#fr">Angenehmen;</hi><lb/><fwplace="bottom"type="catch">das</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[720/0780]
X. Verſuch. Ueber die Beziehung
ſen ſeyn. Allein dieß iſt es nicht, worauf es hier eigentlich
ankommt. Die Empfindung kann deswegen, als ein
gefuͤhlter gegenwaͤrtiger Zuſtand, fuͤr ſich ganz geſchmack-
los ſeyn. Dem Geometer machet der Anblick ſeiner Fi-
guren kein ſolches Vergnuͤgen, wie dem Kenner der An-
blick ſchoͤner Gemaͤlde; aber jene ſetzen ſeine Vernunft
in Arbeit, und dieſe Arbeit iſt es, welche ihn ergoͤtzet,
und als eine afficirende Empfindung ſeinen thaͤtigen Wil-
len beweget, und ihn daher beſtimmet, ſich dieß Ver-
gnuͤgen laͤnger und mehrmalen zu verſchaffen. Wenn
die afficirenden Empfindungen von ſolchen unterſchieden
werden, die auf die Erkenntnißkraft wirken, ſo ſetzet
man das Charakteriſtiſche von ihnen darinn, daß jene
als gegenwaͤrtige Beſchaffenheiten angenehm oder wie-
drig ſind, und daher die Kraft der Seele beſtimmen,
ſolche zu unterhalten, oder zu veraͤndern; dagegen dieje-
nigen, welche nur die Vorſtellungskraft reizen, fuͤr ſich
weder gefallen noch mißfallen, ſondern nur aufgenom-
men, und abgebildet werden, welche Beſchaͤfftigung
ſelbſt angenehm oder unangenehm ſeyn kann, und andere
dergleichen Folgen veranlaſſen. Dieſe Erinnerung iſt
vielleicht uͤberfluͤßig, aber in mikroſkopiſchen Unterſuchun-
gen kann man nicht leicht allzuſcharf und allzu genau zu-
ſehen.
6.
Die empfindſamen Veraͤnderungen, und die be-
wegenden haben den gemeinſchaftlichen Charakter, daß
ſie ſtaͤrker und verwirrter ſind, als diejenigen, auf
welche ſich die Vorſtellungskraft verwendet. Aber wenn
nun von neuen die Frage iſt, welche unter dieſen denn
vorzuͤglich die Empfindſamkeit unterhalten, und wel-
che mehr die Triebfedern fuͤr die handelnde Thaͤtigkeits-
kraft ſind, ſo deucht mich, die Beobachtungen fuͤhren
dahin, das erſtere ſey eine Folge des Angenehmen;
das
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 720. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/780>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.