gungen, und entstehet das Mißvergnügen überhaupt aus dem Mangel dieses Verhältnisses, so haben wir zwo Ar- ten vom Unangenehmen, davon das Eine in dem Zuviel, das andere in dem Zuwenig seinen Grund hat. Jst die Veränderung für die Empfindungskraft, welche sie aufnimmt, zu groß, so entstehet Schmerz; ist sie zu klein, so entstehet Unbehaglichkeit (uneaseness), Un- ruhe aus der Einschränkung, aus Hindernissen, welche sich dem Bestreben thätig zu seyn, im Weg legen, Man- gel des Vergnügens. Beide nöthigen uns, eine Ver- änderung zu suchen; beide spannen die Thätigkeitskraft der Seele. Aber dennoch auf eine unterschiedene Art, die wegen ihrer praktischen Folgen bemerket zu werden verdienet.
Der Schmerz verursachet ein Bestreben zur Ver- änderung, und wirket mit großer Heftigkeit; aber er bestimmet die Richtung dieses Bestrebens nicht zu einer besondern Art von Anwendung. Die Seele will nur ihrem Unglück entgehen, und fliehen, es sey zur Rechten oder zur Linken, auf diesem oder jenem Wege. Und weiter gehet auch die Wirkung des Schmerzens nicht. Der Schmerz erwecket nicht so sehr eine Lust zu einer neuen Thätigkeit, als vielmehr eine Abneigung gegen den Zustand, der ihn erzeuget. Die Furcht wirket für sich nicht mehr Bestreben und Fleiß, als zur Vermei- dung der schmerzhaften Empfindung unentbehrlich ist. Der faule Neger bauet die Erde nicht weiter, als nur um nicht zu verhungern. Aber wenn innere Unbehag- lichkeit oder Uebelseyn, das seinen Grund in einem ge- hinderten und aufgehaltenen Bestreben hat, uns treibet, so ist ein Trieb vorhanden zu der Handlung selbst, als wodurch dieser Unannehmlichkeit nur allein abgeholfen werden kann. Ursprünglich entstehet diese Empfindung aus den Veränderungen, welche das gereizte Gefühl zu wenig beschäftigen. Die erste Wirkung davon ist das
blinde
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der Vorſtellungskraft ⁊c.
gungen, und entſtehet das Mißvergnuͤgen uͤberhaupt aus dem Mangel dieſes Verhaͤltniſſes, ſo haben wir zwo Ar- ten vom Unangenehmen, davon das Eine in dem Zuviel, das andere in dem Zuwenig ſeinen Grund hat. Jſt die Veraͤnderung fuͤr die Empfindungskraft, welche ſie aufnimmt, zu groß, ſo entſtehet Schmerz; iſt ſie zu klein, ſo entſtehet Unbehaglichkeit (uneaſeneſs), Un- ruhe aus der Einſchraͤnkung, aus Hinderniſſen, welche ſich dem Beſtreben thaͤtig zu ſeyn, im Weg legen, Man- gel des Vergnuͤgens. Beide noͤthigen uns, eine Ver- aͤnderung zu ſuchen; beide ſpannen die Thaͤtigkeitskraft der Seele. Aber dennoch auf eine unterſchiedene Art, die wegen ihrer praktiſchen Folgen bemerket zu werden verdienet.
Der Schmerz verurſachet ein Beſtreben zur Ver- aͤnderung, und wirket mit großer Heftigkeit; aber er beſtimmet die Richtung dieſes Beſtrebens nicht zu einer beſondern Art von Anwendung. Die Seele will nur ihrem Ungluͤck entgehen, und fliehen, es ſey zur Rechten oder zur Linken, auf dieſem oder jenem Wege. Und weiter gehet auch die Wirkung des Schmerzens nicht. Der Schmerz erwecket nicht ſo ſehr eine Luſt zu einer neuen Thaͤtigkeit, als vielmehr eine Abneigung gegen den Zuſtand, der ihn erzeuget. Die Furcht wirket fuͤr ſich nicht mehr Beſtreben und Fleiß, als zur Vermei- dung der ſchmerzhaften Empfindung unentbehrlich iſt. Der faule Neger bauet die Erde nicht weiter, als nur um nicht zu verhungern. Aber wenn innere Unbehag- lichkeit oder Uebelſeyn, das ſeinen Grund in einem ge- hinderten und aufgehaltenen Beſtreben hat, uns treibet, ſo iſt ein Trieb vorhanden zu der Handlung ſelbſt, als wodurch dieſer Unannehmlichkeit nur allein abgeholfen werden kann. Urſpruͤnglich entſtehet dieſe Empfindung aus den Veraͤnderungen, welche das gereizte Gefuͤhl zu wenig beſchaͤftigen. Die erſte Wirkung davon iſt das
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der Vorſtellungskraft ⁊c.
gungen, und entſtehet das Mißvergnuͤgen uͤberhaupt aus
dem Mangel dieſes Verhaͤltniſſes, ſo haben wir zwo Ar-
ten vom Unangenehmen, davon das Eine in dem Zuviel,
das andere in dem Zuwenig ſeinen Grund hat. Jſt
die Veraͤnderung fuͤr die Empfindungskraft, welche ſie
aufnimmt, zu groß, ſo entſtehet Schmerz; iſt ſie zu
klein, ſo entſtehet Unbehaglichkeit (uneaſeneſs), Un-
ruhe aus der Einſchraͤnkung, aus Hinderniſſen, welche
ſich dem Beſtreben thaͤtig zu ſeyn, im Weg legen, Man-
gel des Vergnuͤgens. Beide noͤthigen uns, eine Ver-
aͤnderung zu ſuchen; beide ſpannen die Thaͤtigkeitskraft
der Seele. Aber dennoch auf eine unterſchiedene Art,
die wegen ihrer praktiſchen Folgen bemerket zu werden
verdienet.
Der Schmerz verurſachet ein Beſtreben zur Ver-
aͤnderung, und wirket mit großer Heftigkeit; aber er
beſtimmet die Richtung dieſes Beſtrebens nicht zu einer
beſondern Art von Anwendung. Die Seele will nur
ihrem Ungluͤck entgehen, und fliehen, es ſey zur Rechten
oder zur Linken, auf dieſem oder jenem Wege. Und
weiter gehet auch die Wirkung des Schmerzens nicht.
Der Schmerz erwecket nicht ſo ſehr eine Luſt zu einer
neuen Thaͤtigkeit, als vielmehr eine Abneigung gegen
den Zuſtand, der ihn erzeuget. Die Furcht wirket fuͤr
ſich nicht mehr Beſtreben und Fleiß, als zur Vermei-
dung der ſchmerzhaften Empfindung unentbehrlich iſt.
Der faule Neger bauet die Erde nicht weiter, als nur
um nicht zu verhungern. Aber wenn innere Unbehag-
lichkeit oder Uebelſeyn, das ſeinen Grund in einem ge-
hinderten und aufgehaltenen Beſtreben hat, uns treibet,
ſo iſt ein Trieb vorhanden zu der Handlung ſelbſt, als
wodurch dieſer Unannehmlichkeit nur allein abgeholfen
werden kann. Urſpruͤnglich entſtehet dieſe Empfindung
aus den Veraͤnderungen, welche das gereizte Gefuͤhl zu
wenig beſchaͤftigen. Die erſte Wirkung davon iſt das
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 725. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/785>, abgerufen am 22.12.2024.
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