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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777.

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I. Versuch. Ueber die Natur

8) Die Analogie der Vorstellungen mit den Ver-
änderungen der Seele, aus welchen sie zurückgeblieben
sind, machet sie geschickt, Zeichen und Bilder von
diesen zu seyn. Sie entsprechen ihnen. Daraus folget
nicht, daß sie auch völlig gleichartige Modifikationen
mit den ehemaligen Veränderungen seyn müssen. Sie
sind es die meisten male, wenn sie wieder erwecket wor-
den und in uns lebhaft gegenwärtig, und dann öfters
nur in einem mindern Grade der Lebhaftigkeit von je-
nen unterschieden sind. Man übereile sich nicht, und
schließe nicht, daß sie es allemal so sind, noch weniger,
daß sie es seyn müssen. Die Beziehung der Vorstel-
lungen auf ihre vorhergegangenen Modifikationen ist die
allgemeine Analogie zwischen Wirkungen und
Ursachen.
Sie darf auch nicht näher bestimmet wer-
den, als diese, wenn man sie sich also gedenken will, wie
sie im Allgemeinen bey allen Arten von Vorstellungen
angetroffen wird. Eine solche Analogie enthält nichts
mehr, als eine Jdendität in den Beziehungen.
Jede Beschaffenheit der Wirkung beziehet sich auf eine
gewisse Beschaffenheit in der Ursache, welche die ihr zu-
gehörige
oder die ihr entsprechende genennet wird.
Die Verhältnisse und Beziehungen, worinnen die Be-
schaffenheiten der Wirkung gegen einander stehen, sind
aber dieselbigen, welche zwischen den ihnen entsprechen-
den Beschaffenheiten in der Ursache statt finden. Dieß
hindert nicht, daß nicht die Ursache und ihre Wirkung
unvergleichbare und ungleichartige Dinge sind, die unter
keinem bestimmten gemeinschaftlichen Begriff befasset
werden können. Es ist die Analogie nur blos Einer-
leyheit in den Verhältnissen der Beschaffenhei-
ten;
nicht die Aehnlichkeit der absoluten Beschaffenhei-
ten selbst. Nicht die ganze Aehnlichkeit eines Lamms
mit dem Mutterschaaf; nur die Aehnlichkeit der
Statue von Stein oder Metall mit dem thierischen und

beseel-
I. Verſuch. Ueber die Natur

8) Die Analogie der Vorſtellungen mit den Ver-
aͤnderungen der Seele, aus welchen ſie zuruͤckgeblieben
ſind, machet ſie geſchickt, Zeichen und Bilder von
dieſen zu ſeyn. Sie entſprechen ihnen. Daraus folget
nicht, daß ſie auch voͤllig gleichartige Modifikationen
mit den ehemaligen Veraͤnderungen ſeyn muͤſſen. Sie
ſind es die meiſten male, wenn ſie wieder erwecket wor-
den und in uns lebhaft gegenwaͤrtig, und dann oͤfters
nur in einem mindern Grade der Lebhaftigkeit von je-
nen unterſchieden ſind. Man uͤbereile ſich nicht, und
ſchließe nicht, daß ſie es allemal ſo ſind, noch weniger,
daß ſie es ſeyn muͤſſen. Die Beziehung der Vorſtel-
lungen auf ihre vorhergegangenen Modifikationen iſt die
allgemeine Analogie zwiſchen Wirkungen und
Urſachen.
Sie darf auch nicht naͤher beſtimmet wer-
den, als dieſe, wenn man ſie ſich alſo gedenken will, wie
ſie im Allgemeinen bey allen Arten von Vorſtellungen
angetroffen wird. Eine ſolche Analogie enthaͤlt nichts
mehr, als eine Jdenditaͤt in den Beziehungen.
Jede Beſchaffenheit der Wirkung beziehet ſich auf eine
gewiſſe Beſchaffenheit in der Urſache, welche die ihr zu-
gehoͤrige
oder die ihr entſprechende genennet wird.
Die Verhaͤltniſſe und Beziehungen, worinnen die Be-
ſchaffenheiten der Wirkung gegen einander ſtehen, ſind
aber dieſelbigen, welche zwiſchen den ihnen entſprechen-
den Beſchaffenheiten in der Urſache ſtatt finden. Dieß
hindert nicht, daß nicht die Urſache und ihre Wirkung
unvergleichbare und ungleichartige Dinge ſind, die unter
keinem beſtimmten gemeinſchaftlichen Begriff befaſſet
werden koͤnnen. Es iſt die Analogie nur blos Einer-
leyheit in den Verhaͤltniſſen der Beſchaffenhei-
ten;
nicht die Aehnlichkeit der abſoluten Beſchaffenhei-
ten ſelbſt. Nicht die ganze Aehnlichkeit eines Lamms
mit dem Mutterſchaaf; nur die Aehnlichkeit der
Statue von Stein oder Metall mit dem thieriſchen und

beſeel-
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[20/0080] I. Verſuch. Ueber die Natur 8) Die Analogie der Vorſtellungen mit den Ver- aͤnderungen der Seele, aus welchen ſie zuruͤckgeblieben ſind, machet ſie geſchickt, Zeichen und Bilder von dieſen zu ſeyn. Sie entſprechen ihnen. Daraus folget nicht, daß ſie auch voͤllig gleichartige Modifikationen mit den ehemaligen Veraͤnderungen ſeyn muͤſſen. Sie ſind es die meiſten male, wenn ſie wieder erwecket wor- den und in uns lebhaft gegenwaͤrtig, und dann oͤfters nur in einem mindern Grade der Lebhaftigkeit von je- nen unterſchieden ſind. Man uͤbereile ſich nicht, und ſchließe nicht, daß ſie es allemal ſo ſind, noch weniger, daß ſie es ſeyn muͤſſen. Die Beziehung der Vorſtel- lungen auf ihre vorhergegangenen Modifikationen iſt die allgemeine Analogie zwiſchen Wirkungen und Urſachen. Sie darf auch nicht naͤher beſtimmet wer- den, als dieſe, wenn man ſie ſich alſo gedenken will, wie ſie im Allgemeinen bey allen Arten von Vorſtellungen angetroffen wird. Eine ſolche Analogie enthaͤlt nichts mehr, als eine Jdenditaͤt in den Beziehungen. Jede Beſchaffenheit der Wirkung beziehet ſich auf eine gewiſſe Beſchaffenheit in der Urſache, welche die ihr zu- gehoͤrige oder die ihr entſprechende genennet wird. Die Verhaͤltniſſe und Beziehungen, worinnen die Be- ſchaffenheiten der Wirkung gegen einander ſtehen, ſind aber dieſelbigen, welche zwiſchen den ihnen entſprechen- den Beſchaffenheiten in der Urſache ſtatt finden. Dieß hindert nicht, daß nicht die Urſache und ihre Wirkung unvergleichbare und ungleichartige Dinge ſind, die unter keinem beſtimmten gemeinſchaftlichen Begriff befaſſet werden koͤnnen. Es iſt die Analogie nur blos Einer- leyheit in den Verhaͤltniſſen der Beſchaffenhei- ten; nicht die Aehnlichkeit der abſoluten Beſchaffenhei- ten ſelbſt. Nicht die ganze Aehnlichkeit eines Lamms mit dem Mutterſchaaf; nur die Aehnlichkeit der Statue von Stein oder Metall mit dem thieriſchen und beſeel-

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/80>, abgerufen am 17.05.2024.