Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777.

Bild:
<< vorherige Seite

zum eilften Versuch.
sionen auf das Gehör mögen unter die erstern gehören,
welche die Reflexion gewahrnimmt und unterscheidet,
aber daß sie als Merkzeichen von Gegenständen ge-
brauchet wurden, setzte voraus, daß diese Empfindun-
gen mit den Empfindungen des Gefühls und des Ge-
sichts vereiniget waren, und zusammen Eine Jdee von
einem Objekte ausmachten. Diese Vereinigung konnte
aber so geschwinde nicht vor sich gehen. Die Eindrücke
des Gehörs weisen am wenigsten auf die Stelle hin,
wo sie her kommen. Wie konnte also der Mensch, der
das Schaaf vor Augen hatte, wissen, daß der Schall
des Blöckens von dem Dinge herkomme, das er sah
und fühlte? Ehe er dieß erkannte, mußte die so klar und
leicht sich absondernde sichtliche Gestalt des Schaafs und
seine Farbe schon bemerket seyn. Der Hang, bey den
Sachen auf die Töne Acht zu haben, und sie dadurch zu
charakterisiren, scheinet mehr eine Wirkung von vorher
gegangenen Erfahrungen zu seyn, aus denen man es
erlernet hatte, daß diese die brauchbarsten Bezeichnun-
gen wären, um andern seine eigenen Eindrücke bekannt
zu machen; als davon, daß die Gegenstände sich am leich-
testen durch ihre Töne hätten in uns bemerken und unter-
scheiden lassen.

Die Ursache, warum alle Arten von Empfindun-
gen und Jdeen sich mit den Gehörseindrücken in der
Folge vereiniget, und durch den nämlichen Weg mit
diesen hervor zu gehen, scheint viel näher zu liegen.
"Die Gehörsempfindungen sind die einzigen, welche
"so wie sie aufgenommen sind, nachgemacht und äußer-
"lich dargestellet werden können, ohne die nämlichen
"oder ihnen ähnlichen Dinge, von welchen sie zuerst ent-
"standen, vor sich zu haben." Das gesehene Rind
durch gezogene Linien wieder sichtbar zu machen, war
weitläuftig. Die Mittheilung des Geschmacks, des
Geruchs und des Gefühls erfodert, daß dieselbigen Ge-
genstände den Sinnen des andern vorgehalten wurden,

oder
C c c 2

zum eilften Verſuch.
ſionen auf das Gehoͤr moͤgen unter die erſtern gehoͤren,
welche die Reflexion gewahrnimmt und unterſcheidet,
aber daß ſie als Merkzeichen von Gegenſtaͤnden ge-
brauchet wurden, ſetzte voraus, daß dieſe Empfindun-
gen mit den Empfindungen des Gefuͤhls und des Ge-
ſichts vereiniget waren, und zuſammen Eine Jdee von
einem Objekte ausmachten. Dieſe Vereinigung konnte
aber ſo geſchwinde nicht vor ſich gehen. Die Eindruͤcke
des Gehoͤrs weiſen am wenigſten auf die Stelle hin,
wo ſie her kommen. Wie konnte alſo der Menſch, der
das Schaaf vor Augen hatte, wiſſen, daß der Schall
des Bloͤckens von dem Dinge herkomme, das er ſah
und fuͤhlte? Ehe er dieß erkannte, mußte die ſo klar und
leicht ſich abſondernde ſichtliche Geſtalt des Schaafs und
ſeine Farbe ſchon bemerket ſeyn. Der Hang, bey den
Sachen auf die Toͤne Acht zu haben, und ſie dadurch zu
charakteriſiren, ſcheinet mehr eine Wirkung von vorher
gegangenen Erfahrungen zu ſeyn, aus denen man es
erlernet hatte, daß dieſe die brauchbarſten Bezeichnun-
gen waͤren, um andern ſeine eigenen Eindruͤcke bekannt
zu machen; als davon, daß die Gegenſtaͤnde ſich am leich-
teſten durch ihre Toͤne haͤtten in uns bemerken und unter-
ſcheiden laſſen.

Die Urſache, warum alle Arten von Empfindun-
gen und Jdeen ſich mit den Gehoͤrseindruͤcken in der
Folge vereiniget, und durch den naͤmlichen Weg mit
dieſen hervor zu gehen, ſcheint viel naͤher zu liegen.
„Die Gehoͤrsempfindungen ſind die einzigen, welche
„ſo wie ſie aufgenommen ſind, nachgemacht und aͤußer-
„lich dargeſtellet werden koͤnnen, ohne die naͤmlichen
„oder ihnen aͤhnlichen Dinge, von welchen ſie zuerſt ent-
„ſtanden, vor ſich zu haben.“ Das geſehene Rind
durch gezogene Linien wieder ſichtbar zu machen, war
weitlaͤuftig. Die Mittheilung des Geſchmacks, des
Geruchs und des Gefuͤhls erfodert, daß dieſelbigen Ge-
genſtaͤnde den Sinnen des andern vorgehalten wurden,

oder
C c c 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0831" n="771"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">zum eilften Ver&#x017F;uch.</hi></fw><lb/>
&#x017F;ionen auf das Geho&#x0364;r mo&#x0364;gen unter die <hi rendition="#fr">er&#x017F;tern</hi> geho&#x0364;ren,<lb/>
welche die Reflexion gewahrnimmt und unter&#x017F;cheidet,<lb/>
aber daß &#x017F;ie als <hi rendition="#fr">Merkzeichen von Gegen&#x017F;ta&#x0364;nden</hi> ge-<lb/>
brauchet wurden, &#x017F;etzte voraus, daß die&#x017F;e Empfindun-<lb/>
gen mit den Empfindungen des Gefu&#x0364;hls und des Ge-<lb/>
&#x017F;ichts vereiniget waren, und zu&#x017F;ammen Eine Jdee von<lb/>
einem Objekte ausmachten. Die&#x017F;e Vereinigung konnte<lb/>
aber &#x017F;o ge&#x017F;chwinde nicht vor &#x017F;ich gehen. Die Eindru&#x0364;cke<lb/>
des Geho&#x0364;rs wei&#x017F;en am wenig&#x017F;ten auf die Stelle hin,<lb/>
wo &#x017F;ie her kommen. Wie konnte al&#x017F;o der Men&#x017F;ch, der<lb/>
das Schaaf vor Augen hatte, wi&#x017F;&#x017F;en, daß der Schall<lb/>
des Blo&#x0364;ckens von dem Dinge herkomme, das er &#x017F;ah<lb/>
und fu&#x0364;hlte? Ehe er dieß erkannte, mußte die &#x017F;o klar und<lb/>
leicht &#x017F;ich ab&#x017F;ondernde &#x017F;ichtliche Ge&#x017F;talt des Schaafs und<lb/>
&#x017F;eine Farbe &#x017F;chon bemerket &#x017F;eyn. Der Hang, bey den<lb/>
Sachen auf die To&#x0364;ne Acht zu haben, und &#x017F;ie dadurch zu<lb/>
charakteri&#x017F;iren, &#x017F;cheinet mehr eine Wirkung von vorher<lb/>
gegangenen Erfahrungen zu &#x017F;eyn, aus denen man es<lb/>
erlernet hatte, daß die&#x017F;e die brauchbar&#x017F;ten Bezeichnun-<lb/>
gen wa&#x0364;ren, um andern &#x017F;eine eigenen Eindru&#x0364;cke bekannt<lb/>
zu machen; als davon, daß die Gegen&#x017F;ta&#x0364;nde &#x017F;ich am leich-<lb/>
te&#x017F;ten durch ihre To&#x0364;ne ha&#x0364;tten in uns bemerken und unter-<lb/>
&#x017F;cheiden la&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
          <p>Die Ur&#x017F;ache, warum alle Arten von Empfindun-<lb/>
gen und Jdeen &#x017F;ich mit den <hi rendition="#fr">Geho&#x0364;rseindru&#x0364;cken</hi> in der<lb/>
Folge vereiniget, und durch den na&#x0364;mlichen Weg mit<lb/>
die&#x017F;en hervor zu gehen, &#x017F;cheint viel na&#x0364;her zu liegen.<lb/>
&#x201E;Die Geho&#x0364;rsempfindungen &#x017F;ind die <hi rendition="#fr">einzigen,</hi> welche<lb/>
&#x201E;&#x017F;o wie &#x017F;ie aufgenommen &#x017F;ind, nachgemacht und a&#x0364;ußer-<lb/>
&#x201E;lich darge&#x017F;tellet werden ko&#x0364;nnen, ohne die na&#x0364;mlichen<lb/>
&#x201E;oder ihnen a&#x0364;hnlichen Dinge, von welchen &#x017F;ie zuer&#x017F;t ent-<lb/>
&#x201E;&#x017F;tanden, vor &#x017F;ich zu haben.&#x201C; Das ge&#x017F;ehene Rind<lb/>
durch gezogene Linien wieder &#x017F;ichtbar zu machen, war<lb/>
weitla&#x0364;uftig. Die Mittheilung des Ge&#x017F;chmacks, des<lb/>
Geruchs und des Gefu&#x0364;hls erfodert, daß die&#x017F;elbigen Ge-<lb/>
gen&#x017F;ta&#x0364;nde den Sinnen des andern vorgehalten wurden,<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">C c c 2</fw><fw place="bottom" type="catch">oder</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[771/0831] zum eilften Verſuch. ſionen auf das Gehoͤr moͤgen unter die erſtern gehoͤren, welche die Reflexion gewahrnimmt und unterſcheidet, aber daß ſie als Merkzeichen von Gegenſtaͤnden ge- brauchet wurden, ſetzte voraus, daß dieſe Empfindun- gen mit den Empfindungen des Gefuͤhls und des Ge- ſichts vereiniget waren, und zuſammen Eine Jdee von einem Objekte ausmachten. Dieſe Vereinigung konnte aber ſo geſchwinde nicht vor ſich gehen. Die Eindruͤcke des Gehoͤrs weiſen am wenigſten auf die Stelle hin, wo ſie her kommen. Wie konnte alſo der Menſch, der das Schaaf vor Augen hatte, wiſſen, daß der Schall des Bloͤckens von dem Dinge herkomme, das er ſah und fuͤhlte? Ehe er dieß erkannte, mußte die ſo klar und leicht ſich abſondernde ſichtliche Geſtalt des Schaafs und ſeine Farbe ſchon bemerket ſeyn. Der Hang, bey den Sachen auf die Toͤne Acht zu haben, und ſie dadurch zu charakteriſiren, ſcheinet mehr eine Wirkung von vorher gegangenen Erfahrungen zu ſeyn, aus denen man es erlernet hatte, daß dieſe die brauchbarſten Bezeichnun- gen waͤren, um andern ſeine eigenen Eindruͤcke bekannt zu machen; als davon, daß die Gegenſtaͤnde ſich am leich- teſten durch ihre Toͤne haͤtten in uns bemerken und unter- ſcheiden laſſen. Die Urſache, warum alle Arten von Empfindun- gen und Jdeen ſich mit den Gehoͤrseindruͤcken in der Folge vereiniget, und durch den naͤmlichen Weg mit dieſen hervor zu gehen, ſcheint viel naͤher zu liegen. „Die Gehoͤrsempfindungen ſind die einzigen, welche „ſo wie ſie aufgenommen ſind, nachgemacht und aͤußer- „lich dargeſtellet werden koͤnnen, ohne die naͤmlichen „oder ihnen aͤhnlichen Dinge, von welchen ſie zuerſt ent- „ſtanden, vor ſich zu haben.“ Das geſehene Rind durch gezogene Linien wieder ſichtbar zu machen, war weitlaͤuftig. Die Mittheilung des Geſchmacks, des Geruchs und des Gefuͤhls erfodert, daß dieſelbigen Ge- genſtaͤnde den Sinnen des andern vorgehalten wurden, oder C c c 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/831
Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 771. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/831>, abgerufen am 22.12.2024.