Auf welche Art wird das innere Princip in der Seele rege gemacht? und worinn besteht diese Erregung?
Jst dieß innere Princip, ehe es noch den äußern Reiz empfängt, bloßes Vermögen, etwas zu ver- richten, bloße Möglichkeit; oder ist es schon thätige obgleich uns verborgene Kraft?
Wenn das letztere ist, worinn bestehen die Aeuße- rungen, die Bestrebungen dieses Princips, ehe die Er- weckung von außen durch den Körper dazu kommt? Hievon haben wir wohl nicht einmal Begriffe? oder sind diese Aeußerungen eben dieselbigen, die wir das Fühlen, das Vorstellen, Denken, Wollen nennen? innerlich dieselbigen, nur daß wir sie nicht gewahrneh- men können? Geben die Eindrücke von außen nichts mehr her, als die Gegenstände, auf welche das innere Princip sich anwendet, und mit denen die Aktionen erst selbst empfindbar vor uns werden? Die Elasticität in der gespannten Feder ist innerlich derselbige wirksame Trieb, dasselbige Bestreben, derselbige Drang sich zu äußern, die Feder mag in diesem gespannten Zustande erhalten, oder losgelassen werden; sie mag eine Kugel antreffen, die sie fortstößt, oder sich selbst ausdehnen. Jst dieß ein Bild von der innern Eigenmacht der mensch- lichen Seele?
Wenn es sich nicht so verhält, kann es denn nicht seyn, daß beides Seele und Körper, jeder aber für sich, nur in Verbindung wirken? Die Aktion der Seele selbst ist Eigenmacht, und der Beytrag des Körpers ist es auch. Was beide zusammenwirken, das kann viel- leicht in seinem Effekt erst beobachtbar werden, ohne daß die Aeußerung der Seele für sich allein es seyn würde. Und dieses Ganze wird als ein Effekt der Seele angesehen, weil sie die vornehmste der beywirkenden Ursachen ist. Sollte es sich so verhalten?
Von
XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeit
Auf welche Art wird das innere Princip in der Seele rege gemacht? und worinn beſteht dieſe Erregung?
Jſt dieß innere Princip, ehe es noch den aͤußern Reiz empfaͤngt, bloßes Vermoͤgen, etwas zu ver- richten, bloße Moͤglichkeit; oder iſt es ſchon thaͤtige obgleich uns verborgene Kraft?
Wenn das letztere iſt, worinn beſtehen die Aeuße- rungen, die Beſtrebungen dieſes Princips, ehe die Er- weckung von außen durch den Koͤrper dazu kommt? Hievon haben wir wohl nicht einmal Begriffe? oder ſind dieſe Aeußerungen eben dieſelbigen, die wir das Fuͤhlen, das Vorſtellen, Denken, Wollen nennen? innerlich dieſelbigen, nur daß wir ſie nicht gewahrneh- men koͤnnen? Geben die Eindruͤcke von außen nichts mehr her, als die Gegenſtaͤnde, auf welche das innere Princip ſich anwendet, und mit denen die Aktionen erſt ſelbſt empfindbar vor uns werden? Die Elaſticitaͤt in der geſpannten Feder iſt innerlich derſelbige wirkſame Trieb, daſſelbige Beſtreben, derſelbige Drang ſich zu aͤußern, die Feder mag in dieſem geſpannten Zuſtande erhalten, oder losgelaſſen werden; ſie mag eine Kugel antreffen, die ſie fortſtoͤßt, oder ſich ſelbſt ausdehnen. Jſt dieß ein Bild von der innern Eigenmacht der menſch- lichen Seele?
Wenn es ſich nicht ſo verhaͤlt, kann es denn nicht ſeyn, daß beides Seele und Koͤrper, jeder aber fuͤr ſich, nur in Verbindung wirken? Die Aktion der Seele ſelbſt iſt Eigenmacht, und der Beytrag des Koͤrpers iſt es auch. Was beide zuſammenwirken, das kann viel- leicht in ſeinem Effekt erſt beobachtbar werden, ohne daß die Aeußerung der Seele fuͤr ſich allein es ſeyn wuͤrde. Und dieſes Ganze wird als ein Effekt der Seele angeſehen, weil ſie die vornehmſte der beywirkenden Urſachen iſt. Sollte es ſich ſo verhalten?
Von
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XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeit
Auf welche Art wird das innere Princip in der Seele
rege gemacht? und worinn beſteht dieſe Erregung?
Jſt dieß innere Princip, ehe es noch den aͤußern
Reiz empfaͤngt, bloßes Vermoͤgen, etwas zu ver-
richten, bloße Moͤglichkeit; oder iſt es ſchon thaͤtige
obgleich uns verborgene Kraft?
Wenn das letztere iſt, worinn beſtehen die Aeuße-
rungen, die Beſtrebungen dieſes Princips, ehe die Er-
weckung von außen durch den Koͤrper dazu kommt?
Hievon haben wir wohl nicht einmal Begriffe? oder
ſind dieſe Aeußerungen eben dieſelbigen, die wir das
Fuͤhlen, das Vorſtellen, Denken, Wollen nennen?
innerlich dieſelbigen, nur daß wir ſie nicht gewahrneh-
men koͤnnen? Geben die Eindruͤcke von außen nichts
mehr her, als die Gegenſtaͤnde, auf welche das innere
Princip ſich anwendet, und mit denen die Aktionen erſt
ſelbſt empfindbar vor uns werden? Die Elaſticitaͤt in
der geſpannten Feder iſt innerlich derſelbige wirkſame
Trieb, daſſelbige Beſtreben, derſelbige Drang ſich zu
aͤußern, die Feder mag in dieſem geſpannten Zuſtande
erhalten, oder losgelaſſen werden; ſie mag eine Kugel
antreffen, die ſie fortſtoͤßt, oder ſich ſelbſt ausdehnen.
Jſt dieß ein Bild von der innern Eigenmacht der menſch-
lichen Seele?
Wenn es ſich nicht ſo verhaͤlt, kann es denn nicht
ſeyn, daß beides Seele und Koͤrper, jeder aber fuͤr ſich,
nur in Verbindung wirken? Die Aktion der Seele
ſelbſt iſt Eigenmacht, und der Beytrag des Koͤrpers iſt
es auch. Was beide zuſammenwirken, das kann viel-
leicht in ſeinem Effekt erſt beobachtbar werden, ohne
daß die Aeußerung der Seele fuͤr ſich allein es ſeyn
wuͤrde. Und dieſes Ganze wird als ein Effekt der Seele
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/100>, abgerufen am 16.02.2025.
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