die ausgedehnter, intensiv stärker, und voller verwirr- ten und dunkeln Stellen ist, und er erhält sich dennoch in seiner Fassung; da hingegen der schwache Kopf bey der geringsten Lebhaftigkeit und Verwirrung fortgeris- sen wird. Jener behält sich in seiner Gewalt, so lange diese Scene in ihm sein eigen Werk ist, das nur durch seine Thätigkeit da ist, und verschwindet, sobald er seine Kraft zurückziehet; dieser geräth außer sich, und sein Blut und sein Gehirn spielt in ihm fort. Es sind öf- ters dieselbigen Vorstellungen, die wir anfangs mit Mühe zusammengesucht und geordnet haben, und die uns nachher, nachdem wir schon allzulange und zu hef- tig mit ihnen uns befasset haben, nicht wieder sogleich verlassen, als es uns gefällig ist, und als wir aufhören, sie zu erregen.
Aber dennoch lehret es die Erfahrung, "daß diese "ihre größere und geringere Abhängigkiet von der in- "nern Seelenkraft auch mit ihrer Dunkelheit und Klar- "heit, Verwirrung und Deutlichkeit, Stärke und "Schwäche, in Beziehung stehe." Je näher sie für sich den Empfindungen kommen, deren zurückgeblie- bene Spuren sie sind, desto mehr sind sie auch, wenn alles übrige gleich ist, Leidenheiten, oder desto leichter werden sie es. Je mehr auseinandergesetzt und je deut- licher sie sind, desto mehr sind sie schon bey ihrem ersten Entstehen auch Wirkungen von selbstthätigen Seelen- äusserungen, und desto mehr hängt auch bey ihrer Re- produktion von diesen letztern ab. Dazu kommt, daß sie auch in jenem Fall mehr nach Art der Empfindun- gen wirken, und die Seelenkraft zu neuen instinktarti- gen Aktionen reizen, als sie es thun, wenn sie entwickelt und vernünftig sind. Je dunkler, je verwirrter, je mehr bestimmter und vielbefassender die Vorstellungen sind, desto ehe regieren und lenken sie unser Wollen, und un- sere Thätigkeit.
Es
XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeit
die ausgedehnter, intenſiv ſtaͤrker, und voller verwirr- ten und dunkeln Stellen iſt, und er erhaͤlt ſich dennoch in ſeiner Faſſung; da hingegen der ſchwache Kopf bey der geringſten Lebhaftigkeit und Verwirrung fortgeriſ- ſen wird. Jener behaͤlt ſich in ſeiner Gewalt, ſo lange dieſe Scene in ihm ſein eigen Werk iſt, das nur durch ſeine Thaͤtigkeit da iſt, und verſchwindet, ſobald er ſeine Kraft zuruͤckziehet; dieſer geraͤth außer ſich, und ſein Blut und ſein Gehirn ſpielt in ihm fort. Es ſind oͤf- ters dieſelbigen Vorſtellungen, die wir anfangs mit Muͤhe zuſammengeſucht und geordnet haben, und die uns nachher, nachdem wir ſchon allzulange und zu hef- tig mit ihnen uns befaſſet haben, nicht wieder ſogleich verlaſſen, als es uns gefaͤllig iſt, und als wir aufhoͤren, ſie zu erregen.
Aber dennoch lehret es die Erfahrung, „daß dieſe „ihre groͤßere und geringere Abhaͤngigkiet von der in- „nern Seelenkraft auch mit ihrer Dunkelheit und Klar- „heit, Verwirrung und Deutlichkeit, Staͤrke und „Schwaͤche, in Beziehung ſtehe.‟ Je naͤher ſie fuͤr ſich den Empfindungen kommen, deren zuruͤckgeblie- bene Spuren ſie ſind, deſto mehr ſind ſie auch, wenn alles uͤbrige gleich iſt, Leidenheiten, oder deſto leichter werden ſie es. Je mehr auseinandergeſetzt und je deut- licher ſie ſind, deſto mehr ſind ſie ſchon bey ihrem erſten Entſtehen auch Wirkungen von ſelbſtthaͤtigen Seelen- aͤuſſerungen, und deſto mehr haͤngt auch bey ihrer Re- produktion von dieſen letztern ab. Dazu kommt, daß ſie auch in jenem Fall mehr nach Art der Empfindun- gen wirken, und die Seelenkraft zu neuen inſtinktarti- gen Aktionen reizen, als ſie es thun, wenn ſie entwickelt und vernuͤnftig ſind. Je dunkler, je verwirrter, je mehr beſtimmter und vielbefaſſender die Vorſtellungen ſind, deſto ehe regieren und lenken ſie unſer Wollen, und un- ſere Thaͤtigkeit.
Es
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XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeit
die ausgedehnter, intenſiv ſtaͤrker, und voller verwirr-
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in ſeiner Faſſung; da hingegen der ſchwache Kopf bey
der geringſten Lebhaftigkeit und Verwirrung fortgeriſ-
ſen wird. Jener behaͤlt ſich in ſeiner Gewalt, ſo lange
dieſe Scene in ihm ſein eigen Werk iſt, das nur durch
ſeine Thaͤtigkeit da iſt, und verſchwindet, ſobald er ſeine
Kraft zuruͤckziehet; dieſer geraͤth außer ſich, und ſein
Blut und ſein Gehirn ſpielt in ihm fort. Es ſind oͤf-
ters dieſelbigen Vorſtellungen, die wir anfangs mit
Muͤhe zuſammengeſucht und geordnet haben, und die
uns nachher, nachdem wir ſchon allzulange und zu hef-
tig mit ihnen uns befaſſet haben, nicht wieder ſogleich
verlaſſen, als es uns gefaͤllig iſt, und als wir aufhoͤren,
ſie zu erregen.
Aber dennoch lehret es die Erfahrung, „daß dieſe
„ihre groͤßere und geringere Abhaͤngigkiet von der in-
„nern Seelenkraft auch mit ihrer Dunkelheit und Klar-
„heit, Verwirrung und Deutlichkeit, Staͤrke und
„Schwaͤche, in Beziehung ſtehe.‟ Je naͤher ſie fuͤr
ſich den Empfindungen kommen, deren zuruͤckgeblie-
bene Spuren ſie ſind, deſto mehr ſind ſie auch, wenn
alles uͤbrige gleich iſt, Leidenheiten, oder deſto leichter
werden ſie es. Je mehr auseinandergeſetzt und je deut-
licher ſie ſind, deſto mehr ſind ſie ſchon bey ihrem erſten
Entſtehen auch Wirkungen von ſelbſtthaͤtigen Seelen-
aͤuſſerungen, und deſto mehr haͤngt auch bey ihrer Re-
produktion von dieſen letztern ab. Dazu kommt, daß
ſie auch in jenem Fall mehr nach Art der Empfindun-
gen wirken, und die Seelenkraft zu neuen inſtinktarti-
gen Aktionen reizen, als ſie es thun, wenn ſie entwickelt
und vernuͤnftig ſind. Je dunkler, je verwirrter, je mehr
beſtimmter und vielbefaſſender die Vorſtellungen ſind,
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/108>, abgerufen am 21.02.2025.
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