thun? Wenn es sich so verhält, so würde es der ehema- ligen materiellen Jdeen für die Töne in den Fasern des Gehörs nicht mehr bedürfen, und dennoch würden die Vorstellungen von Tönen in der Seele vorhanden seyn können.
Die Beobachtung verläßt uns hier gänzlich. Denn wenn gleich das äußere Sinnglied Schaden leidet, wenn Taubheit oder Blindheit entstehet, und dennoch der Mensch sich der ehemaligen Jmpressionen aufs Auge und Ohr erinnern kann: so läßt sich, wie man wohl siehet, daraus nicht schließen, daß dieß Unvermögen, sinnlich beweget zu werden, sich bis in die innern Theile des Organs in dem Gehirn erstrecke, wo die dadurch erlangten materiellen Jdeen aufbewahret sind, oder wo wenigstens die sinnlichen Bewegungen nothwendig sind, welche die Phantasien begleiten. Wir haben hier also keine entscheidende Beobachtungen, und also nur die unsichere Analogie, die uns hierüber etwas lehren kann.
Auf der einen Seite ist es wahrscheinlich, daß etwas von der ersten materiellen Jdee eines Tons wieder erwecket werden müsse, wenn die ihr zugehörige Vor- stellung in der Seele vorhanden ist. Die materiellen Gesichtsideen, die mit den materiellen Gehörsideen ver- bunden sind, würden doch allein für sich nichts enthal- ten, was sie zu materiellen Jdeen der Töne machte. Wenn also die Vorstellungen von Tönen dennoch in der Seele in Gesellschaft von jenen erneuert würden, so würde folgen, daß diese Gehörsvorstellungen in der Seele kei- ne ihnen insbesondere entsprechende Organsveränderun- gen bey sich haben, welches unwahrscheinlich ist. Zum mindesten müßte man doch annehmen, daß jenen ma- teriellen Jdeen des Gesichts etwas Charakteristisches anklebe, was ihrer Verknüpfung mit den Vorstellun- gen von Tönen entspricht. Dieß ist der sonst bekannten Analogie gemäß.
Hin-
XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſen
thun? Wenn es ſich ſo verhaͤlt, ſo wuͤrde es der ehema- ligen materiellen Jdeen fuͤr die Toͤne in den Faſern des Gehoͤrs nicht mehr beduͤrfen, und dennoch wuͤrden die Vorſtellungen von Toͤnen in der Seele vorhanden ſeyn koͤnnen.
Die Beobachtung verlaͤßt uns hier gaͤnzlich. Denn wenn gleich das aͤußere Sinnglied Schaden leidet, wenn Taubheit oder Blindheit entſtehet, und dennoch der Menſch ſich der ehemaligen Jmpreſſionen aufs Auge und Ohr erinnern kann: ſo laͤßt ſich, wie man wohl ſiehet, daraus nicht ſchließen, daß dieß Unvermoͤgen, ſinnlich beweget zu werden, ſich bis in die innern Theile des Organs in dem Gehirn erſtrecke, wo die dadurch erlangten materiellen Jdeen aufbewahret ſind, oder wo wenigſtens die ſinnlichen Bewegungen nothwendig ſind, welche die Phantaſien begleiten. Wir haben hier alſo keine entſcheidende Beobachtungen, und alſo nur die unſichere Analogie, die uns hieruͤber etwas lehren kann.
Auf der einen Seite iſt es wahrſcheinlich, daß etwas von der erſten materiellen Jdee eines Tons wieder erwecket werden muͤſſe, wenn die ihr zugehoͤrige Vor- ſtellung in der Seele vorhanden iſt. Die materiellen Geſichtsideen, die mit den materiellen Gehoͤrsideen ver- bunden ſind, wuͤrden doch allein fuͤr ſich nichts enthal- ten, was ſie zu materiellen Jdeen der Toͤne machte. Wenn alſo die Vorſtellungen von Toͤnen dennoch in der Seele in Geſellſchaft von jenen erneuert wuͤrden, ſo wuͤrde folgen, daß dieſe Gehoͤrsvorſtellungen in der Seele kei- ne ihnen insbeſondere entſprechende Organsveraͤnderun- gen bey ſich haben, welches unwahrſcheinlich iſt. Zum mindeſten muͤßte man doch annehmen, daß jenen ma- teriellen Jdeen des Geſichts etwas Charakteriſtiſches anklebe, was ihrer Verknuͤpfung mit den Vorſtellun- gen von Toͤnen entſpricht. Dieß iſt der ſonſt bekannten Analogie gemaͤß.
Hin-
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XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſen
thun? Wenn es ſich ſo verhaͤlt, ſo wuͤrde es der ehema-
ligen materiellen Jdeen fuͤr die Toͤne in den Faſern des
Gehoͤrs nicht mehr beduͤrfen, und dennoch wuͤrden die
Vorſtellungen von Toͤnen in der Seele vorhanden ſeyn
koͤnnen.
Die Beobachtung verlaͤßt uns hier gaͤnzlich. Denn
wenn gleich das aͤußere Sinnglied Schaden leidet, wenn
Taubheit oder Blindheit entſtehet, und dennoch der
Menſch ſich der ehemaligen Jmpreſſionen aufs Auge
und Ohr erinnern kann: ſo laͤßt ſich, wie man wohl
ſiehet, daraus nicht ſchließen, daß dieß Unvermoͤgen,
ſinnlich beweget zu werden, ſich bis in die innern Theile
des Organs in dem Gehirn erſtrecke, wo die dadurch
erlangten materiellen Jdeen aufbewahret ſind, oder wo
wenigſtens die ſinnlichen Bewegungen nothwendig ſind,
welche die Phantaſien begleiten. Wir haben hier alſo
keine entſcheidende Beobachtungen, und alſo nur die
unſichere Analogie, die uns hieruͤber etwas lehren kann.
Auf der einen Seite iſt es wahrſcheinlich, daß
etwas von der erſten materiellen Jdee eines Tons wieder
erwecket werden muͤſſe, wenn die ihr zugehoͤrige Vor-
ſtellung in der Seele vorhanden iſt. Die materiellen
Geſichtsideen, die mit den materiellen Gehoͤrsideen ver-
bunden ſind, wuͤrden doch allein fuͤr ſich nichts enthal-
ten, was ſie zu materiellen Jdeen der Toͤne machte.
Wenn alſo die Vorſtellungen von Toͤnen dennoch in der
Seele in Geſellſchaft von jenen erneuert wuͤrden, ſo wuͤrde
folgen, daß dieſe Gehoͤrsvorſtellungen in der Seele kei-
ne ihnen insbeſondere entſprechende Organsveraͤnderun-
gen bey ſich haben, welches unwahrſcheinlich iſt. Zum
mindeſten muͤßte man doch annehmen, daß jenen ma-
teriellen Jdeen des Geſichts etwas Charakteriſtiſches
anklebe, was ihrer Verknuͤpfung mit den Vorſtellun-
gen von Toͤnen entſpricht. Dieß iſt der ſonſt bekannten
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/194>, abgerufen am 24.11.2024.
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