von dem zusammengesetzten kollektiven Gefühl, das wir von uns selbst erkennen, unterschieden sind: so ist es wiederum außer Zweifel, daß eine Vereinigung aller Gefühle in Einer Substanz, oder in jeder geschehen müsse, die ein Theil des Ganzen ist. Genug, unser Gefühl, das, was mein Jch äußert, insofern ichs kenne, ist das Gefühl eines einfachen Wesens.
Will man diese Vorstellung vertheidigen, daß un- ser Jch aus mehrern fühlenden Wesen bestehe, de- ren jedwedes ein Vereinigungspunkt der Verände- rung im Ganzen ist: so gestehe ich zwar, ich weiß nichts, womit ich beweisen könne, daß dieß unmöglich sey. Aber mich deucht, eine Voraussetzung, die nicht nur gar nichts für sich hat, sondern auch nimmermehr durch einen vernünftigen Grund bestätigt werden könn- te, wenn sie wahr wäre, falle von selbst hinweg. Jn- dem unser Jch sich in seinen Wirkungen selbst fühlet, so würde in dem Fall, daß mehrere Jchs zugleich und jedes die ganze Menge derselben erkennte, kein einziges von ihnen es wissen können, daß andre neben ihm sind, und neben ihm fühlen und denken. Jst der Schein von meinem Jch ein Schein von einer Menge, so ist dieser Schein auch wiederum in jedem Theil dieser Menge, in jedem einzelnen Jch. Daß ein anderes Ding, als ich selbst bin, nämlich ein Körper, an mei- nen Seelenhandlungen Antheil nimmt, und etwas bey- wirket, das kann ich auf dieselbige Art vermuthen, oder aus Gründen schließen, wie der blinde Soldat es wis- sen kann, daß seine Flinte es nicht allein sey, die den großen Knall des ganzen Regimentsschusses hervor- bringt; aber daß es unter den Ursachen, die mit meinem Jch zugleich wirken, noch mehrere solche Jchs gebe, da- von kann das Eine Jch nichts wissen. Man kann dem Jmmaterialisten die Widerlegung dieses Gedan- kens, daß es eine Menge von Jchs in Einem Men-
schen
IITheil. O
im Menſchen.
von dem zuſammengeſetzten kollektiven Gefuͤhl, das wir von uns ſelbſt erkennen, unterſchieden ſind: ſo iſt es wiederum außer Zweifel, daß eine Vereinigung aller Gefuͤhle in Einer Subſtanz, oder in jeder geſchehen muͤſſe, die ein Theil des Ganzen iſt. Genug, unſer Gefuͤhl, das, was mein Jch aͤußert, inſofern ichs kenne, iſt das Gefuͤhl eines einfachen Weſens.
Will man dieſe Vorſtellung vertheidigen, daß un- ſer Jch aus mehrern fuͤhlenden Weſen beſtehe, de- ren jedwedes ein Vereinigungspunkt der Veraͤnde- rung im Ganzen iſt: ſo geſtehe ich zwar, ich weiß nichts, womit ich beweiſen koͤnne, daß dieß unmoͤglich ſey. Aber mich deucht, eine Vorausſetzung, die nicht nur gar nichts fuͤr ſich hat, ſondern auch nimmermehr durch einen vernuͤnftigen Grund beſtaͤtigt werden koͤnn- te, wenn ſie wahr waͤre, falle von ſelbſt hinweg. Jn- dem unſer Jch ſich in ſeinen Wirkungen ſelbſt fuͤhlet, ſo wuͤrde in dem Fall, daß mehrere Jchs zugleich und jedes die ganze Menge derſelben erkennte, kein einziges von ihnen es wiſſen koͤnnen, daß andre neben ihm ſind, und neben ihm fuͤhlen und denken. Jſt der Schein von meinem Jch ein Schein von einer Menge, ſo iſt dieſer Schein auch wiederum in jedem Theil dieſer Menge, in jedem einzelnen Jch. Daß ein anderes Ding, als ich ſelbſt bin, naͤmlich ein Koͤrper, an mei- nen Seelenhandlungen Antheil nimmt, und etwas bey- wirket, das kann ich auf dieſelbige Art vermuthen, oder aus Gruͤnden ſchließen, wie der blinde Soldat es wiſ- ſen kann, daß ſeine Flinte es nicht allein ſey, die den großen Knall des ganzen Regimentsſchuſſes hervor- bringt; aber daß es unter den Urſachen, die mit meinem Jch zugleich wirken, noch mehrere ſolche Jchs gebe, da- von kann das Eine Jch nichts wiſſen. Man kann dem Jmmaterialiſten die Widerlegung dieſes Gedan- kens, daß es eine Menge von Jchs in Einem Men-
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IITheil. O
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im Menſchen.
von dem zuſammengeſetzten kollektiven Gefuͤhl, das
wir von uns ſelbſt erkennen, unterſchieden ſind: ſo iſt es
wiederum außer Zweifel, daß eine Vereinigung aller
Gefuͤhle in Einer Subſtanz, oder in jeder geſchehen muͤſſe,
die ein Theil des Ganzen iſt. Genug, unſer Gefuͤhl,
das, was mein Jch aͤußert, inſofern ichs kenne, iſt
das Gefuͤhl eines einfachen Weſens.
Will man dieſe Vorſtellung vertheidigen, daß un-
ſer Jch aus mehrern fuͤhlenden Weſen beſtehe, de-
ren jedwedes ein Vereinigungspunkt der Veraͤnde-
rung im Ganzen iſt: ſo geſtehe ich zwar, ich weiß nichts,
womit ich beweiſen koͤnne, daß dieß unmoͤglich
ſey. Aber mich deucht, eine Vorausſetzung, die nicht
nur gar nichts fuͤr ſich hat, ſondern auch nimmermehr
durch einen vernuͤnftigen Grund beſtaͤtigt werden koͤnn-
te, wenn ſie wahr waͤre, falle von ſelbſt hinweg. Jn-
dem unſer Jch ſich in ſeinen Wirkungen ſelbſt fuͤhlet,
ſo wuͤrde in dem Fall, daß mehrere Jchs zugleich und
jedes die ganze Menge derſelben erkennte, kein einziges
von ihnen es wiſſen koͤnnen, daß andre neben ihm ſind,
und neben ihm fuͤhlen und denken. Jſt der Schein
von meinem Jch ein Schein von einer Menge, ſo iſt
dieſer Schein auch wiederum in jedem Theil dieſer
Menge, in jedem einzelnen Jch. Daß ein anderes
Ding, als ich ſelbſt bin, naͤmlich ein Koͤrper, an mei-
nen Seelenhandlungen Antheil nimmt, und etwas bey-
wirket, das kann ich auf dieſelbige Art vermuthen, oder
aus Gruͤnden ſchließen, wie der blinde Soldat es wiſ-
ſen kann, daß ſeine Flinte es nicht allein ſey, die den
großen Knall des ganzen Regimentsſchuſſes hervor-
bringt; aber daß es unter den Urſachen, die mit meinem
Jch zugleich wirken, noch mehrere ſolche Jchs gebe, da-
von kann das Eine Jch nichts wiſſen. Man kann
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 209. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/239>, abgerufen am 23.11.2024.
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