Jch habe jetzo, da ich den Mond zwar nicht sehe, aber an ihn denke, eine Vorstellung von ihm. Es ist also wiederum eine Modifikation meines Jchs vorhan- den, eine Bestimmung oder Einschränkung der Seelen- kraft, und eine gleichzeitige Modifikation in meinem Gehirn. Die Seele ist also ein Ding, worinn etwas ist, als eine Beschaffenheit in einem Subjekt. Aber hievon ist eigentlich die Frage nicht.
Die Empfindung hinterläßt eine Spur, auch wenn sie bis dahin vorübergehet, daß ich von ihr nichts mehr weiß. Worinn diese Spur bestehe, weiß ich nicht. Vielleicht ist es die nämliche oder doch eine gleichartige Modifikation, wie die Empfindung selbst war, nur ge- schwächt, in sich zusammengezogen, eingewickelt, so daß sie nicht mehr als gegenwärtig vorhanden gewahr- genommen werden kann; aber doch so, daß sie, ohne eine neue Jmpression von dem äußern Objekt, wiederum verstärket, ausgebreitet, entfaltet, und dann als ein mir gegenwärtiges Phantasma gewahrgenommen werden kann.
Vielleicht ist es so etwas, als man sich unter dem Bestreben oder unter der Tendenz einer Kraft, sich in einen gewissen Zustand zu versetzen, vorbildet. Aber was es auch sey, so hat es die Folge, daß eine gewisse Leichtigkeit in uns vorhanden ist eine gewisse, der ehemaligen Empfindung ähnliche Modifikation anzuneh- men, oder in einen ähnlichen Zustand versetzet zu wer- den, welche Disposition vorher nicht da war, sondern aus der Empfindung entstanden ist. Solche Leich- tigkeiten oder eigentlich die Beschaffenheiten, welche der Grund von ihnen sind, machen die ruhenden Vor- stellungen in dem Gedächtnisse aus; und solche sind in uns vorhanden, auch wenn wir sie nicht ge- brauchen.
Wo
XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſen
Jch habe jetzo, da ich den Mond zwar nicht ſehe, aber an ihn denke, eine Vorſtellung von ihm. Es iſt alſo wiederum eine Modifikation meines Jchs vorhan- den, eine Beſtimmung oder Einſchraͤnkung der Seelen- kraft, und eine gleichzeitige Modifikation in meinem Gehirn. Die Seele iſt alſo ein Ding, worinn etwas iſt, als eine Beſchaffenheit in einem Subjekt. Aber hievon iſt eigentlich die Frage nicht.
Die Empfindung hinterlaͤßt eine Spur, auch wenn ſie bis dahin voruͤbergehet, daß ich von ihr nichts mehr weiß. Worinn dieſe Spur beſtehe, weiß ich nicht. Vielleicht iſt es die naͤmliche oder doch eine gleichartige Modifikation, wie die Empfindung ſelbſt war, nur ge- ſchwaͤcht, in ſich zuſammengezogen, eingewickelt, ſo daß ſie nicht mehr als gegenwaͤrtig vorhanden gewahr- genommen werden kann; aber doch ſo, daß ſie, ohne eine neue Jmpreſſion von dem aͤußern Objekt, wiederum verſtaͤrket, ausgebreitet, entfaltet, und dann als ein mir gegenwaͤrtiges Phantasma gewahrgenommen werden kann.
Vielleicht iſt es ſo etwas, als man ſich unter dem Beſtreben oder unter der Tendenz einer Kraft, ſich in einen gewiſſen Zuſtand zu verſetzen, vorbildet. Aber was es auch ſey, ſo hat es die Folge, daß eine gewiſſe Leichtigkeit in uns vorhanden iſt eine gewiſſe, der ehemaligen Empfindung aͤhnliche Modifikation anzuneh- men, oder in einen aͤhnlichen Zuſtand verſetzet zu wer- den, welche Diſpoſition vorher nicht da war, ſondern aus der Empfindung entſtanden iſt. Solche Leich- tigkeiten oder eigentlich die Beſchaffenheiten, welche der Grund von ihnen ſind, machen die ruhenden Vor- ſtellungen in dem Gedaͤchtniſſe aus; und ſolche ſind in uns vorhanden, auch wenn wir ſie nicht ge- brauchen.
Wo
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XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſen
Jch habe jetzo, da ich den Mond zwar nicht ſehe,
aber an ihn denke, eine Vorſtellung von ihm. Es iſt
alſo wiederum eine Modifikation meines Jchs vorhan-
den, eine Beſtimmung oder Einſchraͤnkung der Seelen-
kraft, und eine gleichzeitige Modifikation in meinem
Gehirn. Die Seele iſt alſo ein Ding, worinn etwas
iſt, als eine Beſchaffenheit in einem Subjekt. Aber
hievon iſt eigentlich die Frage nicht.
Die Empfindung hinterlaͤßt eine Spur, auch wenn
ſie bis dahin voruͤbergehet, daß ich von ihr nichts mehr
weiß. Worinn dieſe Spur beſtehe, weiß ich nicht.
Vielleicht iſt es die naͤmliche oder doch eine gleichartige
Modifikation, wie die Empfindung ſelbſt war, nur ge-
ſchwaͤcht, in ſich zuſammengezogen, eingewickelt, ſo
daß ſie nicht mehr als gegenwaͤrtig vorhanden gewahr-
genommen werden kann; aber doch ſo, daß ſie, ohne
eine neue Jmpreſſion von dem aͤußern Objekt, wiederum
verſtaͤrket, ausgebreitet, entfaltet, und dann als ein mir
gegenwaͤrtiges Phantasma gewahrgenommen werden
kann.
Vielleicht iſt es ſo etwas, als man ſich unter dem
Beſtreben oder unter der Tendenz einer Kraft, ſich
in einen gewiſſen Zuſtand zu verſetzen, vorbildet. Aber
was es auch ſey, ſo hat es die Folge, daß eine gewiſſe
Leichtigkeit in uns vorhanden iſt eine gewiſſe, der
ehemaligen Empfindung aͤhnliche Modifikation anzuneh-
men, oder in einen aͤhnlichen Zuſtand verſetzet zu wer-
den, welche Diſpoſition vorher nicht da war, ſondern
aus der Empfindung entſtanden iſt. Solche Leich-
tigkeiten oder eigentlich die Beſchaffenheiten, welche
der Grund von ihnen ſind, machen die ruhenden Vor-
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ſind in uns vorhanden, auch wenn wir ſie nicht ge-
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/248>, abgerufen am 23.11.2024.
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