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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777.

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XIII. Versuch. Ueber das Seelenwesen
erhalte, die sie aufgelegt machet, in diese Form am
leichtesten wieder versetzet werden zu können, und zwar
durch ein gewisses Schütteln, ohne daß es einer ähnli-
chen Pression mit der Hand bedürfe, welche das erste-
mal nothwendig war. Jhre Biegsamkeit, die sie, zu-
gleich mit ihrer Elasticität und Festigkeit vereiniget, zu
diesem Ende besitzen müßte, würde ausnehmend groß
seyn, und größer als wir sie bey irgend einem Körper
antreffen. Aber wenn wir denn der Blase diese Ei-
genschaften in Gedanken leihen, so ist es begreifllich,
daß sie von jedweder Veränderung ihrer Gestalt eine
Spur, oder eine Leichtigkeit diese Figur von neuem an-
zunehmen, behalten würde. So oft sie sich bey dieser
Voraussetzung verändert, so oft verändert sich auch die
Figur der innern, in ihr verwahrten flüßigen Luft.
Denn diese ändert ihren äußern Umfang, wie die Blase
und mit ihr zugleich, ohne daß dem ohnerachtet in der
Luft etwas anzutreffen sey, so mit den bleibenden Spu-
ren in der Blase zu vergleichen wäre. Die Luft ist und
bleibet wie das Wasser, aller Veränderungen ihrer Form
in dem Gefäße ungeachtet, zu jeder Gestalt gleichgül-
tig, und hat für sich selbst keine andere, als diejenige,
welche ihr von ihrem Gefäße gegeben wird. Man
kann ihr in der Fiktion noch außer ihrer Elasticität,
womit sie gegen die Wände des Gefäßes druckt und
auswärts treibet, auch Kräfte beylegen gewisse ge-
genwärtige Gestalten des Gefäßes zu erhalten, und ge-
wissen Abänderungen derselben zu widerstehen, so daß
sie nicht ganz gleichgültig gegen alle ist; dennoch wird
sie keiner bleibenden Spuren in sich fähig, und bleibet
in ihrem Jnnern so unbestimmt, wie sie vorher gewe-
sen ist.

Hier liegt der Mittelpunkt der Sache. Jst die
von der Empfindung in dem Seelenwesen zurückgeblie-
bene Spur, eine bleibende Beschaffenheit der

Seele,

XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſen
erhalte, die ſie aufgelegt machet, in dieſe Form am
leichteſten wieder verſetzet werden zu koͤnnen, und zwar
durch ein gewiſſes Schuͤtteln, ohne daß es einer aͤhnli-
chen Preſſion mit der Hand beduͤrfe, welche das erſte-
mal nothwendig war. Jhre Biegſamkeit, die ſie, zu-
gleich mit ihrer Elaſticitaͤt und Feſtigkeit vereiniget, zu
dieſem Ende beſitzen muͤßte, wuͤrde ausnehmend groß
ſeyn, und groͤßer als wir ſie bey irgend einem Koͤrper
antreffen. Aber wenn wir denn der Blaſe dieſe Ei-
genſchaften in Gedanken leihen, ſo iſt es begreifllich,
daß ſie von jedweder Veraͤnderung ihrer Geſtalt eine
Spur, oder eine Leichtigkeit dieſe Figur von neuem an-
zunehmen, behalten wuͤrde. So oft ſie ſich bey dieſer
Vorausſetzung veraͤndert, ſo oft veraͤndert ſich auch die
Figur der innern, in ihr verwahrten fluͤßigen Luft.
Denn dieſe aͤndert ihren aͤußern Umfang, wie die Blaſe
und mit ihr zugleich, ohne daß dem ohnerachtet in der
Luft etwas anzutreffen ſey, ſo mit den bleibenden Spu-
ren in der Blaſe zu vergleichen waͤre. Die Luft iſt und
bleibet wie das Waſſer, aller Veraͤnderungen ihrer Form
in dem Gefaͤße ungeachtet, zu jeder Geſtalt gleichguͤl-
tig, und hat fuͤr ſich ſelbſt keine andere, als diejenige,
welche ihr von ihrem Gefaͤße gegeben wird. Man
kann ihr in der Fiktion noch außer ihrer Elaſticitaͤt,
womit ſie gegen die Waͤnde des Gefaͤßes druckt und
auswaͤrts treibet, auch Kraͤfte beylegen gewiſſe ge-
genwaͤrtige Geſtalten des Gefaͤßes zu erhalten, und ge-
wiſſen Abaͤnderungen derſelben zu widerſtehen, ſo daß
ſie nicht ganz gleichguͤltig gegen alle iſt; dennoch wird
ſie keiner bleibenden Spuren in ſich faͤhig, und bleibet
in ihrem Jnnern ſo unbeſtimmt, wie ſie vorher gewe-
ſen iſt.

Hier liegt der Mittelpunkt der Sache. Jſt die
von der Empfindung in dem Seelenweſen zuruͤckgeblie-
bene Spur, eine bleibende Beſchaffenheit der

Seele,
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[220/0250] XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſen erhalte, die ſie aufgelegt machet, in dieſe Form am leichteſten wieder verſetzet werden zu koͤnnen, und zwar durch ein gewiſſes Schuͤtteln, ohne daß es einer aͤhnli- chen Preſſion mit der Hand beduͤrfe, welche das erſte- mal nothwendig war. Jhre Biegſamkeit, die ſie, zu- gleich mit ihrer Elaſticitaͤt und Feſtigkeit vereiniget, zu dieſem Ende beſitzen muͤßte, wuͤrde ausnehmend groß ſeyn, und groͤßer als wir ſie bey irgend einem Koͤrper antreffen. Aber wenn wir denn der Blaſe dieſe Ei- genſchaften in Gedanken leihen, ſo iſt es begreifllich, daß ſie von jedweder Veraͤnderung ihrer Geſtalt eine Spur, oder eine Leichtigkeit dieſe Figur von neuem an- zunehmen, behalten wuͤrde. So oft ſie ſich bey dieſer Vorausſetzung veraͤndert, ſo oft veraͤndert ſich auch die Figur der innern, in ihr verwahrten fluͤßigen Luft. Denn dieſe aͤndert ihren aͤußern Umfang, wie die Blaſe und mit ihr zugleich, ohne daß dem ohnerachtet in der Luft etwas anzutreffen ſey, ſo mit den bleibenden Spu- ren in der Blaſe zu vergleichen waͤre. Die Luft iſt und bleibet wie das Waſſer, aller Veraͤnderungen ihrer Form in dem Gefaͤße ungeachtet, zu jeder Geſtalt gleichguͤl- tig, und hat fuͤr ſich ſelbſt keine andere, als diejenige, welche ihr von ihrem Gefaͤße gegeben wird. Man kann ihr in der Fiktion noch außer ihrer Elaſticitaͤt, womit ſie gegen die Waͤnde des Gefaͤßes druckt und auswaͤrts treibet, auch Kraͤfte beylegen gewiſſe ge- genwaͤrtige Geſtalten des Gefaͤßes zu erhalten, und ge- wiſſen Abaͤnderungen derſelben zu widerſtehen, ſo daß ſie nicht ganz gleichguͤltig gegen alle iſt; dennoch wird ſie keiner bleibenden Spuren in ſich faͤhig, und bleibet in ihrem Jnnern ſo unbeſtimmt, wie ſie vorher gewe- ſen iſt. Hier liegt der Mittelpunkt der Sache. Jſt die von der Empfindung in dem Seelenweſen zuruͤckgeblie- bene Spur, eine bleibende Beſchaffenheit der Seele,

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 220. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/250>, abgerufen am 23.11.2024.