Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777.XIII. Versuch. Ueber das Seelenwesen setzung des Essai de Psychologie und des Essai analy-tique des Hrn. Bonnets unter uns bekannt geworden ist, und schon unter den Philosophen ihr Glück zu ma- chen scheinet. Sie ist auch in sich selbst zusammenhän- gend, und nicht nur mit Scharfsinnigkeit, sondern auch mit der dem berühmten Bonnet eigenthümlichen ein- nehmenden Deutlichkeit dargestellet, so daß es nicht zu verwundern ist, wenn sie bey dem großen Schein, den sie hat, von vielen seiner Leser für etwas mehr als eine Hypothese gehalten wird, wofür sie doch ihr Lehrer selbst nur ausgegeben hat. Denn Hr. Bonnet gesteht es, daß sie noch nichts mehr als eine Hypothese sey, welche die Erscheinungen auf eine ungezwungene Art und voll- ständig erkläre, aber dadurch mehr nichts als eine große Wahrscheinlichkeit erhalte. Nur was die ersten Grund- sätze betrifft, so sieht man solche als Erfahrungssätze an, die auf Beobachtungen beruhen und durch. Beob- achtungen bestätiget werden. Jn Wahrheit, wenn diese mechanische Psychologie wirklich alle diejenigen Vorzüge an sich hätte, die Hr. Bonnet ihr beyleget: so würde ich selbst unter diejenigen von seinen Lesern ge- hören, welche glauben, der Philosoph habe nach seiner gewöhnlichen Bescheidenheit weniger von ihrem wahren Werthe gesagt, als derjenige, der sie durchdenket, bey ihr antreffen muß. Jch werde also aus mehr als Ei- nem Grunde mich bey ihrer Prüfung etwas verweilen. Um völlig gerecht zu seyn, will ich ihr zuvörderst ei- frey
XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſen ſetzung des Eſſai de Pſychologie und des Eſſai analy-tique des Hrn. Bonnets unter uns bekannt geworden iſt, und ſchon unter den Philoſophen ihr Gluͤck zu ma- chen ſcheinet. Sie iſt auch in ſich ſelbſt zuſammenhaͤn- gend, und nicht nur mit Scharfſinnigkeit, ſondern auch mit der dem beruͤhmten Bonnet eigenthuͤmlichen ein- nehmenden Deutlichkeit dargeſtellet, ſo daß es nicht zu verwundern iſt, wenn ſie bey dem großen Schein, den ſie hat, von vielen ſeiner Leſer fuͤr etwas mehr als eine Hypotheſe gehalten wird, wofuͤr ſie doch ihr Lehrer ſelbſt nur ausgegeben hat. Denn Hr. Bonnet geſteht es, daß ſie noch nichts mehr als eine Hypotheſe ſey, welche die Erſcheinungen auf eine ungezwungene Art und voll- ſtaͤndig erklaͤre, aber dadurch mehr nichts als eine große Wahrſcheinlichkeit erhalte. Nur was die erſten Grund- ſaͤtze betrifft, ſo ſieht man ſolche als Erfahrungsſaͤtze an, die auf Beobachtungen beruhen und durch. Beob- achtungen beſtaͤtiget werden. Jn Wahrheit, wenn dieſe mechaniſche Pſychologie wirklich alle diejenigen Vorzuͤge an ſich haͤtte, die Hr. Bonnet ihr beyleget: ſo wuͤrde ich ſelbſt unter diejenigen von ſeinen Leſern ge- hoͤren, welche glauben, der Philoſoph habe nach ſeiner gewoͤhnlichen Beſcheidenheit weniger von ihrem wahren Werthe geſagt, als derjenige, der ſie durchdenket, bey ihr antreffen muß. Jch werde alſo aus mehr als Ei- nem Grunde mich bey ihrer Pruͤfung etwas verweilen. Um voͤllig gerecht zu ſeyn, will ich ihr zuvoͤrderſt ei- frey
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XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſen
ſetzung des Eſſai de Pſychologie und des Eſſai analy-
tique des Hrn. Bonnets unter uns bekannt geworden
iſt, und ſchon unter den Philoſophen ihr Gluͤck zu ma-
chen ſcheinet. Sie iſt auch in ſich ſelbſt zuſammenhaͤn-
gend, und nicht nur mit Scharfſinnigkeit, ſondern
auch mit der dem beruͤhmten Bonnet eigenthuͤmlichen ein-
nehmenden Deutlichkeit dargeſtellet, ſo daß es nicht zu
verwundern iſt, wenn ſie bey dem großen Schein, den
ſie hat, von vielen ſeiner Leſer fuͤr etwas mehr als eine
Hypotheſe gehalten wird, wofuͤr ſie doch ihr Lehrer ſelbſt
nur ausgegeben hat. Denn Hr. Bonnet geſteht es,
daß ſie noch nichts mehr als eine Hypotheſe ſey, welche
die Erſcheinungen auf eine ungezwungene Art und voll-
ſtaͤndig erklaͤre, aber dadurch mehr nichts als eine große
Wahrſcheinlichkeit erhalte. Nur was die erſten Grund-
ſaͤtze betrifft, ſo ſieht man ſolche als Erfahrungsſaͤtze
an, die auf Beobachtungen beruhen und durch. Beob-
achtungen beſtaͤtiget werden. Jn Wahrheit, wenn
dieſe mechaniſche Pſychologie wirklich alle diejenigen
Vorzuͤge an ſich haͤtte, die Hr. Bonnet ihr beyleget:
ſo wuͤrde ich ſelbſt unter diejenigen von ſeinen Leſern ge-
hoͤren, welche glauben, der Philoſoph habe nach ſeiner
gewoͤhnlichen Beſcheidenheit weniger von ihrem wahren
Werthe geſagt, als derjenige, der ſie durchdenket, bey
ihr antreffen muß. Jch werde alſo aus mehr als Ei-
nem Grunde mich bey ihrer Pruͤfung etwas verweilen.
Um voͤllig gerecht zu ſeyn, will ich ihr zuvoͤrderſt ei-
nen Vorwurf abnehmen, der ſie bey ſo vielen anſtoͤßig
gemacht hat, naͤmlich, daß ſie die Freyheit der Seele
auf hebe. Mit des Hrn. Bonnets Erklaͤrung von der
Freyheit kann man freylich nicht zufrieden ſeyn, wenn
man dieſe genauer unterſucht hat. Allein was ſein
Syſtem betrifft, ſo meine ich, daß es von dieſem Feh-
ler befreyet werden koͤnne, wie ſolches auch bey dem
Verfaſſer des Eſſai de Pſychologie noch davon wirklich
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