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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777.

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und Freyheit.
gnen, wie die Meisten thun, die hierinn entschieden ha-
ben, oder sie, wie andere es gemacht, für einen be-
trüglichen Schein erklären muß. Denn so ist es gegan-
gen von der Zeit an, da man angefangen hat, über die
Freyheit zu metaphysiciren, bis auf unsere Zeiten. Die
vornehmsten Gründe und Gegengründe des deterministi-
schen und indeterministischen Systems lieset man schon
in dem itzo unvollständigen Buche des Cicero de fato.
Sollten wir etwan hier ein Beyspiel haben, wo der ge-
sunde Menschenverstand, der den Empfindungen folgt,
und das Nachdenken der höhern Vernunft unvereinbar
sind? Ganz dreist antworte ich, nein. Aber ob wir
hier nicht ein merkwürdiges Beyspiel von der Mangel-
haftigkeit unserer Gemeinbegriffe antreffen? ob nicht et-
wan in den Begriffen von der Nothwendigkeit und Zu-
fälligkeit sich etwas phantastisches eingeschlichen habe?
ein sinnlicher Zusatz der Phantasie, der mit den reinen
aus Empfindungen abgezogenen Verstandesbegriffen
vermischet worden ist? oder auch, ob nicht etwan ein
Paar an sich ganz unterschiedene, aber einander nahe
liegende und einfache Elementarbegriffe des Verstandes,
deren Verschiedenheit man in den allgemeinen Theorien
nicht sonderlich geachtet hat, mit einander verwechselt
werden, und nachher bey der nähern Bestimmung und
Anwendung dieser Grundsätze die Begriffe schwankend
machen, wie Bilfinger *) geglaubet hat? Dieß sind
andere Fragen.

Nach meiner Ueberzeugung, in der ich mich nun
schon bey den öfters wiederholten Untersuchungen seit
länger als zehn Jahren bestärkt habe, liegt es eben an
der Unvollkommenheit der transcendenten Theorien.
Hier ist die Verwirrung, die für mich verschwunden ist,

seitdem
*) Jn seinem Buche de origine mali.
A 2

und Freyheit.
gnen, wie die Meiſten thun, die hierinn entſchieden ha-
ben, oder ſie, wie andere es gemacht, fuͤr einen be-
truͤglichen Schein erklaͤren muß. Denn ſo iſt es gegan-
gen von der Zeit an, da man angefangen hat, uͤber die
Freyheit zu metaphyſiciren, bis auf unſere Zeiten. Die
vornehmſten Gruͤnde und Gegengruͤnde des determiniſti-
ſchen und indeterminiſtiſchen Syſtems lieſet man ſchon
in dem itzo unvollſtaͤndigen Buche des Cicero de fato.
Sollten wir etwan hier ein Beyſpiel haben, wo der ge-
ſunde Menſchenverſtand, der den Empfindungen folgt,
und das Nachdenken der hoͤhern Vernunft unvereinbar
ſind? Ganz dreiſt antworte ich, nein. Aber ob wir
hier nicht ein merkwuͤrdiges Beyſpiel von der Mangel-
haftigkeit unſerer Gemeinbegriffe antreffen? ob nicht et-
wan in den Begriffen von der Nothwendigkeit und Zu-
faͤlligkeit ſich etwas phantaſtiſches eingeſchlichen habe?
ein ſinnlicher Zuſatz der Phantaſie, der mit den reinen
aus Empfindungen abgezogenen Verſtandesbegriffen
vermiſchet worden iſt? oder auch, ob nicht etwan ein
Paar an ſich ganz unterſchiedene, aber einander nahe
liegende und einfache Elementarbegriffe des Verſtandes,
deren Verſchiedenheit man in den allgemeinen Theorien
nicht ſonderlich geachtet hat, mit einander verwechſelt
werden, und nachher bey der naͤhern Beſtimmung und
Anwendung dieſer Grundſaͤtze die Begriffe ſchwankend
machen, wie Bilfinger *) geglaubet hat? Dieß ſind
andere Fragen.

Nach meiner Ueberzeugung, in der ich mich nun
ſchon bey den oͤfters wiederholten Unterſuchungen ſeit
laͤnger als zehn Jahren beſtaͤrkt habe, liegt es eben an
der Unvollkommenheit der tranſcendenten Theorien.
Hier iſt die Verwirrung, die fuͤr mich verſchwunden iſt,

ſeitdem
*) Jn ſeinem Buche de origine mali.
A 2
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[3/0033] und Freyheit. gnen, wie die Meiſten thun, die hierinn entſchieden ha- ben, oder ſie, wie andere es gemacht, fuͤr einen be- truͤglichen Schein erklaͤren muß. Denn ſo iſt es gegan- gen von der Zeit an, da man angefangen hat, uͤber die Freyheit zu metaphyſiciren, bis auf unſere Zeiten. Die vornehmſten Gruͤnde und Gegengruͤnde des determiniſti- ſchen und indeterminiſtiſchen Syſtems lieſet man ſchon in dem itzo unvollſtaͤndigen Buche des Cicero de fato. Sollten wir etwan hier ein Beyſpiel haben, wo der ge- ſunde Menſchenverſtand, der den Empfindungen folgt, und das Nachdenken der hoͤhern Vernunft unvereinbar ſind? Ganz dreiſt antworte ich, nein. Aber ob wir hier nicht ein merkwuͤrdiges Beyſpiel von der Mangel- haftigkeit unſerer Gemeinbegriffe antreffen? ob nicht et- wan in den Begriffen von der Nothwendigkeit und Zu- faͤlligkeit ſich etwas phantaſtiſches eingeſchlichen habe? ein ſinnlicher Zuſatz der Phantaſie, der mit den reinen aus Empfindungen abgezogenen Verſtandesbegriffen vermiſchet worden iſt? oder auch, ob nicht etwan ein Paar an ſich ganz unterſchiedene, aber einander nahe liegende und einfache Elementarbegriffe des Verſtandes, deren Verſchiedenheit man in den allgemeinen Theorien nicht ſonderlich geachtet hat, mit einander verwechſelt werden, und nachher bey der naͤhern Beſtimmung und Anwendung dieſer Grundſaͤtze die Begriffe ſchwankend machen, wie Bilfinger *) geglaubet hat? Dieß ſind andere Fragen. Nach meiner Ueberzeugung, in der ich mich nun ſchon bey den oͤfters wiederholten Unterſuchungen ſeit laͤnger als zehn Jahren beſtaͤrkt habe, liegt es eben an der Unvollkommenheit der tranſcendenten Theorien. Hier iſt die Verwirrung, die fuͤr mich verſchwunden iſt, ſeitdem *) Jn ſeinem Buche de origine mali. A 2

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/33>, abgerufen am 21.11.2024.