Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777.

Bild:
<< vorherige Seite

im Menschen.
stoßen, und es wird eine Bewegung entstehen, die viel-
leicht nicht erfolgt seyn würde, wenn der Körper sich in
einer Lage befunden hätte, in der er seine Glieder mit
völliger Freyheit hätte gebrauchen können.

Wenn dieselbige äußerliche Veranlassung mehrma-
len wiederum vorhanden ist zu der Zeit, wenn auch eben-
derselbige Eindruck wiederum auffällt: so entstehet eine
größere Leichtigkeit, eine Bewegung in einem be-
stimmten Gliede mit diesem Eindrucke zu verbinden, die
endlich zur Fertigkeit und Gewohnheit wird. Denn
auf diese Art wird eine Association von zwoen, ihrer Na-
tur nach eben nicht mit einander verknüpften, Verände-
rungen zu Stande gebracht. Dergleichen Gewohnhei-
ten setzen sich sehr geschwind in uns fest, wie man bey
den Kindern gewahrnimmt. Von Natur ist es wohl
nicht bestimmt, daß der rechte Fuß zuerst vorausgesetzet
werde, wenn wir aufstehen und fortgehen, sondern es
ist größtentheils eine zufällig entstandene und festgesetzte
Gewohnheit. Ein Kind, das eine Sache haben will,
die man ihm vorhält, oder zu einer Person hinwill, äus-
sert anfangs nur ein unbestimmtes Bestreben seines
Körpers zur Bewegung; allein man darf nur Ein oder
etliche mal seinen Arm nach der Sache hingeführet, und
diese ihm in die Hand gegeben haben, so wird es in der
Folge bey einem nämlichen Bestreben sich zu bewegen
die Arme ausstrecken und mit den Händen fassen wollen.

5.

Aus diesen Beyspielen kann man schon vermuthen,
was aus so vielen andern offenbar wird, daß es nämlich
eine Association organischer Bewegungen in dem
Körper gebe,
die darinnen der Association der Vor-
stellungen in der Seele ähnlich ist, daß mehrere Bewe-
gungen, deren eine die andere nicht nothwendig be-
stimmt, sich dennoch in eine Verbindung setzen, so daß

eine

im Menſchen.
ſtoßen, und es wird eine Bewegung entſtehen, die viel-
leicht nicht erfolgt ſeyn wuͤrde, wenn der Koͤrper ſich in
einer Lage befunden haͤtte, in der er ſeine Glieder mit
voͤlliger Freyheit haͤtte gebrauchen koͤnnen.

Wenn dieſelbige aͤußerliche Veranlaſſung mehrma-
len wiederum vorhanden iſt zu der Zeit, wenn auch eben-
derſelbige Eindruck wiederum auffaͤllt: ſo entſtehet eine
groͤßere Leichtigkeit, eine Bewegung in einem be-
ſtimmten Gliede mit dieſem Eindrucke zu verbinden, die
endlich zur Fertigkeit und Gewohnheit wird. Denn
auf dieſe Art wird eine Aſſociation von zwoen, ihrer Na-
tur nach eben nicht mit einander verknuͤpften, Veraͤnde-
rungen zu Stande gebracht. Dergleichen Gewohnhei-
ten ſetzen ſich ſehr geſchwind in uns feſt, wie man bey
den Kindern gewahrnimmt. Von Natur iſt es wohl
nicht beſtimmt, daß der rechte Fuß zuerſt vorausgeſetzet
werde, wenn wir aufſtehen und fortgehen, ſondern es
iſt groͤßtentheils eine zufaͤllig entſtandene und feſtgeſetzte
Gewohnheit. Ein Kind, das eine Sache haben will,
die man ihm vorhaͤlt, oder zu einer Perſon hinwill, aͤuſ-
ſert anfangs nur ein unbeſtimmtes Beſtreben ſeines
Koͤrpers zur Bewegung; allein man darf nur Ein oder
etliche mal ſeinen Arm nach der Sache hingefuͤhret, und
dieſe ihm in die Hand gegeben haben, ſo wird es in der
Folge bey einem naͤmlichen Beſtreben ſich zu bewegen
die Arme ausſtrecken und mit den Haͤnden faſſen wollen.

5.

Aus dieſen Beyſpielen kann man ſchon vermuthen,
was aus ſo vielen andern offenbar wird, daß es naͤmlich
eine Aſſociation organiſcher Bewegungen in dem
Koͤrper gebe,
die darinnen der Aſſociation der Vor-
ſtellungen in der Seele aͤhnlich iſt, daß mehrere Bewe-
gungen, deren eine die andere nicht nothwendig be-
ſtimmt, ſich dennoch in eine Verbindung ſetzen, ſo daß

eine
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0347" n="317"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">im Men&#x017F;chen.</hi></fw><lb/>
&#x017F;toßen, und es wird eine Bewegung ent&#x017F;tehen, die viel-<lb/>
leicht nicht erfolgt &#x017F;eyn wu&#x0364;rde, wenn der Ko&#x0364;rper &#x017F;ich in<lb/>
einer Lage befunden ha&#x0364;tte, in der er &#x017F;eine Glieder mit<lb/>
vo&#x0364;lliger Freyheit ha&#x0364;tte gebrauchen ko&#x0364;nnen.</p><lb/>
              <p>Wenn die&#x017F;elbige a&#x0364;ußerliche Veranla&#x017F;&#x017F;ung mehrma-<lb/>
len wiederum vorhanden i&#x017F;t zu der Zeit, wenn auch eben-<lb/>
der&#x017F;elbige Eindruck wiederum auffa&#x0364;llt: &#x017F;o ent&#x017F;tehet eine<lb/>
gro&#x0364;ßere <hi rendition="#fr">Leichtigkeit,</hi> eine Bewegung in einem be-<lb/>
&#x017F;timmten Gliede mit die&#x017F;em Eindrucke zu verbinden, die<lb/>
endlich zur <hi rendition="#fr">Fertigkeit</hi> und Gewohnheit wird. Denn<lb/>
auf die&#x017F;e Art wird eine A&#x017F;&#x017F;ociation von zwoen, ihrer Na-<lb/>
tur nach eben nicht mit einander verknu&#x0364;pften, Vera&#x0364;nde-<lb/>
rungen zu Stande gebracht. Dergleichen Gewohnhei-<lb/>
ten &#x017F;etzen &#x017F;ich &#x017F;ehr ge&#x017F;chwind in uns fe&#x017F;t, wie man bey<lb/>
den Kindern gewahrnimmt. Von Natur i&#x017F;t es wohl<lb/>
nicht be&#x017F;timmt, daß der rechte Fuß zuer&#x017F;t vorausge&#x017F;etzet<lb/>
werde, wenn wir auf&#x017F;tehen und fortgehen, &#x017F;ondern es<lb/>
i&#x017F;t gro&#x0364;ßtentheils eine zufa&#x0364;llig ent&#x017F;tandene und fe&#x017F;tge&#x017F;etzte<lb/>
Gewohnheit. Ein Kind, das eine Sache haben will,<lb/>
die man ihm vorha&#x0364;lt, oder zu einer Per&#x017F;on hinwill, a&#x0364;u&#x017F;-<lb/>
&#x017F;ert anfangs nur ein unbe&#x017F;timmtes Be&#x017F;treben &#x017F;eines<lb/>
Ko&#x0364;rpers zur Bewegung; allein man darf nur Ein oder<lb/>
etliche mal &#x017F;einen Arm nach der Sache hingefu&#x0364;hret, und<lb/>
die&#x017F;e ihm in die Hand gegeben haben, &#x017F;o wird es in der<lb/>
Folge bey einem na&#x0364;mlichen Be&#x017F;treben &#x017F;ich zu bewegen<lb/>
die Arme aus&#x017F;trecken und mit den Ha&#x0364;nden fa&#x017F;&#x017F;en wollen.</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head>5.</head><lb/>
              <p>Aus die&#x017F;en Bey&#x017F;pielen kann man &#x017F;chon vermuthen,<lb/>
was aus &#x017F;o vielen andern offenbar wird, daß es na&#x0364;mlich<lb/>
eine <hi rendition="#fr">A&#x017F;&#x017F;ociation organi&#x017F;cher Bewegungen in dem<lb/>
Ko&#x0364;rper gebe,</hi> die darinnen der A&#x017F;&#x017F;ociation der Vor-<lb/>
&#x017F;tellungen in der Seele a&#x0364;hnlich i&#x017F;t, daß mehrere Bewe-<lb/>
gungen, deren eine die andere nicht nothwendig be-<lb/>
&#x017F;timmt, &#x017F;ich dennoch in eine Verbindung &#x017F;etzen, &#x017F;o daß<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">eine</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[317/0347] im Menſchen. ſtoßen, und es wird eine Bewegung entſtehen, die viel- leicht nicht erfolgt ſeyn wuͤrde, wenn der Koͤrper ſich in einer Lage befunden haͤtte, in der er ſeine Glieder mit voͤlliger Freyheit haͤtte gebrauchen koͤnnen. Wenn dieſelbige aͤußerliche Veranlaſſung mehrma- len wiederum vorhanden iſt zu der Zeit, wenn auch eben- derſelbige Eindruck wiederum auffaͤllt: ſo entſtehet eine groͤßere Leichtigkeit, eine Bewegung in einem be- ſtimmten Gliede mit dieſem Eindrucke zu verbinden, die endlich zur Fertigkeit und Gewohnheit wird. Denn auf dieſe Art wird eine Aſſociation von zwoen, ihrer Na- tur nach eben nicht mit einander verknuͤpften, Veraͤnde- rungen zu Stande gebracht. Dergleichen Gewohnhei- ten ſetzen ſich ſehr geſchwind in uns feſt, wie man bey den Kindern gewahrnimmt. Von Natur iſt es wohl nicht beſtimmt, daß der rechte Fuß zuerſt vorausgeſetzet werde, wenn wir aufſtehen und fortgehen, ſondern es iſt groͤßtentheils eine zufaͤllig entſtandene und feſtgeſetzte Gewohnheit. Ein Kind, das eine Sache haben will, die man ihm vorhaͤlt, oder zu einer Perſon hinwill, aͤuſ- ſert anfangs nur ein unbeſtimmtes Beſtreben ſeines Koͤrpers zur Bewegung; allein man darf nur Ein oder etliche mal ſeinen Arm nach der Sache hingefuͤhret, und dieſe ihm in die Hand gegeben haben, ſo wird es in der Folge bey einem naͤmlichen Beſtreben ſich zu bewegen die Arme ausſtrecken und mit den Haͤnden faſſen wollen. 5. Aus dieſen Beyſpielen kann man ſchon vermuthen, was aus ſo vielen andern offenbar wird, daß es naͤmlich eine Aſſociation organiſcher Bewegungen in dem Koͤrper gebe, die darinnen der Aſſociation der Vor- ſtellungen in der Seele aͤhnlich iſt, daß mehrere Bewe- gungen, deren eine die andere nicht nothwendig be- ſtimmt, ſich dennoch in eine Verbindung ſetzen, ſo daß eine

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/347
Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 317. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/347>, abgerufen am 22.11.2024.