sten und gewöhnlicherweise ist sie in Hinsicht der körper- lichen Bewegungen, was eine elektrische Erschütterung in unsern künstlichen Versuchen gegen ein Erdbeben ist; aber zuweilen ist sie das, wenigstens kann sie es seyn, was die große Elektricität der Natur bey dem letztern ist, und dann würde sie für die Wirkung nicht mehr zu schwach seyn.
Wenn die Phantasie oder Seelenkraft die sonsten natürlich nothwendigen Bewegungsreihen hervorbrin- gen kann, wo die organischen Ursachen fehlen: so ist es noch mehr begreiflich, wie sie bey der zwoten Art, in welcher die Verknüpfung durch zufällige Umstände zu- erst veranlasset worden ist, und besonders in solchen, wo die nachfolgende Bewegung von einer Selbstbestim- mung der Seele abhänget und für sich unserer Will- kür unterworfen ist, den fehlenden körperlichen Ein- druck ersetzen könne. Es ist nicht aus Jnstinkt son- dern aus angenommener Gewohnheit, daß wir die Hand vorhalten, wenn Jemand uns nach dem Kopf schläget; und diese Bewegung mit der Hand ist willkürlich, da- her können wir solche eben so gut verrichten, wenn wir uns nur einbilden, daß Jemand schläget, als wenn es wirklich geschieht. Wenn hingegen die erfolgende Be- wegung für sich nicht willkürlich oder es doch nicht in der Maße ist, wie sie vorgenommen wird, sondern ihre ei- gene Disposition in dem Körper erfodert: so kann sie mittelst der Phantasie nicht so leicht, wenigstens ge- wöhnlich nicht, hervorgebracht werden, als wenn der reizende körperliche Eindruck vorhanden ist. Mit der linken Hand kann ich zwar schreiben, aber mit aller mög- lichen Anstrengung der Einbildungskraft und des Wol- lens weder so fertig noch so leserlich, als mit der rechten; darum, weil die Bewegung mit jener zwar überhaupt willkürlich ist, aber nicht so die Fertigkeit sie auf diese oder jene Art zu bewegen, welche außer der Vorstellung
und
XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſen
ſten und gewoͤhnlicherweiſe iſt ſie in Hinſicht der koͤrper- lichen Bewegungen, was eine elektriſche Erſchuͤtterung in unſern kuͤnſtlichen Verſuchen gegen ein Erdbeben iſt; aber zuweilen iſt ſie das, wenigſtens kann ſie es ſeyn, was die große Elektricitaͤt der Natur bey dem letztern iſt, und dann wuͤrde ſie fuͤr die Wirkung nicht mehr zu ſchwach ſeyn.
Wenn die Phantaſie oder Seelenkraft die ſonſten natuͤrlich nothwendigen Bewegungsreihen hervorbrin- gen kann, wo die organiſchen Urſachen fehlen: ſo iſt es noch mehr begreiflich, wie ſie bey der zwoten Art, in welcher die Verknuͤpfung durch zufaͤllige Umſtaͤnde zu- erſt veranlaſſet worden iſt, und beſonders in ſolchen, wo die nachfolgende Bewegung von einer Selbſtbeſtim- mung der Seele abhaͤnget und fuͤr ſich unſerer Will- kuͤr unterworfen iſt, den fehlenden koͤrperlichen Ein- druck erſetzen koͤnne. Es iſt nicht aus Jnſtinkt ſon- dern aus angenommener Gewohnheit, daß wir die Hand vorhalten, wenn Jemand uns nach dem Kopf ſchlaͤget; und dieſe Bewegung mit der Hand iſt willkuͤrlich, da- her koͤnnen wir ſolche eben ſo gut verrichten, wenn wir uns nur einbilden, daß Jemand ſchlaͤget, als wenn es wirklich geſchieht. Wenn hingegen die erfolgende Be- wegung fuͤr ſich nicht willkuͤrlich oder es doch nicht in der Maße iſt, wie ſie vorgenommen wird, ſondern ihre ei- gene Diſpoſition in dem Koͤrper erfodert: ſo kann ſie mittelſt der Phantaſie nicht ſo leicht, wenigſtens ge- woͤhnlich nicht, hervorgebracht werden, als wenn der reizende koͤrperliche Eindruck vorhanden iſt. Mit der linken Hand kann ich zwar ſchreiben, aber mit aller moͤg- lichen Anſtrengung der Einbildungskraft und des Wol- lens weder ſo fertig noch ſo leſerlich, als mit der rechten; darum, weil die Bewegung mit jener zwar uͤberhaupt willkuͤrlich iſt, aber nicht ſo die Fertigkeit ſie auf dieſe oder jene Art zu bewegen, welche außer der Vorſtellung
und
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0368"n="338"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b"><hirendition="#aq">XIII.</hi> Verſuch. Ueber das Seelenweſen</hi></fw><lb/>ſten und gewoͤhnlicherweiſe iſt ſie in Hinſicht der koͤrper-<lb/>
lichen Bewegungen, was eine elektriſche Erſchuͤtterung<lb/>
in unſern kuͤnſtlichen Verſuchen gegen ein Erdbeben iſt;<lb/>
aber zuweilen iſt ſie das, wenigſtens kann ſie es ſeyn,<lb/>
was die große Elektricitaͤt der Natur bey dem letztern iſt,<lb/>
und dann wuͤrde ſie fuͤr die Wirkung nicht mehr zu<lb/>ſchwach ſeyn.</p><lb/><p>Wenn die Phantaſie oder Seelenkraft die ſonſten<lb/>
natuͤrlich nothwendigen Bewegungsreihen hervorbrin-<lb/>
gen kann, wo die organiſchen Urſachen fehlen: ſo iſt es<lb/>
noch mehr begreiflich, wie ſie bey der zwoten Art, in<lb/>
welcher die Verknuͤpfung durch zufaͤllige Umſtaͤnde zu-<lb/>
erſt veranlaſſet worden iſt, und beſonders in ſolchen, wo<lb/>
die nachfolgende Bewegung von einer Selbſtbeſtim-<lb/>
mung der Seele abhaͤnget und fuͤr ſich unſerer Will-<lb/>
kuͤr unterworfen iſt, den fehlenden koͤrperlichen Ein-<lb/>
druck erſetzen koͤnne. Es iſt nicht aus Jnſtinkt ſon-<lb/>
dern aus angenommener Gewohnheit, daß wir die Hand<lb/>
vorhalten, wenn Jemand uns nach dem Kopf ſchlaͤget;<lb/>
und dieſe Bewegung mit der Hand iſt willkuͤrlich, da-<lb/>
her koͤnnen wir ſolche eben ſo gut verrichten, wenn wir<lb/>
uns nur einbilden, daß Jemand ſchlaͤget, als wenn es<lb/>
wirklich geſchieht. Wenn hingegen die erfolgende Be-<lb/>
wegung fuͤr ſich nicht willkuͤrlich oder es doch nicht in der<lb/>
Maße iſt, wie ſie vorgenommen wird, ſondern ihre ei-<lb/>
gene Diſpoſition in dem Koͤrper erfodert: ſo kann ſie<lb/>
mittelſt der Phantaſie nicht ſo leicht, wenigſtens ge-<lb/>
woͤhnlich nicht, hervorgebracht werden, als wenn der<lb/>
reizende koͤrperliche Eindruck vorhanden iſt. Mit der<lb/>
linken Hand kann ich zwar ſchreiben, aber mit aller moͤg-<lb/>
lichen Anſtrengung der Einbildungskraft und des Wol-<lb/>
lens weder ſo fertig noch ſo leſerlich, als mit der rechten;<lb/>
darum, weil die Bewegung mit jener zwar uͤberhaupt<lb/>
willkuͤrlich iſt, aber nicht ſo die Fertigkeit ſie auf dieſe<lb/>
oder jene Art zu bewegen, welche außer der Vorſtellung<lb/><fwplace="bottom"type="catch">und</fw><lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[338/0368]
XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſen
ſten und gewoͤhnlicherweiſe iſt ſie in Hinſicht der koͤrper-
lichen Bewegungen, was eine elektriſche Erſchuͤtterung
in unſern kuͤnſtlichen Verſuchen gegen ein Erdbeben iſt;
aber zuweilen iſt ſie das, wenigſtens kann ſie es ſeyn,
was die große Elektricitaͤt der Natur bey dem letztern iſt,
und dann wuͤrde ſie fuͤr die Wirkung nicht mehr zu
ſchwach ſeyn.
Wenn die Phantaſie oder Seelenkraft die ſonſten
natuͤrlich nothwendigen Bewegungsreihen hervorbrin-
gen kann, wo die organiſchen Urſachen fehlen: ſo iſt es
noch mehr begreiflich, wie ſie bey der zwoten Art, in
welcher die Verknuͤpfung durch zufaͤllige Umſtaͤnde zu-
erſt veranlaſſet worden iſt, und beſonders in ſolchen, wo
die nachfolgende Bewegung von einer Selbſtbeſtim-
mung der Seele abhaͤnget und fuͤr ſich unſerer Will-
kuͤr unterworfen iſt, den fehlenden koͤrperlichen Ein-
druck erſetzen koͤnne. Es iſt nicht aus Jnſtinkt ſon-
dern aus angenommener Gewohnheit, daß wir die Hand
vorhalten, wenn Jemand uns nach dem Kopf ſchlaͤget;
und dieſe Bewegung mit der Hand iſt willkuͤrlich, da-
her koͤnnen wir ſolche eben ſo gut verrichten, wenn wir
uns nur einbilden, daß Jemand ſchlaͤget, als wenn es
wirklich geſchieht. Wenn hingegen die erfolgende Be-
wegung fuͤr ſich nicht willkuͤrlich oder es doch nicht in der
Maße iſt, wie ſie vorgenommen wird, ſondern ihre ei-
gene Diſpoſition in dem Koͤrper erfodert: ſo kann ſie
mittelſt der Phantaſie nicht ſo leicht, wenigſtens ge-
woͤhnlich nicht, hervorgebracht werden, als wenn der
reizende koͤrperliche Eindruck vorhanden iſt. Mit der
linken Hand kann ich zwar ſchreiben, aber mit aller moͤg-
lichen Anſtrengung der Einbildungskraft und des Wol-
lens weder ſo fertig noch ſo leſerlich, als mit der rechten;
darum, weil die Bewegung mit jener zwar uͤberhaupt
willkuͤrlich iſt, aber nicht ſo die Fertigkeit ſie auf dieſe
oder jene Art zu bewegen, welche außer der Vorſtellung
und
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 338. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/368>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.